Demokratie in königlicher Verkleidung

Zehn Jahre Landtagsschloss in Potsdam – ein schlechtes Symbol für eine Republik

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Genervt von den seiner Ansicht nach unzumutbaren Arbeitsbedingungen im alten Landtag auf dem Potsdamer Brauhausberg hat der SPD-Abgeordnete Jens Klocksin einst beschrieben, was er sich gewünscht hätte: Ein transparentes Haus mit großen Glasfronten als Sinnbild für eine mustergültige Demokratie. Die Bevölkerung könnte den gewählten Politikern schon von außen zuschauen, so wie es beim sächsischen Landtag in Dresden der Fall ist.

Stattdessen hat sich Brandenburg jedoch das glatte Gegenteil bauen lassen: ein Landtagsschloss. Mit einer 20-Millionen-Euro-Spende des Softwaremilliardärs Hasso Plattner für die Fassade und weiteren 1,6 Millionen für ein Kupferdach sieht das Parlament auf den ersten Blick fast haargenau so aus wie das alte Stadtschloss der preußischen Könige, welches bis 1959 an dieser Stelle gestanden hatte. Es wurde bei einem Bombenangriff 1945 schwer beschädigt und dann abgerissen.

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass die Landtagsabgeordneten vom Brauhausberg herunter in den Neubau auf den Alten Markt gezogen sind. Zu diesem Jubiläum hielt am Mittwoch Gunter Fritsch (SPD), der seinerzeit Landtagspräsident war, eine Rede im Plenarsaal. »Von den zehn Jahren, die der Landtag hier im Schloss ist, war ich nur neun Monate dabei«, bekannte der mittlerweile 81-Jährige, der bei der Landtagswahl im September 2014 nicht wieder angetreten war. So erinnerte Fritsch am Mittwoch vor allem an die Vorgeschichte, an die langen und kontroversen Diskussionen um das Neubauprojekt.

»Das Schloss war früher Sitz einer Ein-Mann-Demokratie. Alle Entscheidungen wurden einstimmig gefällt, denn es gab ja nur eine Stimme«, bemerkte Fritsch ironisch mit Blick auf die Hohenzollern. Die hatten erst als Kurfürsten über die Mark Brandenburg, dann als Könige über Preußen und schließlich als Kaiser über Deutschland geherrscht. Dabei war ihre Monarchie anfangs unumschränkt und zuletzt – bis Wilhelm II. im Jahr 1918 abdankte – immerhin eine konstitutionelle, die auch Parlamente hatte.

Käme der König wieder, würde er sein Schloss von außen sofort wiedererkennen, musste Fritsch einräumen. Das ist schon peinlich. Zumal auch die Wappenkartuschen »Preußen« und »Schlesien« rekonstruiert worden sind. Der Staat Preußen wurde auf Beschluss des Alliierten Kontrollrats von 1947 wegen seiner militaristischen Vergangenheit aufgelöst. Schlesien gehört seit der Befreiung vom Faschismus zu Polen. So wie der Landtag aussieht, halten ihn viele Touristen für ein echtes Schloss. Wer Französisch kann – der absolutistische König Friedrich II. beherrschte diese Sprache weit besser als die deutsche – wird mit einem Spruch an der Fassade aufgeklärt: »Ce n’est pas un château« (Dies ist kein Schloss). Künstlerin Anette Paul hatte den Vorschlag eingereicht.

In den Innenräumen würde sich der König heute überhaupt nicht mehr zurechtfinden. Denn da gibt es eine komplett neue Raumaufteilung. Alles ist völlig anders als früher und modern mit weißen Wänden. Manche sagten, es sehe aus wie ein Krankenhaus. Sie fragten, ob hier die kranke Demokratie geheilt werden solle, besinnt sich Ex-Landtagspräsident Fritsch. Doch auch das Gemäuer auf dem Brauhausberg sei »nicht so ganz der passende Ort« gewesen, tröstet er sich darüber hinweg. Es sieht einer spätmittelalterlichen Trutzburg ähnlich. Mit roten Klinkersteinen in den Jahren 1899 bis 1902 als Reichskriegsschule erbaut, diente es dann zunächst als Reichsarchiv, beherbergte nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetische Truppen und schließlich bis 1989 die SED-Bezirksleitung – »auch nicht gerade sympathisch für uns«, wie Gunter Fritsch findet.

»Es gab ein Signal mit dem Fortunaportal«, rechtfertigt der Sozialdemokrat die wegen ihrer Symbolik fragwürdige Entscheidung für ein Landtagsschloss. Ermöglicht durch den Fernsehmoderator Günther Jauch war das historische Portal schon in den Jahren 2000 und 2001 wiederaufgebaut worden. Ende 2006 gab es in Potsdam eine Bürgerbefragung zum Landtagsstandort. Dabei sprachen sich 24 172 Einwohner für die Schlossvariante aus. Addiert man die 16 089 Kreuze für den Standort Speicherstadt, die 7212 Kreuze für den Standort Palais Barberini und 8287 Kreuze für eine Sanierung des bestehenden Landtags auf dem Brauhausberg und für andere Orte, so waren deutlich mehr Potsdamer nicht für das Landtagsschloss. Aber eine zweite Befragung, eine Art Stichwahl zwischen Schloss und Speicherstadt, hat es nie gegeben.

So errichtete der Baukonzern BAM für 120 Millionen Euro das Landtagsschloss und stellte es dem Land Brandenburg für 30 Jahre zur Verfügung. Das Finasnzministerium stottert die Summe plus satte Aufschläge ab und bezahlt also am Ende eine viel höhere Summe. Nach Ablauf der Frist geht das Gebäude in sein Eigentum über. Es ist eine der in Verruf geratenen öffentlich-privaten Partnerschaften – in Verruf geraten deshalb, weil bei diesem Finanzierungsmodell in aller Regel die private Seite profitiert und der Staat draufzahlt. In dieses Bild passten die 120 Drehsessel für den Plenarsaal – Modell »Aluminium Chair«, entworfen 1958 von dem US-amerikanischen Stardesigner Charles Eames und seiner Frau Ray. Im Internet wurden solche Stühle im Jahr 2013 je nach Ausführung für 1800 bis 3100 Euro angeboten. Sicher gab es bei 120 Stück einen Mengenrabatt. Wie viel sie nun gekostet haben, wusste das Finanzministerium bei der Lieferung allerdings nicht zu sagen, da es für den Landtag nur den Komplettpreis erfuhr, der nicht so detailliert aufgeschlüsselt war. Der Baukonzern BAM hielt sich bedeckt und verriet lediglich, dass bei der Auswahl die lange Lebensdauer der exquisiten Bestuhlung eine Rolle gespielt habe. Zufällig läuft die Garantie der Drehsessel nach 30 Jahren ab, wenn der Landtag samt Inventar in Staatseigentum übergeht.

Streit gab es auch um den riesigen weißen Adler, den Architekt Peter Kulka für den Plenarsaal vorgesehen hatte. Kulka pochte auf sein Urheberrecht. Ausgerechnet die CDU verlangte aber mehr Rot, wie die Linksfraktion einst belustigt feststellte. Die CDU wollte den original roten Wappenadler sehen – und der hängt jetzt im Saal. Kulkas weißer Vogel befindet sich stattdessen im Flur. Das war ein Kompromiss – und ohne Kompromisse gehe es nicht in der Demokratie, betonte Gunter Fritsch am Mittwoch. Er will Kompromisse nicht als ein Einknicken verstanden wissen, sondern als Baustein für ein friedliches Zusammenleben. Der Ex-Landtagspräsident begrüßte den Aufruf »Brandenburg zeigt Haltung« und bekannte, die Demonstrationen gegen rechts in den letzten Tagen hätten ihn hoffnungsvoll gestimmt. Von allen Fraktionen erhielt er Applaus, nur nicht von der AfD.

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