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Verdi-Tarifergebnis sorgt bei Gewerkschaftern für Wut

Beschäftigte des öffentlichen Dienstes rufen zur Ablehnung des Verdi-Tarifergebnisses auf

  • Interview: Christian Lelek
  • Lesedauer: 7 Min.
Was sind gute Tarife? Eine Streitfrage bei Verdi
Was sind gute Tarife? Eine Streitfrage bei Verdi

Laut Verdi-Vorsitzendem Frank Werneke kann sich das Tarifergebnis für die Beschäftigten der Länder »absolut sehen« lassen. Er spricht von einem Erfolg, den die Beschäftigten erstritten haben. Ihre Petition rät nun, bei der Mitgliederbefragung das Ergebnis abzulehnen und die Streikbewegung fortzusetzen. Wieso?

Vera Musmann (VM): Ich finde das Ergebnis eine Frechheit. Wir rufen als kleine Betriebsgruppe eines sogenannten Anwenderbetriebs dazu auf, das Ergebnis abzulehnen. Denn wir sind weit weg von dem, was wir gefordert haben. Dafür waren wir nicht auf der Straße. Wir sind mit einer Laufzeit von einem Jahr angetreten, rausgekommen sind zwei Jahre. Wir sind mit tabellenwirksamen Lohnerhöhungen angetreten. Die gibt es jetzt erst im November 2024. Bis dahin gibt es eine gestückelte Einmalzahlung von 3000 Euro. Davor gab es die letzte Erhöhung 2022. Dieses Ergebnis hilft uns nicht weiter. Wir haben Probleme, die Mieten, die Einkäufe zu zahlen. Es brennt überall und das ist einfach nicht ausreichend.

Claudius Naumann (CN): Entscheidend ist bei Lohnerhöhungen das Tabellenentgelt für die Beschäftigten, weil jede prozentuale Lohnerhöhung auf dem aufbaut, was in dieser Entgelttabelle steht. Frank Werneke selbst hat die Einmalzahlung vor der Tarifrunde als vergiftetes Geschenk bezeichnet, denn es funktioniert wie ein Türmchen, auf das immer etwas aufgeschichtet wird. Aber diesmal wird nichts aufgeschichtet. Stattdessen bekommen wir eine Beruhigungspille bis zur nächsten echten Erhöhung. Jetzt gibt es 13 sogenannte Nullmonate ohne Lohnerhöhung, bei der letzten Runde waren es vierzehn. Das ist also kein einmaliges Problem. Das bedeutet über mehrere Jahre Reallohnverlust.

Über wie viel Geld reden wir eigentlich?

VM: Das kommt darauf an, was du machst. Im Lehrkräftebereich fängst du vielleicht mit einer E9 an (Anm. d. Red.: 3140 Euro). Wenn du studiert hast, kannst du auch höher einsteigen. Wenn du im Verwaltungsbereich als Sachbearbeiterin anfängst, wahrscheinlich auch in einer E9, im Schulsekretariat in Berlin in einer E6 (2730 Euro).

CN: Wir reden hier vom Tarifvertrag der Länder (TV-L). Der Lohn im TVöD (des Bundes und der Kommunen) ist im Schnitt zehn Prozent höher. Jetzt wird gesagt, es würde die Lücke geschlossen, aber das ist Quatsch, denn die beiden Abschlüsse wirken versetzt. Die Differenz wird bis 2025 bleiben, was auch das Spezialproblem für uns verursacht, dass viele in den TVöD abwandern. Eine Laufzeit von einem Jahr wäre die Chance gewesen, das zu synchronisieren.

Wie wirken sich die aus Ihrer Sicht schwachen Abschlüsse auf die Situation in Ihren Betrieben aus?

VM: Es bewirbt sich kaum mehr eine*r auf die ausgeschriebenen Stellen. Da sind wir nicht die einzigen. Das ist ja überall im öffentlichen Dienst so, auch in den Bezirks- und Bürgerämtern, sodass die nicht mehr ihre Dienste wahrnehmen können und es zum Beispiel kaum Termine gibt aufgrund des Personalmangels.

CN: Wir können davon sprechen, dass mit der Kenntnis über die Zustände Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst der Länder weggelockt werden. An den Berliner Hochschulen ist es zum Teil noch drastischer. Da haben wir zum einen den Abstand zum TVöD und dazu kommt noch die erwähnte Hauptstadtzulage, die Berlin ja bisher nur für die unmittelbaren Landesbediensteten zahlt. Wir haben sie bis jetzt nicht bekommen. Im Abschluss heißt es, die Hauptstadtzulage soll tarifiert werden. Es wurde aber nicht klar vereinbart, dass das auch für die nicht unmittelbaren Landesbediensteten gilt. Nach dem jetzigen Stand bekommen die Beschäftigten an den Hochschulen das also nicht.

VM: In meinem Betrieb, der den TV-L anwendet, kriegen wir die Zulage bisher und auch künftig nicht.

Wenn man selber nicht am Verhandlungstisch sitzt, lässt es sich einfach von außen kritisieren ohne dass man weiß, wie tatsächlich um das Ergebnis gerungen wurde, welche Verhandlungsmasse da war und wie die Verhandlungsführer die Stärke der Gewerkschaft eingeschätzt haben.

VM: Ich denke, das Ergebnis stand schon vorher fest. Schon im Sommer wurden wir in den Fachbereichsgremien innerhalb von Verdi auf diesen Tarifkampf eingeschworen. Da gab es plötzlich vorgefertigte Fragebögen, mit denen wir im Betrieb mobilisieren sollten. Da waren zum Beispiel die Einmalzahlung und die Hauptstadtzulage drin. Keiner von uns Beschäftigten der Anwenderbetriebe konnte mit dieser Frage etwas anfangen, weil wir die eben nicht kriegen. Und es stand drin: »Wir fordern 5,5 Prozent«. Da ging allen die Kinnlade runter. Das war, noch bevor offiziell Forderungen verlautbart wurden.

Dennoch haben wir als Anwender unsere Wut – »Wir brauchen Geld« – auf die Straße getragen. Das hat man auch bei den großen Demos gesehen – die waren riesig, fantastisch. Aber das ist alles verpufft. Dieser ganze Kampf war voll in der Hand des hauptamtlichen Apparates, auch wenn es um das Verhandeln und Entscheiden geht. Wir erfahren es grundsätzlich aus dem Radio. An die Beschäftigten wird es nicht zurückgespiegelt. Wenn wir das nicht mehr wollen, müssen wir es selbst in die Hand nehmen.

Von welchem »Wir« sprechen Sie?

VM: Die Betriebsgruppe der FU, die Betriebsgruppe Lette-Verein haben die Petition unterzeichnet. Darüber hinaus sind noch andere Anwenderbetriebe in unseren losen Zusammenhang involviert: soziale Träger oder die Deutsche Oper zum Beispiel. Die Organisierung innerhalb von Verdi ist aber nicht so leicht, da wir teilweise in der Struktur in anderen Fachbereichen angesiedelt sind. So müssen wir uns jenseits der Strukturen miteinander verbinden.

Interview
privat
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Vera Musmann ist Personalratsvorsitzende und Sprecherin der Verdi-Betriebsgruppe beim Berufsausbildungszentrum Lette-Verein.
Claudius Naumann ist Gesamtpersonalratsvorsitzender und Sprecher der Verdi-Betriebsgruppe der Freien Universität Berlin.
Die FU Berlin und der Lette-Verein, sind sogenannte Anwenderbetriebe. Die Beschäftigten sind keine direkten Landesangestellten. Die Betriebe wenden für sich den TV-L – mitunter mit Einschränkungen – an.

Sie sind also eine relativ kleine Strömung. Wenn ich die Historie der Gewerkschaft oder der DGB-Gewerkschaften anschaue, hat es noch nie eine oppositionelle Fraktion gegeben, die sich durchsetzen oder überhaupt als solche etablieren konnte. Dennoch sagen Sie, man müsse innerhalb von Verdi zueinanderfinden. Woher kommt Ihre Hoffnung?

CN: Aus der Resonanz, deswegen haben wir auch die Petition gemacht. Zum Beispiel hat die Betriebsgruppe des Karlsruher Instituts für Technologie, eine wissenschaftliche Einrichtung mit 9000 Beschäftigten – also größer als die Freie Universität – in Anlehnung an unseren Beschluss auch das Ergebnis abgelehnt beziehungsweise die Ablehnung empfohlen. Wir haben nicht die Möglichkeiten, alle betroffenen Verdi-Mitglieder zu erreichen. Verdi multipliziert das ja nicht. Der Großteil weiß nichts davon. Aber: Bereits zu Beginn der Tarifrunde unterstützten über 1000 Menschen unsere Petition und Forderung nach einem automatischen Inflationsausgleich. Es fand damit eine bislang nicht dagewesene kritische Auseinandersetzung mit dem Zustandekommen der Forderungen statt. Eine Petition zur Hauptstadtzulage im November 2022 erhielt knapp 5000 Unterschriften. Unser Eindruck ist, dass sich zunehmend Gewerkschafter*innen aus der Deckung wagen, auch gegenüber dem Gewerkschaftsapparat.

Auf dem Verdi-Bundeskongress haben wir gesehen, dass es bei kritischen Fragen ein Potenzial von einem Viertel bis einem Drittel gibt, das sich kritisch geäußert hat. Dieses kritische Potenzial gilt es zu vereinen.

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Im Grunde ist die Sache aber durch: Der Tarifabschluss steht, in der Befragung wird sich kaum ein nennenswerter Teil dagegenstellen. Wie geht es für Sie jetzt weiter?

VM: Da es schon seit Jahren so läuft und wir kaum einen Fuß in die Tür kriegen, muss es für uns auch darum gehen, herauszufinden, was wir falsch machen und was wir ändern müssen.

Wenn wir nicht immer hinterhergucken wollen und in jeder Tarifrunde die gleichen schlechten Erfahrungen machen wollen, müssen wir uns viel stärker vernetzen, über die Fachbereiche, Betriebe und Gewerkschaften hinaus!

CN: Wir können nicht bis zur nächsten Tarifrunde warten. Für die weitere Vernetzung brauchen wir Inhalte. Daher haben wir letztens eine Kampagne gestartet für die gleitende Lohnskala, also einen automatischen Inflationsausgleich. Das wäre eine Antwort auf den immerwährenden Reallohnverlust. Es gab sogar schon – in Deutschland, aber auch international – Tarifabschlüsse, die in diese Richtung gehen, zum Beispiel jüngst bei den amerikanischen Automobilarbeitern.

Aus der Gewerkschaft bekommen wir Gegenwind. Dabei ist das Hauptargument: »Was wollt ihr denn? Der Organisationsgrad ist so niedrig, ihr seid nicht durchsetzungsfähig.« Die Gegenfrage wäre: »Wann und wie sollen wir denn stärker werden, wenn nicht in der Tarifauseinandersetzung?« Dafür brauchen wir aber Forderungen, für die sich zu kämpfen lohnt. Und die Gewerkschaft muss zeigen, dass sie dafür kämpfen will und nicht beim ersten Windstoß umkippt.

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