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Luftverschmutzung in Polen: Krakau atmet auf
Maßnahmen gegen den Smog in Polens zweitgrößter Stadt zeigen Wirkung. Doch Entwarnung gibt es noch nicht
Katarszyna Babiak blickt aus dem Fenster und ist frustriert. Die vielen Tourist*innen, die den Weihnachtsmarkt in der historischen Altstadt Krakaus besuchen, werden nicht über die schlechte Luftqualität in der Stadt informiert. »An vielen größeren Straßen gibt es Messpunkte, welche die Luftqualität überwachen und diese Informationen auf großen Displays anzeigen«, erklärt die 38-Jährige. »Je nach Luftqualität lächelt ein Smiley oder macht ein betrübtes Gesicht.« Keine dieser Anzeigetafeln befindet sich jedoch auf dem malerischen Marktplatz in der Altstadt.
Seit nunmehr 17 Jahren lebt Katarszyna Babiak mit ihrer 19-jährigen Tochter und ihrem achtjährigen Sohn in der Innenstadt von Krakau – und ist dem Smog ausgesetzt. Verursacht wird der vor allem durch das Verbrennen von Kohle und Holz. Aber auch der Straßenverkehr, die Nähe zu großen Industrieanlagen und die geografische Lage Krakaus in einem Tal tragen dazu bei.
Während Katarszyna Babiak auf ihrem Handy nach der Vorhersage der Luftqualität für die kommenden Tage schaut, erzählt sie, dass sie an den Wochenenden häufig mit ihren Kindern die Stadt verlässt. »Es ist wichtig, frische Luft zu atmen.« Aber nicht alle der 780 000 Menschen, die in Krakau leben, können es sich leisten, mehrmals im Monat in die Berge zu fahren. »Eigentlich verrückt, dass man am Freitagabend nur darüber nachdenkt, wohin man fliehen könnte.« Dass sie so stark auf den Smog reagiert, könnte auch an ihrer Empfindlichkeit gegenüber äußeren Einflüssen liegen. »Eine Kollegin hat mir ihren Hund für ein paar Tage anvertraut«, erzählt sie. »Ich bin mehrmals täglich mit ihm spazieren gegangen, und am Ende der Woche fühlte ich mich schlecht, weil ich viel in der belasteten Luft unterwegs war. Zwei Wochen lang verspürte ich danach bei jedem Atemzug Schmerzen.«
Welche Auswirkungen Smog auf die Gesundheit hat, das erforscht die Allergologin Ewa Czarnobilska. »Luftverschmutzung erhöht das Risiko für Allergien und kann Asthma, allergische Rhinitis, Hautausschläge und Nahrungsmittelallergien auslösen oder verschlimmern.« Besonders bei Kindern zeigten sich die negativen Auswirkungen aufgrund der unvollständig ausgebildeten Atemwege und ihres schwächeren Immunsystems, erklärt die Medizinerin, die die Abteilung für Toxikologie und Umweltkrankheiten am Collegium Medicum der Jagiellonen-Universität in Krakau leitet. Zudem nähmen Kinder im Vergleich zu Erwachsenen mehr Feinstaub pro Körperoberfläche auf. »Luftverschmutzung schädigt die Schutzschicht der Atemwege und das Immunsystem, wodurch Atemwegsinfektionen begünstigt werden und Allergene leichter eindringen können.«
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Zusammen mit ihrem Team führte Ewa Czarnobilska eine Studie durch, mit der sie die Existenz einer Allergie gegen Feinstaub nachweisen konnte. »Unser dreijähriges Projekt entstand, da wir eine steigende Anzahl von Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen, Schnupfen, Husten und Atembeschwerden in Herbst und Winter beobachteten«, erläutert sie. Als diese Patient*innen Orte mit sauberer Luft besuchten, verschwanden ihre Beschwerden. Da die Ärzt*innen die genaue Ursache nicht identifizieren konnten, entschieden sie sich, die Reaktionen auf Smog zu untersuchen und wiesen nach, dass Smog ein Allergen ist. »Aktuell existiert der Begriff ›Smogallergie‹ in der klinischen Wissenschaft nicht, aber dies könnte sich bald ändern«, meint Ewa Czarnobilska. Auch der Urin von gesunden Personen sei im Rahmen der Studie untersucht worden, die dem Krakauer Smog ausgesetzt waren. Bei allen Proband*innen befanden sich darin Hinweise auf krebserregende Stoffe. Die Medizinerin hält das für bedenklich. Die Forschungsergebnisse zeigten, wie Umweltfaktoren zunehmend als Ursache für Krankheiten in Betracht gezogen werden müssen.
Smog bedingt in Polen rund 50 000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr. In manchen Fällen empfehlen Ärzt*innen einen Wohnortwechsel – wenn die entsprechenden Personen zu einer erhöhten Smogempfindlichkeit neigen. »Obwohl wir Umweltverschmutzung nicht vollständig vermeiden können, reagiert der Körper besser, wenn er geringeren Mengen ausgesetzt ist«, sagt Ewa Czarnobilska. Eine Empfindlichkeit für Luftverschmutzung wird maßgeblich von der genetischen Faktoren beeinflusst, also der Fähigkeit des Körpers, gegen schädliche Substanzen anzukämpfen, aber auch vom Alter und der Ernährung.
Magdalena Kozłowska gehört zu den Personen, die seit langem der Smogbelastung in Krakau ausgesetzt sind. Trotzdem hat sie nie ernsthaft über einen Umzug nachgedacht. Aber große Sorgen macht sie sich dennoch. Im Dezember 2012 stieß sie auf die Facebook-Seite der Initiative Krakauer Smog-Alarm, die zu diesem Zeitpunkt gerade ins Leben gerufen worden war und rasch populär wurde. Viele Menschen teilten dort ihre Geschichten und Erfahrungen. Einige schlugen vor, sich in einem Café zu treffen und sich auszutauschen. Magdalena Kozłowska entschied sich, daran teilzunehmen und schloss sich der Initiative an.
Nach und nach verfestigten sich die Strukturen der Gruppe, und die Aktivist*innen gründeten einen Verein. Bald darauf suchten auch Menschen aus anderen Regionen mit ähnlichen Problemen ihre Unterstützung. »Uns hat das gezeigt, dass Umweltverschmutzung keine Grenzen kennt und es erforderlich ist, über die lokalen, regionalen und globalen Auswirkungen nachzudenken«, erzählt Magdalena Kozłowska. Anderswo entstanden ähnliche Initiativen. »Heute haben wir etwa 50 lokale Smog-Alarm-Gruppen in Polen. In Dörfern, kleinen Städten und Metropolen.« Zudem entstand die nationale Plattform Polish Smog Alarm. »Wir fungieren als Sekretariat dieser Organisation und arbeiten an nationalen Richtlinien.«
Von Beginn drangen die Aktivist*innen darauf, das Verbrennen fester Stoffe in Krakau zu verbieten. Dokumente des Umweltamtes bestätigten nämlich ihre Vermutung, dass dies die Hauptquelle der Luftverschmutzung in Krakau ist. »Unsere Analyse ergab, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien eine Lösung wäre«, erklärt Magdalena Kozłowska.» Deshalb beschlossen wir, eine Petition zu starten, um zu zeigen, dass ein Verbot der Verbrennung fester Brennstoffe von der Öffentlichkeit unterstützt wird.« Zugleich dürften ärmere Bevölkerungsschichten nicht vergessen werden, meint sie. Für die seien Unterstützungsprogramme nötig.
Ein Meilenstein war im September 2019 das Verbot der Installation von Holz- und Kohleheizungen. Krakau war damit Vorreiterin in Polen. Für den Wechsel wurden finanzielle Anreize bereitgestellt, wobei insbesondere jene, die rasch auf umweltfreundlichere Heizungen umstiegen, staatliche Unterstützung erhielten. Diese Schritte führten zu einer spürbaren Verbesserung der Luftqualität in vielen Stadtteilen: »Der Geruch ist nicht mehr so stark wie früher«, sagt Magdalena Kozłowska. Die Feinstaubwerte sind in Krakau deutlich gesunken.
Auch Ewa Czarnobilska beobachtet eine Verbesserung der Luftqualität. Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat die Ärztin mit ihrem Team in einer epidemiologischen Studie 75 000 Schulkinder in Krakau zur Luftverschmutzung und damit verbundenen Krankheiten befragt. »Unsere Analyse konzentrierte sich auf Schulkinder mit Symptomen von allergischen Erkrankungen.« Von diesen zeigten in der ersten Studie 2008 rund 22 Prozent Anzeichen von Bronchialasthma. Bis 2018 sank der Anteil der Asthmaerkrankungen bei Kindern auf etwa 6 Prozent. Die Ärztin und ihr Forschungsteam verglichen diese Ergebnisse mit den durchschnittlichen Werten der Schadstoffkonzentration in der Luft, sie fanden heraus, dass die Menge an winzigen Schadstoffen (PM2,5) und etwas größeren Schadstoffen (PM10) in dieser Zeit tatsächlich gesunken war.
Den Rückgang von Allergien führt die Medizinerin Ewa Czarnobilska aber vor allem auf die Sensibilisierung der Einwohner*innen für die Gefahren von Smog zurück. Um effektiv gegen Smog anzukämpfen, seien jetzt weitere strukturelle Veränderungen erforderlich. Die Einführung einer Umweltzone sei ein positiver Schritt, meint sie. Im Juli soll sie in Krakau in Kraft treten, dann gibt es Fahrverbote für emissionsreiche Fahrzeuge.
Auch die Aktivistin Magdalena Kozłowska hält das, was in Krakrau erreicht wurde, für einen Erfolg – aber sie macht Abstriche: Auch wenn die Feinstaubwerte mittlerweile innerhalb der europäischen Normen lägen, seien die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation noch in weiter Ferne. »Zwar ist das Verbrennen bestimmter Brennstoffe in der Stadt nicht mehr gestattet, aber außerhalb der Stadtgrenzen ist das nach wie vor erlaubt.« Es brauche Lösungen, die für die gesamte Region gelten, damit die Menschen auf alternative und umweltfreundlichere Energiequellen umsteigen.
Katarzyna Babiak hat das schon gemacht. Sie schiebt in ihrer Wohnung auf Zehenspitzen stehend Salz- und Pfefferstreuer sowie Konservendosen beiseite, bis sie eine weiße Einrichtung in einem ihrer Küchenschränke freilegt: die elektrische Heizung. Während sie Spinnweben von der Oberfläche der Einrichtung entfernt, erklärt sie, dass das Heizen mit Strom teuer ist. »Für meine etwa 50 Quadratmeter große Wohnung muss ich mindestens 1000 Złoty bezahlen.« Das entspricht ungefähr 250 Euro, was oft ein Drittel bis ein Viertel des monatlichen Einkommens der Krakauer*innen ausmacht. Manche Menschen können sich das nicht leisten. »Die ältere Frau nebenan bezieht nur eine kleine Rente. In ihrer Wohnung hat es den ganzen Winter über nur 13 Grad«, berichtet Katarzyna Babiak, während sie aus dem Fenster auf ein benachbartes Grundstück deutet. »Einige heizen trotzdem mit Holz, indem sie zum Beispiel alte Möbel verbrennen.« Das ist illegal. Die Polizei überwacht mittels Drohnen, ob ungewöhnlicher Rauch auffällt. »Aber nachts fliegen sie nicht. Das nutzen einige Menschen aus.«
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