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Wirtschaft hält sich mit Botschaften zurück
Unternehmensvertreter beziehen allmählich Stellung gegen rechts
Das Entsetzen über aufgedeckte Abschiebefantasien von Rechtsextremen bei einem Geheimtreffen in Potsdam war groß. Auch manche Wirtschaftsvertreter ließen die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv nicht kalt. Auf der Internetplattform Linkedin, einem Netzwerk für geschäftliche Kontakte, das laut »Manager-Magazin« Firmenchefs vornehmlich zur Selbstbeweihräucherung dient, meldeten sich Führungskräfte etwa von Evonik und der Bahn zu Wort. »Die CEOs der Dax-Konzerne hüllen sich dagegen in Schweigen«, kritisierte das Wirtschaftsblatt. Ausnahme war der Telekom-Vorstandsvorsitzende Timotheus Höttges, der auf der Plattform schrieb: »Bei der Telekom arbeiten viele Menschen mit Migrationshintergrund. Sie tun viel für unser Unternehmen. Und sie tun viel für unser Land. Sie gehören zu uns.«
Im Gefolge der Massendemonstrationen mehren sich nun nach und nach die Botschaften aus Konzernspitzen. So veröffentlichte der Handelsriese Edeka auf seinem Instagram-Kanal ein bereits vor Jahren gezeigtes Video neu: »Wir lieben Vielfalt und stehen auf gegen rechts«, heißt es darin. Zu sehen ist ein fast leer geräumter Supermarkt, in dem nur noch Produkte stehen, die ausschließlich in Deutschland hergestellt wurden. Weitere Großunternehmen wie die Adidas, Commerzbank, Eon oder der Modehändler Zalando positionieren sich im Internet gegen Rechtsextremismus.
Führende Ökonomen kritisieren den allzu zögerlichen Umgang der Wirtschaft mit dem Thema und rufen dazu auf, sich öffentlich stärker gegen Rechtsextremismus zu positionieren: »Die Vorstände in den Unternehmen müssen jetzt Farbe bekennen gegen rechts und ihren Beschäftigten vor Augen halten: ›Eure Jobs sind in Gefahr, wenn die AfD sich durchsetzt‹«, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. In einigen Unternehmen herrsche leider die Attitüde, die Politik müsse das allein richten. »Das ist falsch, das müssen wir alle gemeinsam.« Dabei wären Wirtschaft und Unternehmen die großen Verlierer einer AfD-Politik, so Fratzscher. Ohne Beschäftigte aus dem Ausland werde sich der Fachkräftemangel erheblich verschärfen.
Auch die Marketing-Fachzeitschrift »Absatzwirtschaft« kritisierte am Mittwoch in einem Beitrag, dass sich viele der 40 Dax-Konzerne »überraschend bedeckt verhalten«. Lediglich eine »überschaubare« Anzahl der bekannten Marken werbe auf Social Media für eine pluralistische Gesellschaft. Erst auf Medienanfragen hin hätten SAP, Mercedes-Benz oder Audi reagiert. »Absatzwirtschaft« verwundert auch, dass insbesondere der Pharma- und Agrarkonzern Bayer keine klare Abgrenzung in seinen sozialen Netzwerken unternommen habe. Schließlich sei AfD-Politiker Roland Hartwig – ehemals Referent von Alice Weidel und bei dem Potsdamer Treffen von Rechtsextremisten dabei – von 1999 bis 2016 Spitzenmanager bei Bayer gewesen.
Auch viele Unternehmer-Verbände haben sich bislang gar nicht geäußert oder wie der DIHK und der Handwerksverband ZDH jetzt erst auf Pressenachfrage. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, warnte bei der Jahresauftakt-Pressekonferenz am Mittwoch in Berlin vor der AfD. Deutschland als Exportland profitiere wie wohl kaum ein anderes von Weltoffenheit, internationalem Handel und der europäischen Einigung. »Dass in diesem Land eine starke politische Partei Raum gewinnt, die all dieses infrage stellt, das ist wirtschaftlich gefährlich.«
Allerdings nutzte der BDI die Veranstaltung vor allem für Kritik an der Bundesregierung, die den Wirtschaftsstandort nicht ausreichend stärke. Der Politik in Deutschland warf Russwurm übermäßige Komplexität vor, die zum Verlust von Vertrauen bei Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürgern führe. Damit fehle eine verlässliche Basis für Investitionen.
Während sich die Wirtschaft beim Thema in Zurückhaltung übt, geht man hingegen dort in die Offensive, wo Lobbyinteressen in Gefahr sind. So fordern alle vier großen Unternehmerverbände in einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz die Regierung auf, dem geplanten EU-Lieferkettengesetz nicht zuzustimmen. Firmen könnten mit unbegründeten Klagen konfrontiert sowie überzogenen Strafen sanktioniert werden, heißt es darin. Unternehmen würden sich aus Europa zurückziehen.
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