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Wolfgang Schäuble: Loyal gegenüber Autoritäten
Er hat beim Aushandeln des Einigungsvertrages das konservative System stabilisiert. Zum Tode von Wolfgang Schäuble
Nur kurz übte Wolfgang Schäuble beim Finanzamt Freiburg seinen eigentlichen Beruf aus. Der promovierte Jurist und studierte Ökonom wurde schon mit 30 Jahren für die CDU in den Bundestag gewählt. Sein Aufstieg begann in der Ära Helmut Kohls, der ihn 1984 zum Minister für besondere Aufgaben machte. Früh hatte Schäuble sich durch hohen Sachverstand und durch die Fähigkeit empfohlen, komplizierte Verhandlungen geräuschlos und erfolgreich zu führen. Das galt für dubiose Waffengeschäfte ebenso wie für die delikaten Beziehungen zur DDR. Er bereitete 1987 den Honecker-Besuch in Bonn vor und handelte gut zwei Jahre später den Einigungsvertrag aus.
Schäuble war zeitlebens zuerst ein politischer Mensch. Die Philosophie des badischen Beamtensohns war vom Konservatismus in Elternhaus und heimatlichem Umfeld ebenso geprägt wie von nüchternem, jedoch in der Sache selten opportunistischem Pragmatismus. Letzterer offenbarte sich lediglich in beinahe bedingungsloser Loyalität gegenüber Autoritäten – ob sie Helmut Kohl oder Angela Merkel hießen. Zum innerparteilichen Putschisten taugte Schäuble nicht; er selbst nannte das einmal »die Bereitschaft, Führung zu ertragen«. Zwar spielte der leidenschaftliche Berufspolitiker Schäuble auf diese Weise stets tonangebend im politischen Orchester der Bundesrepublik mit, aber zum Dirigenten auf dem Podium hat er es nie geschafft. Er blieb stets in der zweiten Reihe, war dort aber unverzichtbar, gab daher häufig die erste Geige für den Orchesterleiter.
Kanzler Kohl hatte ihn im Frühjahr 1989 zum Innenminister gemacht. Er brauchte jemanden, der das inzwischen als allzu großzügig empfundene deutsche Asylrecht wirkungsvoll einschränkte. Schäuble lieferte und scheute sich nicht, von der DDR die von ihr mit der Mauer betriebene Abschottung gegenüber den eigenen Bürgern auch in Bezug auf in die Bundesrepublik strebende Ausländer zu verlangen. Bei der Aushandlung des Einigungsvertrages nutzte Schäuble die Schwäche der DDR-Regierung und die mangelnde Kompetenz ihres Unterhändlers Günther Krause gnadenlos aus und setzte die Interessen der alten Bundesrepublik konsequent um – immerhin aber mit so viel Augenmaß, dass die Folgen vieler Entscheidungen ein wenig gemildert wurden, was ihre negative Gesamtwirkung nicht verhinderte.
Das damals als erfolgreich bewertete Agieren Wolfgang Schäubles machte ihn bald zum »Kronprinzen« für die Zeit nach Kohl, der ihn allerdings im Einheitsjahr 1990 noch nicht fürchten musste – erst recht nicht nach dem Attentat am 12. Oktober jenes Jahres, das den Politiker vom dritten Brustwirbel abwärts lähmte und in den Rollstuhl verbannte. Ende 1991 wurde er Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und initiierte wichtige Entscheidungen zur Stabilisierung des konservativ-bürgerlichen Systems – ob durch das Fernhalten unerwünschter Asylbewerber, den Abbau sozialer Errungenschaften oder frühzeitige Forderungen nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern, ob durch die Beteiligung deutscher Soldaten an Uno-Einsätzen oder die Orientierung auf eine von deren starken Ländern dominierte EU. Innenpolitische Zuspitzungen vermied er, versuchte vielmehr, die SPD und ab Mitte der 90er Jahre sogar die Grünen ins eigene Boot zu holen. Damals erwies sich das als kontraproduktiv und dürfte nicht unwesentlich zur Wahlniederlage 1998 beigetragen haben.
Der Fraktionschef, den Kohl offensichtlich nie für einen geeigneten Nachfolger gehalten hatte, der aber nun von ihm den CDU-Vorsitz übernahm, strebte die schnelle Rückkehr seiner Partei an die Macht an. Zunächst mit gewissem Erfolg, aber die Aufholjagd gegenüber der rot-grünen Regierung wurde Ende 1999 durch einen Spendenskandal jäh gestoppt. Er verbannte Schäuble endgültig in die zweite Reihe – vordergründig wegen seiner Verwicklung in die Affäre, mehr aber wohl deshalb, weil sein Typ eines Politikers, den trotz flexiblen Vorgehens eine gewisse Prinzipientreue auszeichnet, den gesellschaftlichen Veränderungen nicht ausreichend gerecht werden konnte. Jetzt waren die Beliebigen, die Pragmatischen gefragt; die immer wieder beklagte Götterdämmerung des Konservatismus nahm damals ihren Anfang.
Gänzlich konnte und wollte die Union auf die letzte ernst zu nehmende konservative Galionsfigur nicht verzichten; sie brauchte Schäuble auch ob seines Scharfsinns und taktischen Geschicks. Aber in die erste Reihe ließ ihn die neue Vorsitzende Merkel nicht mehr aufsteigen – weder bei der Bewerbung als Berlins Regierender Bürgermeister noch bei der Kandidatur zum Bundespräsidenten 2004. Aber sie berief ihn ein Jahr später zum Innenminister der Koalition mit der SPD – und Schäuble vergaß alle Demütigungen, konnte der Droge Politik nicht widerstehen.
Konzeptionell blieb er seinem Credo vom starken, systemsichernden Staat treu. Unter Hinweis auf die Terrorgefahr versuchte er wie in einer Torschlusspanik wesentliche demokratische Rechte abzubauen und Befugnisse für die Sicherheitsorgane auszuweiten. Ob Kameraüberwachung oder Online-Durchsuchung von Computern, ob Rasterfahndung oder Vorratsdatenspeicherung bei Telefonnutzern, ob »finaler Rettungsschuss« oder präventiver Abschuss von Passagierflugzeugen zur Terrorbekämpfung, ob Ausweitung von Polizeibefugnissen oder Relativierung des Folterverbots – stets ließ Schäuble eine Missachtung rechtsstaatlicher Standards erkennen. Mit vielen dieser Initiativen scheiterte der »Verfassungsminister« allerdings, doch war dies weniger das Verdienst des Koalitionspartners SPD als vielmehr des Bundesverfassungsgerichts.
Insofern war es wohl kein Zufall, dass die Kanzlerin bei der Regierungsbildung mit der FDP auf die weitere Verwendung Schäubles im Innenressort verzichtete und dort stattdessen ihren Vertrauten Thomas de Maizière platzierte. Der einstige Finanzbeamte Schäuble übernahm die Aufgabe, die Einnahme- und Ausgabenpolitik des Staates zwischen den Erfordernissen sozialer Balance und der klientelistischen Steuersenkungspolitik vor allem der Freidemokraten hindurch zusteuern – auch keine Erfolgsgeschichte. Erst mit den Vorgängen um die Kreditwürdigkeit Griechenlands 2015 änderte sich die Lage. CDU/CSU-Abgeordnete kritisierten zunehmend das von ihnen als zu lasch empfundene Vorgehen Angela Merkels in dieser Frage; sie brauchte nun den Finanzminister und seine beinharte Position.
Mit scharfem Verstand hatte Schäuble schnell erkannt, dass die Syriza-Linken ein ganz anderes Europa bauen wollten, als es ihm vorschwebte. Er taktierte bis zur Grexit-Drohung und zwang damit Griechenland den Verzicht auf einen wesentlichen Bestandteil seiner Souveränität auf: den Treuhandfonds, in den das Land 50 Milliarden Euro seines Staatsvermögens einbringen und damit privatisieren musste, um durch den Verkauf vorrangig die Forderungen der Gläubiger zu bedienen. An Athen exerzierte Schäuble vor, wie er sich die »beschränkte Souveränität« innerhalb der EU vorstellt.
Der persönlichen Karriere half das indes wenig. Nach den Wahlen 2017 nominierte ihn die Unionsfraktion für die Funktion des Bundestagspräsidenten, die mit politischem Einfluss kaum verbunden ist. Er füllte sie gewohnt diszipliniert und souverän bis 2021 aus und wurde noch einmal in den Bundestag gewählt. Nun geht der am 26. Dezember Verstorbene als der mit 51 Jahren »am längsten amtierende Abgeordnete der deutschen Parlamentsgeschichte auf nationaler Ebene seit der konstituierenden Sitzung des ersten gesamtdeutschen Parlaments … in der Frankfurter Paulskirche« ein, wie Wikipedia errechnet hatte; damit habe er sogar den bisherigen Rekordhalter August Bebel überholt. Immerhin – am Ende noch ein kleiner Sieg über die SPD!
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