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Unterwegs mit Che Guevara
Der 94-jährige Calica Ferrer blickt auf eine Reise mit seinem berühmten Freund zurück und erinnert an den Revolutionär
Es gibt wohl nur wenige Fotos, die weltweit so bekannt sind wie das Porträt, das Alberto Korda von Che Guevara gemacht hat. Das Bild »Guerillero Heroico« (Heldenhafter Guerillakämpfer) ist zu einer überlebensgroßen Ikone für die Revolution geworden – oder auch zu einer Marke. An den Menschen hinter diesem Bild erinnern sich nur noch wenige.
Einer derjenigen, die den 1967 getöteten Guerillero am besten kannten, ist Carlos »Calica« Ferrer. Der heute 94-Jährige lebt mit seiner Frau Raquel in Buenos Aires und ist für sein Alter erstaunlich fit. Der Schnurrbartträger erzählt gerne die Geschichten über seinen Freund und Reisegefährten, den er stets Ernesto nennt. Dies ist der eigentliche Vorname Guevaras. Den Spitznamen »Che« gaben ihm später die Kubaner in Anspielung auf eine im argentinischen Spanisch oft gebrauchte Ausdrucksweise. Doch da hatten sich die Reisewege von Calica und Ernesto schon getrennt.
Die beiden kannten sich von Kindesbeinen an. Calica war drei, Ernesto vier Jahre alt, als die Familie Guevara 1932 nach Alta Gracia zog. Der Ort liegt in den Bergen der argentinischen Provinz Córdoba. Das dortige trockene Klima mit gemäßigten Temperaturen schien ein günstiger Ort für den kleinen Ernesto zu sein, der an Asthma litt.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Calicas Vater war der Lungenarzt im Ort und behandelte den jungen Patienten. Schon zwischen den Eltern Guevara und Ferrer entwickelte sich eine Freundschaft. Beide hegten Sympathien für die Zweite Spanische Republik von 1931 bis zum Putsch Francos 1936. Das verband – und auch zwischen den Söhnen entstand eine enge Bindung. Sie wuchsen praktisch zusammen auf, gingen gemeinsam zur Schule, trieben jede Menge Sport. Damals schon dabei war Alberto Granado. Mit diesem sollte der 23-jährige Che Guevara im Dezember 1951 zu seiner ersten großen Lateinamerika-Reise aufbrechen, die 2004 in dem Roadmovie »Die Reise des jungen Che« (Regie: Walter Salles) verfilmt wurde.
Der Kontakt zwischen Calica und Ernesto riss auch nicht ab, als Letzterer zum Medizinstudium nach Buenos Aires ging. Calicas Mutter lebte in der argentinischen Hauptstadt. So kam Calica, der in Córdoba selbst ein Medizinstudium begonnen hatte, gelegentlich zu Besuch nach Buenos Aires.
Calica erinnert sich, wie Ernesto, der gerade von seiner ersten großen Reise zurückgekehrt war, zu ihm sagte: »Calica, ich werde innerhalb eines Jahres mein Studium abschließen. Danach machen wir eine große Reise.« Kein einfaches Unterfangen, schließlich fehlten dem jungen Guevara noch zahlreiche Scheine, um für die Prüfungen zugelassen zu werden. Doch er schaffte es tatsächlich, sodass sie auf große Fahrt gehen konnten.
Erstes Ziel war im Juli 1953 Bolivien. Mit dem Visum in den Händen ging es los. Sie hatten wenig Geld, ihre Verwandten stockten das Reisebudget auf. Das Nachbarland erreichten sie mit dem Zug. Später gingen die beiden Abenteurer auf belebte Marktplätze und erkundigten sich nach Mitfahrgelegenheiten per Lastwagen. Eine Methode der Fortbewegung, die Ernesto bei seiner Reise mit Granado ausprobiert hatte, nachdem ihnen in Chile das legendäre Motorrad »La Poderosa« den Dienst versagt hatte.
Calica und Ernesto wollten bis nach Venezuela reisen. Dort war Granado nach der ersten Reise geblieben und hatte Arbeit gefunden. Die Reisenden änderten jedoch ihren Plan, als sie nach Guayaquil kamen. In der ecuadorianischen Hafenstadt trafen sie ihren Landsmann Ricardo Rojo. Der schlug ihnen vor, statt nach Venezuela nach Guatemala weiterzureisen. In dem zentralamerikanischen Land führte Präsident Jacobo Árbenz Guzmán soziale Reformen durch.
Doch es war schwierig, Platz auf einem Schiff zu bekommen, mit dem die beiden nach Guatemala gelangen konnten. Deshalb entschied Calica, nach Quito zu fahren. Dort hatte er ein Angebot erhalten, als Fußballer etwas Geld zu verdienen. Ernesto versprach nachzukommen, sollte er es nicht schaffen, eine Schiffspassage nach Guatemala zu ergattern.
In der ecuadorianischen Hauptstadt erhielt Calica innerhalb von zwei Tagen zwei Telegramme von Ernesto. Im ersten kündigte er an, Calica nach Quito zu folgen. Doch nur einen Tag später übermittelte er, dass er doch noch einen Platz auf einem Schiff bekommen habe. Am Folgetag werde er Richtung Mittelamerika aufbrechen. »Das war der Moment, als sich unsere Wege trennten«, erinnert sich Calica – und aus Ernesto sollte bald Che werden.
Ohne den Freund fuhr Calica weiter durch Ecuador und Kolumbien nach Venezuela. Die Reise war nicht ungefährlich. Kolumbien war schon damals Schauplatz kriegerischer Konflikte. Die Lastwagen durchfuhren das Land im Konvoi, um vor gewaltsamen Übergriffen besser geschützt zu sein. Mit einer dieser Kolonnen erreichte Calica die Grenze zu Venezuela. Zwar war sein Visum seit einem Tag abgelaufen. Doch die Grenzer ließen ihn einreisen. Die Fahrt ging weiter nach Caracas, wo er Alberto Granado traf.
Arbeit fand Calica als Pharmavertreter, wobei er seine Kenntnisse als Medizinstudent einbringen konnte. Später arbeitete er als Versicherungsrepräsentant. Calica kam viel herum in Venezuela und lebte sich allmählich ein.
Der Kontakt zu Ernesto war spärlich. Eines Tages erfuhren Calica und Granado aus der Zeitung »El Nacional« von einer Gruppe Kubaner, die von Mexiko aus eine Revolution vorbereiteten. Darunter die Brüder Fidel und Raúl Castro sowie ein gewisser argentinischer Arzt. Ein Foto, auf dem Ernesto zu sehen war, illustrierte den Bericht.
Nach dem Triumph der kubanischen Revolution 1959 lud der nunmehr weltweit bekannte Comandante Che seine Freunde ein, nach Kuba zu kommen. Während Granado dem Vorschlag folgte, zog Calica es vor, in Venezuela zu bleiben. Sein Leben verlief denn auch – trotz aller Sympathie für die politische Sache seines Jugendfreundes – weniger revolutionär.
Calica kehrte Ende der 60er Jahre nach Argentinien zurück und arbeitete in verschiedenen Berufen, sei es als Vertreter für einen Süßstoffhersteller oder als Inspektor eines Sozialwerks. Viele Jahre lebte er in Gualeguaychú, der argentinischen Karnevalshochburg in der Provinz Entre Ríos, woher seine Frau Raquel stammte. Gemeinsam bekamen sie einen Sohn und eine Tochter. Der 1973 geborene Filius erhielt nicht zufällig den Namen Ernesto. Die Taufe führte übrigens der sozial engagierte Priester Carlos Mugica durch, der 1974 von den Todesschwadronen der »Triple A« ermordet wurde.
Es waren blutige Zeiten in Argentinien, die durch die Errichtung der Militärdiktatur 1976 immer brutaler wurden. Da habe er seine einstige Freundschaft zu Che Guevara eher nicht an die große Glocke gehängt, erinnert sich Calica Ferrer. Im Windschatten der Geschichte überstand er die dunklen Jahre des argentinischen Staatsterrors bis 1983. Nach seiner Pensionierung zog er mit seiner Frau nach Buenos Aires, wo die beiden im Stadtteil Recoleta eine gemütliche Wohnung bewohnen. Calicas Arbeitszimmer ist voller Andenken an seinen legendären Reisepartner. Dessen Vermächtnis sieht er in der Welt weiterhin gegenwärtig: »Sie haben es nicht geschafft, Che zu löschen. Weder die USA noch der Rest der Welt«, betont Calica. Ernesto sei bei jeder Demo präsent, bei der es um soziale Gerechtigkeit geht. »Sein Bild ist beliebt bei der Jugend. Che steht für den Kampf um ein besseres Leben und den Einsatz für die arme Mehrheit. Eine wahrhaft historische Persönlichkeit.« Calica ist sich sicher: »Noch in 200 Jahren wird an Che erinnert werden.«
Für den 94-Jährigen ist Kuba »immer noch eine Hoffnung« – auch wenn es dort wegen der Blockade durch die USA schwere wirtschaftliche Probleme gebe. Dem Einwand, dass es in Kuba an demokratischen Rechten mangele, begegnet Calica mit einem Verweis auf eine Aussage von Raúl Castro: »Ohne die ständige Bedrohung von außen wäre das Land demokratischer.« Calica erklärt jedenfalls, in Kuba niemanden getroffen zu haben, der politische Klagen geäußert habe. 2009 war er erstmals auf Einladung der kubanischen Regierung auf die sozialistische Karibikinsel gereist.
Dort gab es auch ein Wiedersehen mit Alberto Granado. Fidel Castro hatte er schon früher kennengelernt. 2006 besuchten der »Comandante en Jefe« und Venezuelas damaliger Staatschef Hugo Chávez mit Calica das Che-Guevara-Museum in Alta Gracia. Das Museum in Calicas Heimatort ist einer der wenigen Orte in Argentinien, wo an den Revolutionär mit dem Barett erinnert wird. Ansonsten gibt es nur noch das Che-Guevara-Denkmal in dessen Geburtsstadt Rosario sowie ein Museum in San Martín de los Andes. Ein von Raúl Castro gestiftetes Che-Porträt im »Salon der lateinamerikanischen Patrioten« im argentinischen Präsidentenpalast ließ der damalige Präsident Mauricio Macri 2016 entfernen.
»In seinem eigenen Land wird Che von offizieller Seite eher versteckt«, beklagt Calica. Im Volk hingegen sehe es schon anders aus. Da erinnere man sich durchaus an ihn. Calica selbst müht sich, das Andenken seines Freundes wachzuhalten. Er hat unter dem Titel »Mein Freund Ernesto« (Heyne-Verlag) ein Buch über die gemeinsame Reise durch Lateinamerika verfasst. Auch im hohen Alter nimmt Calica an Gedenkveranstaltungen aller Art teil und steht Filmemachern zur Verfügung, die ein Stück über Che drehen wollen. Wie zuletzt der griechische Dokumentarfilmer Thimios Kakos, mit dem sich Calica für »Te encontré, Che« (Ich habe dich gefunden, Che) auf Spurensuche nach Alta Gracia begab.
Mit Blick auf die Politik seines eigenen Landes lobt Calica vor allem das Präsidentenehepaar Kirchner. Die Amtszeit von Néstor Kirchner von 2003 bis 2007 und die Christina Kirchners von 2007 bis 2015 seien eine gute Phase gewesen. Die Kirchners hätten sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben und Argentinien außenpolitisch an der Seite anderer Linksregierungen in Lateinamerika wie die unter Lula da Silva (Brasilien), José Mujica (Uruguay), Evo Morales (Bolivien) und Hugo Chávez (Venezuela) richtig positioniert. Über die aktuelle Situation im Land nach dem Amtsantritt des selbst ernannten »Anarcho-Kapitalisten« Javier Milei als Präsident möchte Calica lieber nicht sprechen. Man merkt ihm aber an, dass er angesichts der politischen Entwicklung tieftraurig ist. Illusionen gibt er sich in Anbetracht radikaler Sparmaßnahmen nicht hin: »Es wird Unruhen geben wegen des sozialen Unfriedens.«
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