Brandenburg wehrt sich mit Wucht

Bündnis aus 110 Organisationen und 190 Personen veröffentlicht Aufruf gegen rechts

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Am 14. Januar, als sich 10 000 Menschen zur Demonstration »Potsdam wehrt sich« auf dem Alten Markt der Stadt versammelten, hat Susanne Buiter auf den Treppen der Nikolaikirche gestanden. Buiter ist Vorstandssprecherin des Geoforschungszentrums auf dem Telegrafenberg. Als Wissenschaftlerin steht sie für Fakten und wehrt sich dagegen, wenn jetzt wahrheitswidrig behauptet werde, bei den deutschlandweiten Kundgebungen gegen rechts seien in Wirklichkeit viel weniger Teilnehmer gewesen, die Filmaufnahmen seien manipuliert. Susanne Buiter war auf dem Alten Markt dabei. Sie hat die dort versammelte Menge mit eigenen Augen gesehen.

Am Dienstag sitzt die Professorin nun in der Nikolaikirche an einer langen Tischreihe, neben ihr drei andere Frauen und sieben Männer. Sie alle stellen den Aufruf »Brandenburg zeigt Haltung« vor. »Wir treten ein für eine offene Diskussion, sachliche Debatten und respektvollen Umgang miteinander«, heißt es in diesem Aufruf. »Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der alle Menschen in ihrer Verschiedenheit akzeptiert und respektiert werden. Rassismus, Antisemitismus, Intoleranz, Hass und Ausgrenzung haben hier keinen Platz.« Haltung soll in der Familie und im Freundeskreis gezeigt werden, am Arbeitsplatz und im Sportverein. »Sagen Sie Nein zu Hass und Hetze. Suchen Sie das Gespräch, wo es möglich ist. Bauen Sie Brücken, wo Gräben entstehen.«

110 Organisationen und 190 Einzelpersonen unterstützen diesen Aufruf schon und Daniel Wetzel vom Verein Neues Potsdamer Toleranzedikt hofft, dass sich noch sehr viele anschließen werden. Der Verein hat die Initiative zu »Brandenburg zeigt Haltung« ergriffen. Das scheint gerade hier bitter nötig zu sein. Denn Anlass sind die Enthüllungen des Rechercheteams »Correctiv«, dass sich im November Rechtsextremisten in Potsdam trafen, um darüber zu sprechen, wie man Migranten und ihre Helfer deportieren könnte. Das hat bundesweit für Aufsehen und Protestdemonstrationen gesorgt. Jeweils mehr als 100 000 Teilnehmer wurden aus den Großstädten Berlin und Hamburg gemeldet, aber auch 5000 aus Cottbus und 2500 aus Strausberg.

Dass man in Potsdam eine Kundgebung mit 10 000 Leuten auf die Beine stellt, sei vergleichsweise so schwierig nicht, weiß Betina Jahnke, Intendantin des hiesigen Hans-Otto-Theaters, das nicht von ungefähr nach einem Schauspieler benannt ist, der im November 1933 von der SA ermordet wurde. Aber in einem kleinen Ort in Brandenburg Gesicht zeigen, dass erfordere Mut, weil dort jeder jeden kenne, sagt Jahnke. »In Potsdam bin ich sicher. Aber bin ich in einer Kleinstadt sicher, in der die AfD 30 oder 35 Prozent bekommt?«

Gerade den Einwohnern der kleinen Städte und Gemeinden möchte »Brandenburg zeigt Haltung« beweisen, dass sie nicht allein sind, wenn sie sich gegen rechts stellen. »So ein Bündnis macht Mut und das ist das Entscheidende« findet Brandenburgs Ex-Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber. Die neofaschistischen Parteien DVU und NPD habe man einst auch »dahin gebracht, wo sie hingehören – in die Bedeutungslosigkeit«. Zunächst sollen Unterschriften gesammelt werden, erläutert Potsdams ehemaliger Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der sich wie Daniel Wetzel im Verein Neues Potsdamer Toleranzedikt engagiert. Jakobs hat das Gefühl, sehr viele Menschen wollen, dass Streit nach den Spielregeln der Demokratie ausgetragen werde. »Sie sind es leid, mit rechtsradikalen und rechtsextremen Forderungen konfrontiert zu werden.«

Beim Sammeln von Unterschriften will es das Bündnis allerdings nicht belassen. »Wir müssen das sehr stark auch ausrollen«, findet Jens Warnken, Präsident der Industrie- und Handelskammer Cottbus. Mit an Bord sind bereits der Fußballverein SV Babelsberg 03, die Wünsdorfer Werkstätten, der Leonardo-da-Vinci-Schulcampus Nauen, das Klosterstift zum Heiligengrabe, das Kreiskrankenhaus Prignitz und das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung Bad Belzig.

Andreas Kaczynski vom paritätischen Landesverband der Wohlfahrtsorganisationen versichert: »Wir werden uns in den Wahlkampf einmischen.« Am 22. September wird in Brandenburg der Landtag gewählt. Der AfD, die bei der Landtagswahl vor fünf Jahren 23,5 Prozent erzielt hatte, werden in Umfragen jetzt bis zu 32 Prozent prognostiziert. Angesichts solcher Werte läuteten beim Gewerkschaftsdachverband DGB die Alarmglocken, wie Landesbezirksvize Nele Techen berichtet. Inspirieren lassen möchte sie sich von der Kampagne »Wählen Ja. AfD nee« zur Landtagswahl 2023 in Hessen.

»Brandenburg zeigt Haltung« ist keine neue Idee. Unter der Überschrift gab es vor zwei Jahren schon eine Initiative gegen sogenannte Coronaleugner – aber die lief nur einen Monat lang und dann gab es mit dem Krieg in der Ukraine ein wichtigeres Thema, das zunächst alle anderen Themen überlagerte, wie Daniel Wetzel erinnert. Bündnisse gegen rechts gab es auch schon viele. Andreas Kaczynski vom paritätischen Landesverband erinnert sich. Er beteiligte sich auch an diesen Bündnissen, kann sich aber nicht besinnen, das eins davon so breit angelegt gewesen wäre wie das jetzige. Oder wie Jens Warnken von der IHK es formuliert: »Die Zusammensetzung hier, das ist schon eine Wucht!«

Das Bündnis sei nicht von staatlichen Stellen angeschoben worden und es werde sich allein aus Spenden finanzieren, wird versichert. »Wir lassen uns nicht vor einen Karren spannen«, beteuert der Verein Neues Potsdamer Toleranzedikt.

Das historische Toleranzedikt hatte der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm am 29. Oktober 1685 erlassen und damit auf die Verfolgung der Hugenotten im katholischen Frankreich reagiert. Brandenburg nahm damals etwa 20 000 Glaubensflüchtlinge auf. 2008 wurde von Universitätsprofessor Heinz Kleger ein Neues Potsdamer Toleranzedikt für eine weltoffene Stadt vorgestellt. Dieses wurde nicht von oben erlassen, sondern von unten erarbeitet.

An der Demonstration »Potsdam wehrt sich« am 14. Januar hatten sich auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) beteiligt, die beide in Potsdam wohnen. Als Brandenburgs CDU-Fraktionschef Jan Redmann das Wort ergriff, regte sich bei einem Teil der Zuhörer Unmut, berichtet die Linke-Kreisvorsitzende Iris Burdinski. Anwesende, die sich in Flüchtlings- und Willkommensinitiativen engagieren, empfanden Redmanns Ausführungen als Heuchelei angesichts der äußerst strengen Asylpolitik, die er persönlich und seine Partei mittlerweile befürworten. Deswegen habe sich eine Spontandemonstration von rund 500 Personen gebildet, erläutert Burdinski. Sie selbst habe diese Demonstration bei der Einsatzleiterin der Polizei angemeldet. Kurz darauf sei ihr mündlich angekündigt worden, sie werde angezeigt. Weshalb, kann sich die bei der Gewerkschaft Verdi tätige Juristin nicht erklären. Sie hat nichts bemerkt, was nicht rechtens gewesen wäre.

brandenburg-zeigt-haltung.de

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