Protestwelle gegen Ausländergesetz in ganz Frankreich

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron soll Inkrafttreten des neuen Textes stoppen

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf mehr als 300 000 summierte sich die Zahl der Demonstranten, die am Samstag oder Sonntag auf mehr als 100 Demonstrationen im ganzen Land gegen das neue Ausländergesetz protestiert haben. Sie forderten Präsident
Emmanuel Macron auf, dem Text seine Unterschrift zu verweigern und damit den Prozess des Inkrafttretens des Gesetzes zu stoppen, das vor allem die Bedingungen für Asyl verschärfen und das Abschieben abgelehnter Antragsteller beschleunigen soll.

Zu den Demonstrationen hatten mehr als 200 Persönlichkeiten in einem Offenen Brief aufgefordert. Zu ihnen gehören namhafte Schriftsteller, Schauspieler und Musiker sowie Historiker und andere Wissenschaftler als auch die größten Gewerkschaften des Landes, CFDT und CGT, sowie Organisationen wie die französische Liga für Menschenrechte, Ärzte ohne Grenzen, France terre d‘asile und die Hilfsorganisation Cimade.

Viele der Demonstranten hoffen, dass der Verfassungsrat, der das Gesetz vor Inkrafttreten darauf prüfen muss, ob es der Verfassung entspricht, den Text noch »entschärfen« wird. Zur Zeit wird er noch geprüft und die Entscheidung fällt am kommenden Donnerstag. Weil das Regierungslager im Parlament nicht mehr wie in der Legislaturperiode 2017-2022 über die absolute Mehrheit verfügt, ist es für die Verabschiedung von Gesetzen auf Stimmen aus der rechten Oppositionspartei der Republikaner (LR) angewiesen.

Diese haben die Gelegenheit genutzt, den Text auf Kosten der Migranten zu verschärfen. Beispielsweise wurde die geplante prinzipielle Möglichkeit der Regularisierung von Migranten ohne Aufenthaltspapiere, die in Bereichen mit sehr hohem Personaldefizit arbeiten, auf streng zu prüfende Einzelfälle begrenzt. Bei einigen Paragraphen kann man schon sicher sein, dass sie als unvereinbar mit der Verfassung gelten werden und die bisherige Rechtslage bestehen bleibt.

So wollten die Republikaner das »Recht des Bodens« streichen, also den gesetzlichen Anspruch in Frankreich geborener Ausländer, mit 18 Jahren französische Staatsbürger zu werden. In den Augen der »Weisen«, wie die Mitglieder des Verfassungsrates oft genannt werden, dürften auch die drastischen Einschränkungen der Sozialhilfe und die faktische Aufhebung des Rechtsanspruchs auf Familienzusammenführung für bereits legal in Frankreich lebende Ausländer keine Gnade finden, weil sie unvereinbar mit den Menschenrechten sind.

Offen sind noch die Chancen für die jährlichen Quoten legaler Einwanderung, die der Gesetzestext im Zusammenhang mit einer Parlamentsdebatte zu dem Thema vorsah. Über die kostenlose staatliche Gesundheitshilfe, die den ärmsten Franzosen und auch den Ausländern zusteht, soll später in anderem Rahmen debattiert und entschieden werden. Ihre Beibehaltung war im Gesetzentwurf enthalten, musste aber auf Druck von LR entfernt werden.

Die landesweiten Demonstrationen sollten »zeigen, dass breite Kreise der Bevölkerung in höchsten Maße besorgt sind über dieses Gesetz, das einen Bruch mit den Prinzipien der Republik darstellt«, sagte Sophie Binet, Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT, am Rande des Pariser Demonstrationszuges. »Wir befinden uns an einem historischen Wendepunkt«, schätzte der ehemalige PS-Parlamentarier Benoît Hamon ein, der jetzt die Flüchtlingshilfsorganisation Singa leitet und der zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs zu den Demonstrationen gehörte. »Ich bin überzeugt, dass wir erst am Anfang eines machtvollen Kampfes gegen Rassismus und Diskriminierung sowie für Solidarität stehen«, ergänzte Hamon.

Delphine Rouilleault, Generaldirektorin der Organisation France terre d'asile, betonte: »Wir warten alle mit Spannung darauf, was der Verfassungsrat entscheiden wird und welches Schicksal dieses schändliche Gesetz erwartet. Doch darüber hinaus gilt es, die Mobilisierung breiter Kreise der Bevölkerung für Solidarität mit den ausländischen Flüchtlingen fortzusetzen ebenso wie den Kampf gegen die extreme Rechte, bei der die Republikaner geistige Anleihen für die Verschärfung des Gesetzestextes genommen haben.«

»Dieses Gesetz ist eine Schande«, stellte auch die Generalsekretärin der Gewerkschaft CFDT, Marylise Léon, klar. Es ist ihrer Überzeugung nach »völlig inakzeptabel« und »verletzt in grober Weise die politischen und moralischen Werte der Republik«. Es sei bezeichnend, dass die Regierung für dieses Gesetz »vor den Republikanern eingeknickt« ist und hingenommen hat, dass der Text nicht zuletzt mit den Stimmen aller Parlamentsabgeordneten des rechtsextremen Rassemblement National angenommen wurde, meinte Marylise Léon. »Dieses Gesetz ist ein Tiefschlag gegen die humanistischen Werte, denen sich die Linke und darüber hinaus viele Franzosen verbunden fühlen.«

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