Sammelleidenschaft im All

Extraterrestrisches Material ist ein begehrtes Objekt der astronomischen Forschung

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Apollo-Missionen brachten insgesamt 380 Kilo Mondgestein auf die Erde. Hier wird eine von Apollo 17 gewonnene Probe im Labor untersucht.
Die Apollo-Missionen brachten insgesamt 380 Kilo Mondgestein auf die Erde. Hier wird eine von Apollo 17 gewonnene Probe im Labor untersucht.

Es ist ja nicht gerade so, als würden wir auf der Erde nicht reichlich außerirdische Geschenke bekommen: Pro Jahr prasseln mehr als 5000 Tonnen »Mikrometeorite« auf die Erde ein, Bruchstücke von Objekten des Sonnensystems, die so winzig sind, dass man davon zumeist gar nichts mitbekommt. Höchstens mal in Form von Sternschnuppen oder den helleren Feuerkugeln, deren etwas größere Ursprungskörper bisweilen als kieselgroße Meteorite auf die Erde fallen. Ausnahmen sind selten. So etwa der Meteor von Tscheljabinsk, der 2013 mit einer gleißend hellen Leuchtspur, lautem Donnern, Druckwellen und dem Niedergang von zahlreichen Bruchstücken im russischen Ural einen bemerkenswerten Auftritt hinlegte und mit 12 000 Tonnen Anfangsgewicht der größte Meteor seit über 100 Jahren war.

Meteoriten beziehungsweise ihre kosmischen Ausgangskörper, die Meteoroiden, genauso wie die größeren Asteroiden, gehören zu den ursprünglichsten Körpern im Sonnensystem. Unverändert durch geologische Prozesse ziehen sie seit Milliarden Jahren ihre Bahnen um die Sonne. Durch ihre Untersuchung ist es möglich, Prozesse und Umgebungsparameter aus der Frühzeit des Sonnensystems zu studieren und so auch die Entstehungsgeschichte von Planeten besser zu verstehen.

Zugriff auf unkontaminiertes Gestein

Doch so ursprünglich die extraterrestrischen Bruchstücke einst auch waren, beim Flug durch die Erdatmosphäre schmelzen sie an, sie landen im Staub von Wüsten oder im Schnee von Eiswüsten. Beides sind hervorragende Fundorte für Meteoriten, da in der kargen Landschaft neu gefallene Objekte besonders augenfällig sind. Meteoriten sind so, gelandet auf der Erde, mit irdischem Material aller Art verunreinigt.

Und so kam man auf die Idee, dort zuzugreifen, wo kein irdisches Stäubchen zu finden sein sollte: auf dem Mond.

Mit Apollo 11 landeten am 20. Juli 1969 erstmals zwei Menschen auf unserem Trabanten: Neil Armstrong und Edwin »Buzz« Aldrin. Neben dem berühmten »kleinen Schritt« bauten die Astronauten zahlreiche Instrumente auf, etwa zur Vermessung des Sonnenwindes oder Seismometer, und holten anschließend ihre Werkzeugkiste heraus. Mit Hämmern, Schaufeln und Bohrern bearbeiteten sie die Oberfläche und sammelten – ganz klassisch per Hand – insgesamt 21 Kilogramm Mondgestein, das wenig später in Laboren weltweit untersucht wurde. Die eingestaubten, dunklen Brocken sahen auf den ersten Blick zwar wenig spektakulär aus, doch lieferten die Analysen schnell einige unerwartete Ergebnisse – etwa, dass der Mond fast genauso alt sein musste wie die Erde und geologisch zahlreiche Übereinstimmungen zeigte.

Beim mitgebrachten Mondmaterial wurde es kurz nach der Landung übrigens ganz schnell wieder sehr irdisch: So mussten die Astronauten hierfür eine ganz normale Zollerklärung ausfüllen. Eine genaue Angabe ihres Reiseweges und die Beschreibung des Frachtguts gehörte dazu, ordentlich abgezeichnet vom zuständigen Zollinspektor am Flughafen Honolulu.

Insgesamt brachten die Apollo-Missionen zwischen 1961 und 1972 rund 380 Kilogramm Mondgestein zur Erde, aufgeteilt auf etwas mehr als 2400 Proben, der Mondbrocken »Big Muley« mit 11,7 Kilogramm ist dabei das schwerste Objekt.

Deutlich weniger sammelte die sowjetische unbemannte Sonde »Luna 16« im Jahr 1970 – gerade einmal 101 Gramm Mondgestein hatte sie auf ihrem Rückweg zur Erde im Gepäck. Doch die Mission war aus einem anderen Grund ein wissenschaftliches Schwergewicht: Mit Luna 16 gelang es erstmalig, vollautomatisch, also nur mit dem Einsatz von Robotern, eine Mondprobe zu entnehmen und unversehrt zurück zur Erde zu bringen.

Die Sonne im Fokus

Die Wissenschaftler strahlten – und das Auktionshaus Sotheby's auch: 2018 wurden 0,2 Gramm von Lunas Gestein für 855 000 Dollar verkauft. Mit der erfolgreichen Mission rückte ein weiteres, leuchtendes Ziel ins Zentrum des Interesses: die Sonne. Nun ist es selbst mit den besten Handschuhen nicht möglich, in deren 5500 Grad Celsius heiße Oberfläche zu greifen. Doch mit der Raumsondenmission »Genesis« (Start 2001), der ersten Rückholmission seit Apollo und Luna, sollte der sogenannte Sonnenwind untersucht werden. Der Strom geladener Teilchen wird stetig von der Sonne fortgeblasen und erlaubt es – in sicherem Abstand – die genaue Zusammensetzung unseres Zentralsterns sehr präzise zu bestimmen. Dazu wurden hochreine Kollektoren aus Gold, Saphir, Diamant und Silizium verschiedenen Sonnenwindregimes ausgesetzt und anschließend in einer Probenkapsel zurück zur Erde gebracht. Ein versagender Landefallschirm sorgte zwar für einen Dämpfer bei der Mission, doch blieben einige Kollektoren trotz einer Aufschlagsgeschwindigkeit von mehr als 300 Kilometern pro Stunde intakt und konnten untersucht werden.

Geplant war auch, einen Teil der Proben als Rücklage an Sonnenmaterie für zukünftige Wissenschaftler anzulegen – auch das allgemein ein großer Anreiz des außerirdischen »Jagens und Sammelns«. Denn ist das Material erst einmal auf der Erde archiviert, kann es auch zu einem späteren Zeitpunkt mit verbesserten oder sogar neuen Techniken untersucht werden. So wurde etwa kürzlich mit dem Nasa-Programm ANGSA (Apollo Next Generation Sample Analysis Program) ein Arbeitsgruppenverbund gegründet, der ausgewählte Proben des Apollo-Programms mit den technologisch neuesten Methoden untersuchen soll.

Wenige Jahre später begann ein japanischer »Wanderfalke« (so die Übersetzung des japanischen Missionsnamens »Hayabusa«) seinen ersten Anflug auf den erdnahen Asteroiden Itokawa. Erstmals sollten Proben von einem solchen astronomischen Kleinkörper entnommen und auf die Erde gebracht werden. Da die Gravitation des rund 330 Meter langen, erdnussförmigen Objekts (eher ein dichter Zusammenschluss von Gestein denn ein kompakter Klotz) nicht ausreichte um die Sonde in einem Orbit zu halten, parkte »Hayabusa« im Abstand von rund sieben Kilometern in einer den Asteroiden begleitenden Umlaufbahn um die Sonne.

Heftige Sonnenstürme und technische Schwierigkeiten erschwerten die Probennahmen, doch im November 2005 griff »Hayabusa« zu. Dazu näherte sich die Sonde dem Asteroiden kurzzeitig und setzte eine Art »Staubtrichter« auf der Oberfläche ab. Seitlich an dem Trichter war eine Schussvorrichtung angebracht, die eine kleine Kugel mit 300 Metern pro Sekunde in die Oberfläche abfeuerte und dadurch Staub aufwirbelte, der dann »abgesaugt« werden konnte. Das Manöver verlief erfolgreich und die Probenkapsel kehrte intakt zur Erde zurück. Eine Analyse ergab, dass Itokawa vermutlich aus Fragmenten eines weitaus größeren Asteroiden bestand, der auseinanderbrach. Die Oberfläche der Fragmente war anschließend acht Millionen Jahre dem freien Weltall ausgesetzt.

Spuren von Aminosäuren und Wasser

Mit »Hayabusa 2« führte die japanische Weltraumagentur einige Jahre später eine weitere erfolgreiche Probenrückholmission zum Asteroiden Ryugu durch: Die Kapsel landete am 5. Dezember 2020 erfolgreich wieder auf der Erde. Erste Analysen der Proben zeigten nicht nur mehr als zehn verschiedene Typen von Aminosäuren, den Grundbausteinen des Lebens, sondern auch Hinweise auf das frühe Vorhandensein von Wasser, das vor Jahrmillionen die komplexe Chemie des Asteroiden mitgestaltete.

Der Typ der »kohligen Chondrite«, ein seltener Typ der Steinmeteorite, zu dem auch Ryugu gehören würde, überlebt nur selten leidlich intakt den Flug zur Erdoberfläche. Die unberührte Probe erlaubte somit einen außergewöhnlichen Einblick in jenen Gesteinstyp – und kann womöglich Antworten auf die Frage geben, wie die junge Erde einst ihre beträchtlichen Wasservorräte ansammelte.

Und mit »Wild 2« bekam im Rahmen der Stardust Mission der Nasa pünktlich zum Start des neuen Jahrtausends auch ein Komet irdischen Besuch. Die Sonde flog in zwei Sammelphasen durch die Koma (die schalenförmige Materiewolke, die sich bei Sonnenannäherung um den Kometenkern bildet) und sammelte in den »schwammartigen« Aerogel-Kollektoren Kometenpartikel. Da das Aerogel ein extrem poröser Festkörper ist, dessen Volumen zum allergrößten Teil aus Hohlräumen besteht, zerschlagen die schnellen Teilchen den Kollektor nicht – sondern bleiben »irgendwann« einfach stecken.

Und nun also »Osiris-Rex«, die Nasa-Mission, die sich 2016 auf den Weg zum Asteroiden Bennu machte. Während der Beobachtungsphase wurde die Oberfläche nach einem geeigneten Probennahmeort abgesucht und die Sonde schrittweise auf einen Orbit nur 374 Meter über der Oberfläche abgesenkt. Im Oktober 2020 näherte sich »Osiris-Rex« dem Asteroiden auf wenige Meter und setzte einen Roboterarm auf, der mithilfe eines Stickstoff-Gebläses Probenmaterial aufwirbelte und beherzt zulangte. Dabei drang das Entnahmeinstrument rund 50 Zentimeter in die Oberfläche des Asteroiden ein.

Rund ein halbes Jahr später überflog die Sonde, mittlerweile in einer Umlaufbahn fast vier Kilometer über der Oberfläche, noch einmal die Probenentnahmestelle und nahm hochaufgelöste Bilder des »Nightingale« getauften Ortes auf, um die Auswirkungen der Entnahmeprozedur zu dokumentieren. Im Mai 2021 trat die Probenkapsel mit rund 250 Gramm Material ihren Rückweg zur Erde an – und landete im September 2023, sanft mittels Fallschirm, in der Großen Salzwüste von Utah in den USA.

Eine noch ungeöffnete Probenkapsel

Und garantiert unkontaminiert sind die Proben tatsächlich: Zwei der insgesamt 35 Deckelschrauben widersetzen sich bisher hartnäckig allen Öffnungsversuchen. Jetzt sollen extra neu konstruierte Schraubenzieher helfen, die Box des Bennu zu öffnen. Für etwas Vorfreude sorgte allerdings schon etwas Asteroidenstaub, der an der Außenhaut des Probenbehälters gefunden wurde – und bei ersten Analysen eine unerwartete Zusammensetzung zeigte. Aber auch Bekanntes, wie Kohlenwasserstoffe, Karbonate und Sulfidminerale, wurde in den Proben gefunden und lässt auf weitere bedeutsame Funde hoffen.

Da drücken wir doch den Nasa-Wissenschaftlern die Daumen, dass sie schon bald die beiden noch fehlenden Schrauben locker haben und das neue Jahr viele weitere spannende Einblicke in die Frühzeit unseres Sonnensystems bringt – mit all seinen Gesteins- und Gasplaneten, dem Meteoritenkonfetti und der einen riesengroßen Wunderkerze mittendrin.

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