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Feier der Zapatistas: Eine Politik des widerständigen Lebens
Die EZLN hat zum 30. Jahrestag ihres bewaffneten Aufstandes nach Chiapas eingeladen. Es gab zapatistische Poesie, Stärke und eine neue Initiative
Es fehlt nicht mehr lange bis Mitternacht, bis ein neues Jahr eingeleitet wird. Vor der großen Bühne ringen etliche mexikanische und internationale Kamerateams um die besten Plätze. So glauben sie es zumindest. Etwas unbeholfen erscheint zudem, wie sich Dutzende junge Frauen der zapatistischen Milizen in einer Reihe vor eben dieser Bühne formieren. Hier wird in wenigen Minuten Subcomandante Insurgente Moisés, seit 2014 oberster Befehlsgeber der bewaffneten Einheiten und Sprecher der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), die jährliche Ansprache halten. Bisher sind auf der Bühne nur leere Stühle zu sehen, die mit unterschiedlichen Schildern versehen sind. Sie sind »den Abwesenden« gewidmet – den unzähligen ermordeten Kindern und Jugendlichen im Land, den seit 2006 über 110 000 verschwundenen Mexikaner*innen, den zapatistischen Gefallenen seit 1994 und anderen. Während der Formation der Milizionärinnen versammeln sich weitere externe Besucher*innen vor der Bühne.
Diese sind aus einer Vielzahl der 32 mexikanischen Bundesstaaten und von noch weiter her angereist. Über 20 Länder sind hier vertreten, Besucher kommen aus Argentinien, Bolivien und Brasilien, aber auch aus Belgien, Deutschland, Griechenland, Slowenien und dem Iran. Sie alle bilden nun eine kleine Masse vor der Bühne, sind aber zu sehr auf eben diese fokussiert, Entscheidendes bleibt ihnen unbemerkt. Endlich stehen die Milizionärinnen still und auch die Plätze hinter den leeren Stühlen werden von den Comandantas und Comandantes der EZLN eingenommen. Der Subcomandante ergreift das Wort, aber nicht, um seine Rede zu beginnen, sondern um die Menschentraube darauf hinzuweisen, den Platz zu räumen und sich an den Rand des knapp 200 Meter langen und 70 Meter breiten Feldes zu stellen. Erst jetzt dämmert es manchen der Zuschauer*innen in der Mitte: Sie sind den Zapatistas ohne deren aktives Zutun auf den Leim gegangen. Sie selbst haben sich von der Aura, die sie einer Bühne beimessen, vereinnahmen lassen. Die tausenden Zapatistas, die zu den Feierlichkeiten des 30. Jahrestags des zapatistischen Aufstandes ins Caracol Dolores Hidalgo gekommen sind, blieben derweil auf den Sitzbänken am Feldrand sitzen. Das langsame Einfinden der Milizionärinnen war nur gespielt, es war ein Ablenkungsmanöver. Von den »Augen der Welt« unbemerkt, hatten sich im Schatten des Hintergrundes in aller Ruhe an die 1000 Milizionäre der EZLN in Reih und Glied aufgestellt. Die Militärparade der EZLN beginnt.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Ein Blick zurück. Es ist der 1. Januar 1994: Die 5000 Aufständischen, die Insurgentas und Insurgentes der EZLN, nehmen sieben Bezirkshauptstädte ein und attackieren mexikanische Militärbasen. Auf dem Balkon des Rathauses von San Cristóbal de las Casas wird die »Erste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald« verlesen; Moisés trug damals noch den Rang des Mayor. Die EZLN sei »Produkt der Kämpfe von 500 Jahren« gegen die Kolonisierung, klang es vom Balkon, ihr Aufstand ein letztes Aufbäumen gegen das schleichende Morden der Herrschenden und gegen einen »nicht erklärten genozidalen Krieg« gegen die indigenen Völker.
Gleichzeitig findet sich darin schon das Moment der Ablenkung. Denn nicht nur militärische Finesse und eine überzeugende Ideologie, sondern auch Ernährungssicherheit bildet die Grundlage des selbstbestimmten Fortbestehens der Organisation. Während die chiapanekische Oberschicht sowie die mexikanische Bundesregierung und ihr Militär die Städte zu verteidigen suchten, besetzten tausende Zapatistas weite Teile des Lakandonischen Regenwalds, der Nordzone sowie das Hochland von Chiapas. Es ist Land, das sie aus den Händen der Plantagenbetreiber und Großgrundbesitzer entrissen, eben jene, die dafür Sorge trugen, dass in Chiapas noch bis 1994 koloniale Zustände herrschten. Die EZLN taufte ihren Schritt »Rückeroberung«.
Das Militär, das tanzt
Aus den Lautsprecherboxen im Caracol Dolores Hidalgo hallen die knappen Befehle von Moisés. Trotz der Uniformen, der rhythmischen Marschbewegung und des taktvollen Aufeinanderschlagens von 2000 Holzstöcken ist die Parade keineswegs martialisch. Denn jede Bewegung, die die Milizionär*innen ausführen, die sich nun aufeinander zubewegen, wird mit einem Cumbia-, Salsa- oder Ska-Lied untermalt. Die EZLN schafft es, eine Armee zu sein und sich dennoch über das Militärische hinwegzusetzen. Sie schafft es auch, den maskierten Milizionär*innen ein menschliches Antlitz zu verleihen. Später in der Nacht, wenn der offizielle Akt vorüber sein wird, werden sie sich unter die Tanzenden mischen. Zuletzt begeben sich die 1000 Uniformierten in eine Schildformation. Die Anwesenden, Zapatistas als auch Nicht-Zapatistas, betreten jetzt aber wirklich den Platz vor der Bühne. Subcomandante Insurgente Moisés beginnt seine Rede. Obwohl seine Muttersprache Tojolabal ist, hält er sie zuerst auf Tseltal, die Hauptsprache in der Region von Dolores Hidalgo. Erst an zweiter Stelle folgt das Spanische. Er spricht davon, dass sich der Kapitalismus nicht »humanisieren« lasse, dass auch eine grüne Variante auf Ausbeutung und Vertreibung basiere. Moisés betont, wie wichtig der Schritt sei, vom bloßen Reden über die Verhältnisse zu ihrer Veränderung zu kommen. Und dafür brauche es Organisierung.
Er erwähnt auch die neue Struktur der autonomen Regierung, die Ende vergangenen Jahres in einer Reihe von Kommuniqués bekanntgegeben worden war. In einem langen kollektiven Aushandlungsprozess haben die zapatistischen Gemeinden entschieden, die seit 2003 auf regionaler Ebene verantwortlichen »Räte der guten Regierung« aufzulösen und stattdessen jede einzelne Gemeinde stärker in die Verantwortung zu nehmen. In allen zapatistischen Orten wurde eine »lokale autonome Regierung« gegründet. Die Zapatisten nennen es »die Pyramide auf den Kopf stellen«, was sich als eine Dezentralisierung von Macht deuten lässt und eine Verantwortungsübertragung an die neuen Generationen gut geschulter Basismitglieder bedeutet. Diese Struktur ermöglicht einfachere, vertraulichere und schnellere Absprachen und Entscheidungsfindungen – auch mit nicht-zapatistischen Gemeindemitgliedern, Nachbardörfern und anderen lokalen Organisationen.
Zu den Feierlichkeiten sind Schriftsteller*innen und Filmemacher*innen gekommen, Philosoph*innen und Künstler*innen, Delegierte indigener Völker aus dem ganzen Land und Aktivist*innen unterschiedlichster Couleur. Sie allesamt eint eine gemeinsame Suche. Sie hoffen, Antworten und Inspiration auf diesem lange Zeit vergessenen Flecken Erde zu finden. Unter den Angereisten befinden sich auch Antonia, Bastian, Lara und Mebrat. Die vier, die es bevorzugen, in diesem Text nicht mit ihren tatsächlichen Namen zu erscheinen, haben sich zusammen mit über 30 weiteren Gleichgesinnten bereits in Deutschland zu einer Reisegruppe zusammengefunden. Für die meisten ist es das erste Mal auf zapatistischem Boden. »Mich beeindruckt die Fähigkeit der Zapatistas, eigene Fehler zu korrigieren und dafür sogar langlebige Strukturen zu verwerfen«, meint später Mebrat. Tatsächlich ist die Fähigkeit, sich ohne Schüchternheit selbst zu revidieren und zu korrigieren, selten für eine linke Massenbewegung. Es ist kein autoritäres Umdeuten und Säubern der eigenen Reihen, das hier stattfindet. Die Veränderungen sind eine Reaktion auf Schwachstellen, die besonders in Verbindung mit Machtpositionen hervortreten.
Gegen die Aufstandsbekämpfung
Die Zapatistas haben in diesen drei Jahrzehnten verschiedensten Angriffen auf ihre Autonomie standgehalten. Viele davon waren und sind bis heute nicht direkt gegen die EZLN als Organisation gerichtet, sondern spielen über Bande. Treu dem aus anderen Ländern bekannten Aufstandsbekämpfungsprinzip »Dem Fisch das Wasser entziehen« – wobei der Fisch für die Aufständischen steht und das Wasser für die Bevölkerung, die sie umgibt – zielten sowohl militärische als auch sozialpolitische Strategien meist auf potenzielle Verbündete der EZLN und somit auf die indigene Bevölkerung von Chiapas im Allgemeinen.
Darunter fallen auch von Paramilitärs durchgeführte Überfälle in den 90er und 2000er Jahren. Zurzeit wird vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission das Massaker an der pazifistischen katholischen Organisation Las Abejas aus dem im Hochland gelegenen Acteal verhandelt. Regelrecht verbrannte Erde hinterließ diese Politik besonders in der Nordzone des Bundesstaates, westlich der Pyramidenstadt Palenque.
Folgeregierungen konzentrierten sich darauf, Gemeindeautoritäten zu bestechen oder einst linksgerichtete indigen-bäuerliche Organisationen zu spalten. Langfristig wird somit das soziale Gefüge in den Gemeinden zerstört. Eine Kooperation zapatistischer und anderer Gemeindemitglieder bei lokalen Fragen wie Wasserverteilung, Brandschutz in den Wäldern oder gar der Verteidigung gegen das Eindringen der organisierten Kriminalität wird dadurch mancherorts unmöglich. Angesichts der oftmals gespalteten Organisationen ist es zudem schwierig, sie politisch einzuordnen. Ein gutes Beispiel ist die Organisation der Kaffeebauer*innen Orcao, die 1994 die EZLN aktiv unterstützte. Heutzutage attackieren in der Region Moises Gandhi Orcao-Mitglieder nach paramilitärischer Manier zapatistische Familien nachts in ihren Häusern. Das Land, auf der anderen Seite der Kreisstadt Ocosingo gelegen, verteidigen dortige Oecao-Anhänger*innen wie auch die Zapatistas gegen kriminelle Banden. Die neuen »lokalen autonomen Regierungen« ermöglichen in solchen Situationen bessere örtliche Bündnisse als die auch von den Zapatistas selbst als langsam und träge wahrgenommenen Strukturen der nun aufgelösten »Räte der guten Regierung«. Zu den Fehlern in der Struktur zählen auch mangelhafte Informationsweitergabe und interne Korruption, wie Moisés im Dezember 2023 bekanntgab.
Zu den Aufstandsbekämpfungsstrategien kommen seit jeher auch assistenzialistische Sozialprogramme. Diese bestehen aus Geldzahlungen an Gemeinden oder Familien und sind an praktische Pflichten oder parteipolitische Loyalitäten gebunden. Sie verunmöglichen oftmals eine Allianz mit zapatistischen Familien in größeren Gemeinden. Es gibt Fälle, in denen sie direkt Konflikte und Feindschaften schüren. Geleakte staatliche Dokumente bestätigen dem in Chiapas ansässigen und renommierten Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas (Frayba) zufolge die Aufstandsbekämpfungsfunktion dieser Sozialprogramme.
Matoula Papadimitriou sitzt am Rande des Feldes und schaut sich das Treiben vor und auf der Bühne interessiert an. Sie bemerkt auffallende Unterschiede: »Das Durchschnittsalter ist sehr niedrig. Was wir hier sehen, ist die neue Generation der Zapatistas.« Papadimitriou ist Teil der griechischen Solidaritätsgruppe Calendario Zapatista und kommt seit 2008 regelmäßig in diesen Teil der Welt. Die neue Generation, erklärt sie weiter, formten diejenigen, die unter der zapatististischen Autonomie groß geworden seien.
Die derzeitige mexikanische Regierung unter dem Präsidenten Andrés Manuél López Obrador gibt vor, die erwähnten Aufstandsbekämpfungsstrategien nicht mehr zu verfolgen. Sembrando Vida (Leben pflanzen), das finanzstärkste Sozialprogramm seiner Regierung, wirkt allerdings wie eine Perfektion dieser Strategie. Als Aufforstungsprogramm vorgestellt, richtet es sich an die ländliche Bevölkerung zu dem Zweck, dass auf mindestens 2,5 Hektar großen Ackerflächen Nutz- und Obstbäume gepflanzt werden. Zum Ausgleich erhalten Teilnehmer*innen des Sozialprogramms 5000 Pesos monatlich, was die Einnahmen aus der Landwirtschaft massiv übersteigt. Doch das Programm führt zu einer neuen Welle der Privatisierung von Gemeindeland, das in Chiapas nach wie vor 60 Prozent der Fläche ausmacht. Sei Gemeindeland erst einmal privatisiert, werde es in der Regel schnell verkauft oder aufgrund von Schulden enteignet, erklärte Moisés vor den Feierlichkeiten. Die daraus entstehenden Konflikte um die schriftlichen Landtitel spalten nicht nur Dörfer, sondern Familien, immer öfter auch mit Todesfolge. »Die Regierung pflanzt den Tod«, resümierte der Subcomandante die Dynamik in Anspielung auf den euphemistischen Titel des Programms.
Dem stellen die Zapatistas eine eigene neue Initiative gegenüber: »El Común«, das Gemeingut und Gemeinschaftliche, oder auch »Nicht-Eigentum«, wie sie es bezeichnen. Teile des ehedem zurückeroberten Landes werden fortan als »común« verhandelt. Über einen zuvor vereinbarten Zeitraum können nicht-zapatistische Personen diese Gegenden landwirtschaftlich bearbeiten. Alle Erträge, die sie daraus ziehen, stehen ihnen zu. Nach Ende dieses Zeitraums wird das Land wieder anderen Personen zur Verfügung gestellt. Die Initiative richtet sich primär an die lokale Bevölkerung. Diese leidet nicht nur unter den Konflikten der Aufstandsbekämpfung, sondern auch unter dem Druck extraktivistischer Wirtschaftsprojekte und den seit drei Jahren offen und brutal zutage tretenden Territorialansprüchen der organisierten Kriminalität, allen voran der beiden größten Kartelle Mexikos, das Kartell Sinaloa und das Kartell Jalisco Neue Generation. Chiapas befinde sich zurzeit, so das Menschenrechtszentrum Frayba, »zwischen der kriminellen Gewalt und der Komplizenschaft des Staates«. Drei Jahrzehnte nach dem zapatistischen Aufstand sind in dem Bundesstaat noch immer über 8500 Soldat*innen stationiert.
Die Rede von Moisés beinhaltet eine weitere entscheidende Neuigkeit. Mit dem Satz »Wir werden uns verteidigen« zieht die EZLN gegenüber dem Staat, dessen Armeen und gegenüber dem organisierten Verbrechen eine rote Linie. Sie hätten nicht vor zu töten, so die Rede weiter, aber sie werden Angriffe gegen die eigenen Strukturen entsprechend beantworten. Beschränken sich Berichte und Interpretationen von außen nicht selten allein auf die Rolle der zivilen Selbstverwaltung, haben die Zapatistas nach einem paramilitärischen Überfall im Mai 2014 unmissverständlich klargestellt. »Wir sind Krieger und als solche wissen wir, was unsere Aufgabe ist und unsere Zeit«, waren die Worte aus der letzten Rede des weltweit bekanntgewordenen Subcomandante Insurgente Marcos. Zur Verteidigungslinie zählen neben den bewaffneten Einheiten gleichermaßen die besagte Möglichkeit zur Bildung lokaler Allianzen, die Ausrufung von »El Común«, um auf die angespannte Landsituation zu reagieren, und eine politische Ethik, die an die neuen Generationen weitergegeben wird und darin besteht, gute Lebensbedingungen für alle zu fördern, statt diese zu zerstören. Diese Ethik besticht dadurch, analytisch und mit Weitsicht auf politische und soziale Konflikte zu reagieren. Diese Fähigkeit zur Durchdringung der eigenen sozialen Wirklichkeit zeigt sich in den Tagen der Feier in den vielen Theaterstücken, die die junge Generation auf dem großen Feld vor der Bühne darbietet.
Die Welt der Zapatistas
Seit den fernen Januartagen von 1994 hat sich fast alles geändert, allen voran der Fokus auf den Tod, der von einem Fokus auf das Leben abgelöst wurde. Und von diesem Leben haben die Zapatistas eine klare Vorstellung: »Denn zu leben bedeutet nicht nur, nicht zu sterben, bloß zu überleben. Als menschliche Wesen zu leben, bedeutet, in Freiheit zu leben. Leben ist Kunst, ist Wissenschaft, ist Freude, Tanz, ist Kampf«, verlas am 13. August 2021 eine fünfköpfige Delegation der EZLN in Madrid, auf den Tag genau 500 Jahre nach der Eroberung des heutigen Mexiko-Stadt durch die spanische Krone. Mitgliez dieser Delegation, die den Atlantik auf einem Segelschiff Baujahr 1903 überquerte, war auch Marijosé, weder Mann noch Frau, sondern im zapatistischen Sprech »otroa« (Andere) genannt. Marijosé war die*der erste Zapatista, die*der nach der Landung im spanischen Vigo europäisches Festland betrat.
Nun, während der Tage der Festlichkeiten, ist Marijosé wieder zu sehen, dieses Mal mit der Koordination der Küche beauftragt, welche die stets lange Schlange der angereisten Gäste mit Tacos, Tamales, Empanadas, schwarzen Bohnen und weiterem versorgt. Auf der Bühne tragen derweil die Zapatistas Gedichte vor: »Wir sind die fünf Blumen / Wir sind die fünf Punkte des roten Sterns / Wir sind das Bewusstsein der Kämpfe der fünf Kontinente / In der Gemeinschaft sind wir alle und nichts.«
Lara von der Reisegruppe ist begeistert. Sie schaut sich um und wirft kurzerhand in ihre kleine Runde: »Schaut doch, alle Zapatistas sitzen hier konzentriert und schauen sich die Theaterstücke an oder hören der Poesie zu. Niemand unterbricht oder macht Lärm. Es ist eine andere Kultur der Ruhe.« Trotz dieser Begeisterung entsteht mit Blick auf die vergangenen Jahre der Eindruck, dass die Zapatistas immer weniger Menschen erreichen. Ein Parameter dafür sind die abnehmenden Besucherzahlen bei großen zapatistischen Anlässen. Dies ist nicht erst seit der Regierung von López Obrador der Fall, der der mexikanischen Gesellschaft alle möglichen Versprechungen und Verklärungen auftischt. Auch international nahm die Unterstützung mit der Zeit ab. »Uns ist in Europa einfach zu viel passiert«, überlegt Papadimitriou, »von der Finanzkrise über den Aufstieg eines neuen Faschismus bis hin zu einem Fokus auf lediglich lokale und nationale Angelegenheiten.« Auch dass die europäische Linke zu sehr auf Medienspektakel schaue, trage dazu bei, ergänzt sie. Anfügen ließe sich zudem, dass die EZLN selbst immer weniger die mediale Aufmerksamkeit sucht und ihre oftmals subtile Kommunikation nach außen zu wenig verfängt in einer Welt voller kurzlebiger Social-Media-Beiträge.
Dabei ist der Kampf der EZLN für eine Welt, in der viele Welten Platz haben, nie allein auf Chiapas und auch nie nur auf sie beschränkt gewesen. Und so endet die Neujahrsansprache an diesem 31. Dezember auch nicht mit einem »Viva el EZLN«, sondern es ist Comandanta Dalia, die kurz vor dem pfeifenden Feuerwerk den Anwesenden dreimal zuruft: »Viva lo común!«
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