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Rechtsextremismus in Marzahn: »Es gibt immer Vorfälle, jeden Tag«
Die Zahl rassistischer Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf ist zuletzt stark gestiegen
In Marzahn-Hellersdorf kommt es immer wieder zu rassistischen Vorfällen. Gab es in jüngster Zeit neue?
Es gibt eigentlich immer rechte Vorfälle, jeden Tag. 2023 sogar im Durchschnitt mehr als einen täglich. Und 2022 durchschnittlich einmal pro Tag. Wir erfassen viele verschiedene Arten von rechten und diskriminierenden Aktivitäten als Registerstelle: zum Beispiel rassistische, antisemitische und LGBTIQ*-feindliche Vorkommnisse. Die allermeisten Vorfälle sind Propagandaaktivitäten, zum Beispiel wenn die Partei Der Dritte Weg Plakate mit rassistischen Parolen aufhängt. Sie klebt diese gezielt vor Unterkünfte von geflüchteten Menschen, um diese in ihrer Umgebung einzuschüchtern. Ansonsten gab es fast monatlich einen rassistischen Angriff sowie im Schnitt eine rassistische Bedrohung im öffentlichen Raum, beispielsweise in der Bahn oder im Supermarkt.
Kann die Lage im Bezirk als angespannt bezeichnet werden?
Anne Schönfeld arbeitet seit mehreren Jahren bei der Registerstelle Marzahn-Hellersdorf und setzt sich privat und beruflich mit Rassismus auseinander. Lange wohnte sie selbst im Bezirk.
Ja. Es gab noch nie so viele Vorfälle wie im Jahr 2023. Vor allem hat die Neonazipropaganda stark zugenommen. Aber es gibt auch wieder vermehrt Bedrohungen und Angriffe. Außerdem sehen wir einen Aufwind in den rechten Strukturen. Personen, die vor etwa zehn Jahren gegen die ersten Flüchtlingsunterkünfte im Bezirk protestierten, werden jetzt wieder stärker aktiv.
Warum sind zurzeit wieder mehr rechtsextreme Vorfälle zu verzeichnen?
Eine wichtige Komponente ist die gestiegene Aktivität der neonazistischen Kleinpartei Der Dritte Weg. Darüber hinaus melden durch unsere Öffentlichkeitsarbeit mehr Menschen die Vorfälle, was diese sichtbarer macht.
Vor einigen Wochen gab es am U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord eine Kundgebung der Jugend-Antifa Platte Marzahn-Hellersdorf, um diese Sichtbarkeit zu vergrößern. Gibt es einen Grund, warum sie kürzlich stattfand?
Im vergangenen Jahr gab es wirklich sehr viel Neonazipropaganda an dieser Haltestelle – davor zwar auch schon, aber 2023 hat es Überhand genommen. Zudem gab es auch einen heftigen rassistischen Vorfall am Bahnhof, bei dem eine Frau eine verbale Morddrohung erhalten hat und später zur Polizei gegangen ist. Der Ort ist zurzeit ein Hotspot rechter Aktivitäten.
Wie hat die Polizei reagiert?
Sie meinte, dass solche Vorfälle in Marzahn-Hellersdorf normal seien. Die lokalen Polizeidienststellen reagieren unterschiedlich, sind aber in Bezug auf rassistische Vorfälle auch schon negativ aufgefallen. Uns wurde unter anderem gemeldet, dass Polizist*innen Probleme verharmlost hätten, indem sie zum Beispiel gesagt hätten, dass es keine Neonazis hier gebe. Hier zeigt sich ein mangelndes Problembewusstsein bei Teilen der Polizei im Bezirk.
Wie ist denn die Lage in Gesamtberlin, auch im Hinblick auf die Ost- und Westbezirke?
Auffällig ist, dass in Ostberlin insgesamt mehr Vorfälle aufgezeichnet werden als in den Westbezirken. Die Zahlen aus den Bezirken Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Pankow und Treptow-Köpenick stechen hervor. Doch es gibt auch Hotspots diskriminierender Aktivitäten in Westberlin. Es ist dennoch wichtig zu erwähnen, dass es an vielen Orten auch viele Leute gibt, die dagegen vorgehen.
Wie lassen sich die hohen Zahlen im Osten erklären?
Viele Neonazis sind im Osten, insbesondere hier in Marzahn-Hellersdorf, wohnhaft. Insbesondere Der Dritte Weg ist in Marzahn-Hellersdorf sehr präsent. Man sieht das auch, wenn morgens rassistische Aufkleber vom Dritten Weg entfernt werden und am Abend schon wieder neue an den gleichen Orten kleben. Es lässt sich auch beobachten, dass Neonazis aus anderen Bezirken für rechte Aktivitäten extra hierherkommen.
Warum fühlen sich Neonazis in Marzahn-Hellersdorf denn so wohl?
Es gibt eine lange rechte Tradition in Marzahn-Hellersdorf. Seit 2013 gab es einen starken Aufwind an öffentlicher Wahrnehmbarkeit. Über Jahre mobilisierten Neonazis zu Protesten gegen Geflüchtetenunterkünfte. An den rassistischen Demonstrationen nahmen bis zu 1000 Anwohner*innen teil. Diese Erfahrung hat Neonazis im Bezirk bestärkt. Inzwischen gelingt es der AfD, eine rassistische Stimmung in Marzahn-Hellerdorf aufrechtzuerhalten. Im Bezirk haben sie berlinweit die größten Erfolge eingefahren. Vor diesem Hintergrund haben es antirassistische Ansätze schwer.
Wie ist die öffentliche Wahrnehmung der Ostbezirke?
Man sieht diese Bezirke, insbesondere Marzahn-Hellersdorf, als Problem- und Neonaziorte an. Das speist sich zum einen aus dem, was alles passiert, und daraus, dass sich Neonazis da wohlfühlen, und zum anderen aus vielen einseitigen Medienberichten. Viele Leute denken, dass im Osten nur Neonazis wohnen. Doch die gibt es überall, nicht nur im Osten. Am Ende gibt es viel mehr Menschen, die im Bezirk leben, die keine Neonazis sind. Sie sind nur weniger sichtbar, weil sie sich nicht selbst zum Ereignis machen. Es gibt auch viele Initiativen, die gegen den Rassismus vorgehen. Letztendlich zeigen auch die steigenden Meldungen von Anwohner*innen bei der Registerstelle, dass rechte Vorfälle von immer mehr Menschen als ein Problem wahrgenommen werden.
Was wäre politisch nötig, damit sich Menschen mit Migrationshintergrund sicher fühlen?
Die Stimmen der Betroffenen müssen mehr gehört werden, dazu braucht es auch mehr Angebote. Zusätzlich müssen Anwohnende die Problemlage erkennen. Generell braucht es auch mehr Präsenz, mehr Angebote und mehr Engagement, um dauerhaft eine andere Stimmung in den Kiezen durchzusetzen. Zur Kundgebung gegen Rassismus kamen zuletzt etwa 100 Menschen, aber es wäre wünschenswert, wenn es mehr aktive Menschen gäbe.
Vernetzen Sie sich dafür mit anderen Organisationen?
Ja, wir versuchen in allen Phänomenbereichen, die vom Register erfasst werden, mit Betroffenen und Initiativen zusammenzukommen. Aber das ist oft nicht so einfach. Wir sind dünn besetzt, es fehlen Ressourcen. Dabei finanziert uns der Senat inzwischen stärker. Ich habe mal ehrenamtlich angefangen, aber inzwischen habe ich bezahlte Stunden pro Woche zur Verfügung. Um allen Themenfeldern gerecht zu werden, bräuchten wir dennoch mehr Stellen. Was aber schön ist, ist, dass es hier immer wieder kleine lokale Angebote für potenzielle Betroffene gibt. Sie sind oft etwas unsichtbar, aber es gibt sie. Generell wäre mehr Sichtbarkeit von Antifaschismus hier wünschenswert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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