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Noch mehr Bomben gegen Kurden

Hinter den Angriffen der türkischen Armee auf den Norden Iraks und Syriens steckt ein Fernziel

  • Tim Krüger
  • Lesedauer: 5 Min.

Bewegt man sich durch die Berge Kurdistans im Norden des Iraks, so ist das Surren türkischer Drohnen ein immer wiederkehrender Begleiter. Die Landschaft des Qendîl-Gebirges, mit seinen kleinen Dörfern und rauschenden Flüssen, wirkt ansonsten beschaulich und ruhig. Nur ein ausgebombtes Autowrack am Rande der Straße zeugt vom ungleichen Krieg, der hier seit Langem ausgefochten wird.

»Seit Jahren kommt es ständig zu türkischen Angriffen aus der Luft. Wir sind es gewohnt, regelmäßig neue Fenster für unser Haus zu besorgen, da sie wegen der Druckwellen der Raketen immer wieder zerbersten«, schildert Siltane Silêman, Schafhirtin aus dem Dorf Bokriskan, die alltäglichen Luftschläge. Bokriskan ist eines der 63 Dörfer, welche im Tal des von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kontrollierten Qendîl-Gebirges im Nordirak liegen, nahe der Grenze zum Iran. Mit dem Ende des Friedensprozesses zwischen der PKK und der türkischen Regierung gehören türkische Luftangriffe auf vermeintliche oder tatsächliche PKK-Ziele zur Tagesordnung.

Tote unter der der Zivilbevölkerung werden dabei billigend in Kauf genommen. So hat der Luftkrieg der Türkei allein im Nordirak seit 2015 über 100 zivile Opfer gefordert. Am Wochenende hat das türkische Militär seine Angriffe auf den Nordirak erneut verstärkt und den zweiten Tag in Folge Luftschläge gegen mutmaßliche Kurdenmilizen geflogen. Dabei seien zehn Kämpfer der PKK außer Gefecht gesetzt worden, teilte das türkische Verteidigungsministerium am Sonntagabend mit. In der Regel meint die Regierung in Ankara damit, dass Menschen getötet, verletzt oder gefangen genommen wurden. Die Luftschläge sind offenbar die Reaktion auf einen Angriff auf einen türkischen Militärstützpunkt im Nordirak am Freitag. Bei Gefechten mit PKK-Kämpfern waren mindestens neun türkische Soldaten getötet und vier weitere verletzt worden. Seitdem bombardiert die türkische Luftwaffe Kurdenmilizen im Nordirak und in Nordsyrien.

Folgt man der einzigen Hauptstraße des Tals nur wenige Kilometer nach Norden, trifft man auf das Dorf Zergelê. Direkt am Ortseingang zeugt eine Gedenkstätte noch heute von dem, was sich am 1. August 2015 hier zugetragen hat. Kurz vor Sonnenaufgang bombardierten türkische Kampfflugzeuge das Dorf. Nach den ersten Einschlägen trafen die Raketen diejenigen, die zu Hilfe eilten, um Tote und Verwundete zu bergen. Die Bilder der acht durch die Luftangriffe getöteten Dorfbewohner scheinen durch die gläserne Front des für die Toten errichteten Schreins.

Auch am Boden versucht die Türkei, gegen die PKK vorzugehen und hat seit 2018 mehrere Vorstöße in das Nachbarland Irak unternommen. Offiziell geht es der Türkei um die Sicherung der Grenzen, doch in Ankara macht man keinen Hehl daraus, dass es langfristig darum geht, weite Teile des Nordiraks zu besetzen und bis in das Hauptquartier der PKK, in die Qendîl-Berge, vorzustoßen. Viele vermuten, dass der türkische Präsident Erdoğan unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wohl ganz andere Ziele verfolgen könnte. So beruft sich die Regierung immer wieder auf das politische Programm der türkischen Nationalbewegung aus den frühen 1920er Jahren, den so genannten Nationalpakt (Misak-i Milli). Folgt man diesem, so stehe der Türkei nicht nur die Souveränität über den Nordosten Griechenlands, die Ägäis sowie weite Teile Nordsyriens zu, sondern auch über das Gebiet unter Kontrolle der Autonomieverwaltung Kurdistans im Nordirak.

Ganz nach Plan läuft der Vormarsch der türkischen Armee allerdings nicht. Die erbitterte Gegenwehr der kurdischen Guerillakämpfer bereitet dem türkischen Militär erhebliche Schwierigkeiten, immer wieder kommt es zu verlustreichen Gefechten. Während die türkischen Medien die »erfolgreiche Vernichtung von Terrorzielen« feierte, erklärte die Autonome Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, dass sich die Luftschläge ausschließlich gegen zivile Ziele richteten. So sollen vor allem Wohnhäuser, Getreidesilos, Krankhäuser, Produktionstätten und die Strom- und Wasserversorgung betroffen gewesen sein. Das Ziel der Angriffe sei es, den Menschen das Leben unmöglich zu machen und die Region zu entvölkern.

Im Oktober hatte sich der türkische Außenminister Hakan Fidan öffentlich zu Angriffen auf die zivile Infrastruktur der Region bekannt. Es gehe darum, »die Finanzquellen des Terrorismus« auszutrocknen, so Fidan.

»In Qamişlo haben sie das Kraftwerk angegriffen, wohlwissend, dass die Station mehr als die Hälfte der Bevölkerung versorgt. Ganz zu schweigen von den öffentlichen Krankenhäusern, den Backöfen und den Wasserwerken, die alle von Strom abhängig sind«, erzählt Khurşid Owusu von der Generaldirektion für Wasserversorgung im Kanton Qamişlo. Da ohne Strom kein Wasser in die Leitungen gepumpt werden kann, ist die Versorgungslage äußerst kritisch. »In den meisten Gemeinden Qamişlos ist die Wasserversorgung zusammengebrochen. Die Generatoren liefern einfach nicht genügend Energie, um die Pumpstationen zu betreiben.« Man arbeite auf Hochtouren, um das Mindeste zu gewährleisten, doch fehle es hinten und vorne und die Bevölkerung leide unter den schweren Folgen. So fehlt es neben Wasser und Strom auch an Brenn- und Treibstoffen. Die Zerstörung von Ölförderanlagen beeinträchtigt auch die Versorung mit Dieseltreibstoff, der in Nord- und Ostsyrien im Winter zum Heizen verwendet wird.

Von Entspannung kann keine Rede sein, im Gegenteil: Die türkische Armee hat ihre Angriffe auch auf Nord- und Ostsyrien in diesen Tagen noch intensiviert und bombardiert die Region seit vier Tagen. »Von Nord- und Ostsyrien geht keine Gefahr für die Türkei aus. Die Angriffe der Türkei sind völkerrechtswidrig und treffen Zivilisten. Sie müssen sofort eingestellt werden. Einen Ausweg aus der Syrien-Krise gibt es nur auf friedlichem Weg, mit Dialog«, erklärte Khaled Davrisch, Repräsentant der Selbstverwaltung in Deutschland. Viele der getroffenen Ziele, insbesondere im Bereich der Energieversorgung, seien bereits bei vorherigen Luftangriffen der Türkei im Oktober und Dezember beschädigt und erst vor Kurzem wieder repariert worden.

Die Menschen vor Ort sind verzweifelt. »Sie wollen nicht zulassen, dass die Menschen nach draußen gehen und ihrem Leben nachgehen«, meint Sosin Yusuf vom Institut für Jineolojî in Qamişlo. Nachdem auch das Volkskrankenhaus in der Stadt von den letzten Angriffen betroffen ist, können sich viele Menschen nicht mehr behandeln lassen. Manche seien sogar schon aufgrund mangelnder Behandlung gestorben. Doch für Yusuf sind die wirtschaftlichen Folgen und die katastrophale Versorgungslage die schlimmste Folge der Angriffe: »Die schlimmste Gewalt ist das ständige Gefühl der Unsicherheit.«

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