Tucholsky-Museum in Rheinsberg bedroht

Verhandlungen zur Übernahme durch den Landkreis unter keinem guten Stern

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Die ersten Exemplare von »Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte« vertrieb Kurt Tucholsky 1912 auf dem Berliner Kurfürstendamm. Wer sein Buch erwarb, bekam einen Schnaps gratis. Ein Verlustgeschäft, das aber Aufsehen erregte. Danach verkaufte sich die Erzählung hervorragend. Wie sein Namensgeber 1912 braucht das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum in Rheinsberg heute Geld. 180 550 Euro steckte die Stadt im Jahr 2022 hinein. Das Land Brandenburg gab 65 000 Euro und der Landkreis Ostprignitz-Ruppin 14 800 Euro. Den Stadtverordneten Freke Over (Linke) wundert das nicht. »Kultur hat Zuschussbedarf. Das ist bei jedem Literaturmuseum so.«

Rheinsberg will die Leitung des Museums und der Touristeninformation zusammenlegen, wenn Museumsdirektor Peter Böthig Ende März in den Ruhestand tritt. Das wäre eine Sparmaßnahme, mit der die Stadt trotz finanzieller Schwierigkeiten einen Kredit für die Sanierung ihrer Grund- und Oberschule aufnehmen darf. Doch für Kommunalpolitiker Over hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. »Wenn das Museum weg ist, können wir keine Straße mehr bauen und keine Schule mehr sanieren«, sagt er. Denn die Stadt finanziere ihren Anteil am Unterhalt des Museums aus Kurtaxe und Tourismusabgabe. Kurgäste zahlen 1,60 Euro pro Übernachtung, Hoteliers wie Freke Over – ihm gehört das Ferienland Luhme – rund 25 Euro pro Bett und Jahr. Diese Mittel dürften aber nicht für Straßen und Schulen verwendet werden. Was die Haushaltssicherung betreffe, habe Rheinsberg das Wesentliche bereits getan, etwa Grund- und Gewerbesteuer auf den Landesdurchschnitt angehoben und die Hundesteuer um zehn Euro pro Tier erhöht.

Die Sorge, das Tucholsky-Museum könnte abgewickelt werden, erregte Ende 2023 bundesweit Aufsehen. Die mögliche Übernahme durch den Landkreis schien die ersehnte Rettung. Am 18. Dezember beschlossen die Stadtverordneten einstimmig, Bürgermeister Frank-Rudi Schwochow (Freie Wähler) solle darüber mit Landrat Ralf Reinhardt (SPD) verhandeln. Der Bürgermeister hat dem Landrat ein erstes Treffen am 19. Januar vorgeschlagen.

Doch der Stadtverordnete Over bedauert: »Die Zukunft des Museums ist in keiner Weise gesichert.« Er prophezeit, Bürgermeister Schwochow werde die Verhandlungen im Sommer platzen lassen, »weil es eine ideologische Frage für die Freien Wähler ist«. Diese wollen das Museum schließen, ist Over überzeugt.

Bürgermeister Schwochow bestreitet das. Der Ausgang sei offen, versichert er »nd« am Mittwoch. Es hänge von verschiedenen Details ab. So möchte die Stadt die wertvolle, auf eine halbe Millionen Euro geschätzte Sammlung nicht aus der Hand geben. Das ließe sich allerdings über einen Leihvertrag regeln, bestätigt Schwochow. Der Landkreis habe aber kein Interesse, auch das Museum für den Polarforscher Alfred Wegner im Ortsteil Zechliner Hütte zu übernehmen, das vom Tucholsky-Museum mitverwaltet werde. Außerdem sei zu klären, ob sich der Landkreis um das Sommertheater kümmern würde, wofür bisher ebenfalls das Museum verantwortlich zeichne. Müsste die Stadt dafür neues Personal einstellen, würde dies den Haushalt belasten, argumentiert Schwochow. Schon im Dezember hatte er erklärt, das Angebot des Landkreises sei »nicht besonders attraktiv«. Nun bekräftigt Schwochow, wenn der Landkreis keinen besseren Vorschlag unterbreite, werde nichts daraus.

Auf Antrag von SPD, CDU und Linke und gegen den Willen des Bürgermeisters haben die Stadtverordneten mit zehn zu neun Stimmen am 18. Dezember beschlossen, den Wegfall der Stelle des Museumschefs bis 1. April auszusetzen. Böthig solle vorerst weitermachen und die Verhandlungen mit dem Landkreis kompetent begleiten, erläutert Over die Absicht dahinter.

Doch Frank-Rudi Schwochow will den Beschluss beanstanden. Er habe die Personalhoheit, die Stadtverordneten dürften so etwas nicht verbindlich beschließen, sondern zum Beispiel nur darum bitten, sagt er. Außerdem möchte Schwochow in dieser Frage unverändert am Haushaltssicherungskonzept festhalten. Wenn die Stadtverordneten ihren Beschluss am 26. Februar bekräftigen, will der Bürgermeister das erneut beanstanden. Dann müsste die Kommunalaufsicht der Kreisverwaltung darüber befinden, was rechtens ist.

Die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) warnt: »Damit ist gar nichts gesichert und die Situation ist noch prekärer.« Johlige war im Dezember nach Rheinsberg gefahren und hatte die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung verfolgt. Vermutet wird, der Bürgermeister spiele auf Zeit, um Museumschef Böthig loszuwerden und den Posten an den Kreistagsabgeordneten Daniel Pommerenke (AfD) zu vergeben, der in der Touristeninformation arbeitet. Schwochow versichert allerdings, das werde nicht geschehen.

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