- Kultur
- Bühnenbildersturm
Warmes Grab im Schnee
Romeo Castelucci inszeniert Richard Strauss’ »Daphne« an der Staatsoper Berlin
Daphne kann mit der tumben Menschenwelt nichts anfangen, sie erfährt die Natur als größtes Glück. Diese Selbstgenügsamkeit ist für die sogenannte Männerwelt unerträglich. Hirte und Kindheitsfreund Leukippos wirbt um sie, blitzt ab. Gott Apollo, Partygast des Festes zu Ehren von Dionysos, verführt Daphne zum Küsschen. Unerträglich für Leukippos: Der fordert einen Kampf und findet den Tod. Schließlich tut’s Apollo Leid, und er bittet die Götterkollegen, den Hirten in den Olymp aufzunehmen und die arme Daphne, die erst jetzt ihre Zuneigung für Leukippos erkennt, in einen Baum zu verwandeln.
Mächtige Götter-Herren mit schlechtem Gewissen, denen nichts Besseres einfällt, als postume Ehre und eine Frau in stummer Natur zu verewigen? Eine naive Keusche, die zu spät ihre Liebe und das Lebensziel Hingabe an den einen Mann erkannt hat? Richard Strauss’ Oper »Daphne«, die 1938 in Dresden zum ersten Mal aufgeführt wurde, hat nun wirklich keinen tollen Plot. Es gab ein Libretto-Problem: Die dafür sonst zuständigen Dichter waren entweder tot (Hugo von Hofmannsthal) oder hatten ins Exil fliehen müssen (Stephan Zweig). Die dritte Wahl war Joseph Gregor, Direktor der Österreichischen Nationalbibliothek, dem kein dramatischer Text gelang. Die Sprache plätschert so vor sich hin. Und auch Strauss’ Musik ist nicht mehr auf der Höhe: sinfonisch und lyrisch, viele Ideen für die Hauptfigur, gleichfalls alles in allem recht dekorativ. Im Vergleich zu den berühmten, handelnden, komplexen Frauen-Figuren Salome und Elektra, denen Strauss vorher Opern widmete, fällt die »Daphne« ab.
nd.Muckefuck ist unser Newsletter für Berlin am Morgen. Wir gehen wach durch die Stadt, sind vor Ort bei Entscheidungen zu Stadtpolitik – aber immer auch bei den Menschen, die diese betreffen. Muckefuck ist eine Kaffeelänge Berlin – ungefiltert und links. Jetzt anmelden und immer wissen, worum gestritten werden muss.
In der Staatsoper Berlin versuchte sich nun der italienische Regisseur Romeo Castelucci, berühmt für seine optischen Einrichtungen, an einer Inszenierung der »Daphne«. Er versetzt Strauss’ bukolische Tragödie, die doch im warmen Griechenlande spielt, in eine Schnee-Ödnis. Flocken rieseln unerbittlich auf die Bühne: eine weiße abstrakte Fläche, die Geschichte und Gesellschaft immer wieder verdeckt. Ein Jenseits? Im Hintergrund ist der Horizont ein dunkler Wald als einzige Kontur. Alle tragen dicke Mäntel, Daunenjacken, Anoraks, sind kaum zu unterscheiden, halten sich warm. Auch für die Kostüme zeichnet Castelucci selbst verantwortlich.
Nur Daphne entkleidet sich gleich zu Beginn, wenn sie um den Baum tanzt, wirft den zivilisatorischen Komfort ab. Sopranistin Vera-Lotte Boecker gelingt es, die komplexe Figur zu fassen, und sie erzeugt, auch dank der Choreografie von Evelin Fachhini, eine intensive Körperlichkeit zwischen Leid und Leichtigkeit. Johan Krogius, der den Leukippos gibt, kommt stimmlich meist nicht gegen das Orchester an. Seine Liebe wird so nicht recht plausibel. Und auch David Butt Philip als Apollo tut sich schwer, den Eindruck göttlicher Gewalt zu vermitteln.
Erst nach Leukippos Tod, er tränkt sich in Kunstblut aus dem Kanister – man würde bei diesem Gefäß eigentlich Öl zur Selbstentzündung erwarten –, nimmt das Geschehen an Fahrt auf. Boecker klagt als Daphne eindringlich um ihre verpasste weltliche Liebe, schmachtet in Höchstform. Dann folgt die große kulturhistorische Anspielung: Das Titelblatt von T. S. Eliots epochemachendem Gedicht »The Waste Land« (»Das öde Land«) von 1922 fährt im Großformat herunter. Die berühmten Zeilen zu Beginn, wo der Winter ein »Wir« warm hält, der Schnee vergesslich ist, sich Erinnerung und Lust mischen, bevor der grausame Frühling einsetzt, bilden wohl Hinweise, wie Castelucci seine Bühne versteht. Die Geste, diese Referenz dem Publikum einfach so zum Schluss vor den Latz zu knallen, ist schlicht Dünkel.
Daphne jedenfalls beschmiert sich am Ende mit Schlamm und buddelt sich im Schnee ein. Sie wird Baum, der von der Bühne kopfüber an der Wurzel befestigt von der Decke baumelt. Castelucci gelingt hier ein Bild, das dem Publikum im Gedächtnis bleibt. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Abend über weite Strecken, trotz der metaphorischen Mühen, recht langweilig bleibt. Casteluccis Bilderwelt bietet Projektionsflächen, eine genaue Kritik der Vorlage bleibt aus.
Nächste Vorstellungen: 25.1., 28.1., 31.1., 7.2.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.