- Wissen
- Verkehrswende
Klima und Mobilität am Smartphone verbessern
Eine neue App soll Verständnis für die Komplexität der Verkehrswende schaffen
Wenn es um eine zukunftsgerechte Verkehrsplanung für ihre Stadt geht, sind Kommunalpolitiker nicht zu beneiden: Das Geld ist meist knapp, die Probleme sind riesig. »Mit der Mobilitätswende stehen die Kommunen vor der großen Herausforderung, ziemlich viele Dinge gleichzeitig und außerdem möglichst schnell umsetzen zu sollen, um von den Klimaemissionen runterzukommen«, sagt Claus Doll, Verkehrsforscher am Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI). »Außerdem haben die Kommunen die Aufgabe, Politik für ihre Bürger zu machen – also die Menschen durch Klimaschutzmaßnahmen nicht schlechter zu stellen.«
Zusammen mit dem Spieleentwickler Takomat und anderen Forschungseinrichtungen der Stadt wie dem Karlsruher Institut für Technologie hat Claus Doll das »Mobile City Game« entwickelt – ein dynamisches Modell für die Entwicklung von Verkehrsszenarien. Der Clou: Die Entwickler haben ihr Modell mit echten Mobilitätsdaten der Stadt Karlsruhe gefüttert. Es funktioniert per App auf dem Smartphone und ist in rund 15 Minuten durchgespielt. Wobei spielen nicht ganz der richtige Begriff sei: »Eigentlich ist es eine Simulationsumgebung und nicht so sehr ein Spiel, wo ich tatsächlich gewinnen oder verlieren kann«, so der Wissenschaftler.
Nutzerinnen und Nutzer der App haben die Aufgabe, die CO2-Emissionen des Verkehrs in Karlsruhe bis zum Jahr 2050 auf null zu senken. »In der aktuellen Version ist das allerdings nicht ganz zu schaffen«, verrät Doll. »Denn der Verkehrssektor alleine kann seine Klimaemissionen nicht neutral gestalten. Hier brauchen wir unbedingt die Energiewende, weil schließlich auch Elektrofahrzeuge Strom brauchen, bei dessen Herstellung Emissionen verursacht werden!«
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Doch von solchen kleinen Einschränkungen sollten sich die Verkehrsplaner am Smartphone nicht beirren lassen. Für die Verkehrswende stehen ihnen verschiedene Instrumente der Verkehrsplanung zur Verfügung: etwa Radwege ausbauen, Parkgebühren erhöhen, eine Tarifreform für den ÖPNV oder die Einführung eines innerstädtischen Tempolimits. Große Konflikte sind zu lösen: »Sie haben auf der einen Seite Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, etwa weil sie pendeln müssen«, sagt Doll. »Und auf der anderen Seite gibt es ein urbanes Klientel, das die Autos am liebsten ganz aus der Stadt drängen würde.«
Verschiedene Interessen müssen also ausgeglichen werden. Wer bei der Verkehrsplanung nur auf die Emissionen schaut, fährt das Projekt gegen die Wand. Sabine Hirtes kann davon ein Lied singen: »Ich habe sehr schnell ganz viele Maßnahmen angeregt, wie etwa sechs Radwege neu zu bauen, das gesamte Parkplatzsystem umzuwerfen und ein Tempolimit einzuführen. Und dabei stellte sich dann eben heraus, dass es so nicht geht.« Denn bei ihrem ersten Versuch hätte die Design-Professorin einer Hochschule im nahen Offenburg die Kommune Karlsruhe glatt in den finanziellen Ruin geführt. Neben den CO2-Emissionen spielen in der App nämlich auch die Lebensqualität der Bürger und die Kosten eine Rolle. Für jede dieser drei Kategorien erhält der Nutzer Punkte zwischen 0 und 100 – und nur wer alle drei im Blick hat, dem wird die Verkehrswende gelingen.
Die Spieleentwickler um Claus Doll haben sich viel Mühe gemacht, die unterschiedlichen Kategorien möglichst genau abzubilden. So setzt sich etwa die Lebensqualität aus vielen verschiedenen Indikatoren zusammen. Die Kosten für die Mobilität spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Erreichbarkeit verschiedener Orte in der Stadt, die Schadstoffbelastung der Luft, der Lärmpegel, die Verkehrssicherheit oder die positiven Gesundheitseffekte durch mehr Bewegung im Alltag, etwa beim Radfahren.
Sabine Hirtes, die auch Mitglied des Baden-Württemberg-Instituts für nachhaltige Mobilität ist, hat das »Mobile City Game« in einem Workshop kennengelernt. Sie sieht die spielerische Verkehrsplanung als Möglichkeit, die Menschen für Fragen der Verkehrsplanung zu sensibilisieren. »Man wird sich vielleicht auch eher darüber klar, was man selber in seiner Stadt möchte«, sagt sie.
Neben der interessierten Öffentlichkeit hat der Verkehrsforscher Claus Doll auch den Wissenschaftsbetrieb im Blick, insbesondere Studiengänge der Verkehrswissenschaften, die oft sehr technisch angelegt sind. »Mit diesem Tool könnten wir zeigen, dass es nicht nur um Änderungen der Verkehrsmittel-Wahl, der Kosten und Zeiten geht«, sagt der Wissenschaftler. »Es gibt eben auch noch Auswirkungen etwa auf die Lebenszufriedenheit und auf die Stadtfinanzen, die man als Verkehrsplanerin oder Verkehrsplaner auf dem Radar haben sollte.«
Und auch Beschäftigte in den Kommunen selber sollen von der App profitieren. Michael Fritz, im Karlsruher Stadtplanungsamt für innovative Mobilität zuständig, ist allerdings etwas skeptisch. »Bei so einem Spiel ist immer ein bisschen die Gefahr, dass es einfache Lösungen suggeriert – also dass die Bürger an drei Reglern schieben und schon ist das Problem gelöst«, sagt Fritz. »Aber so einfach ist das Leben nicht!« Kommunale Verkehrsprojekte seien schließlich oft mit jahrelangen Diskussionen verbunden. Mitgemacht hat die Stadt Karlsruhe am Ende trotzdem – vor allem, indem die Stadt ihre Mobilitätsdaten zur Verfügung gestellt hat. »Wir unterstützen auch Projekte, bei denen wir nicht den direkten Nutzen für unsere Arbeit sehen«, sagt der Verkehrsplaner. »Aber wenn die Gesellschaft davon profitiert, dann ist auch was gewonnen.«
Noch halten sich die Nutzerzahlen der App in Grenzen – was auch an ihrer geringen Bekanntheit liegen dürfte. Da kommt die Auszeichnung mit dem Deutschen Mobilitätspreis des Bundesverkehrsministeriums wie gerufen. Die Entwickler wollen die App in Zukunft auch für andere Kommunen in ganz Deutschland anbieten. Bis dahin müssen aber noch neue Datensätze eingepflegt und die Werkzeuge für die Verkehrsplanung an die lokalen Bedürfnisse angepasst werden. »Aber wenn wir die Grundlagendaten haben, ist auch das kein großer Schritt mehr«, ist Doll überzeugt.
Das »Mobile City Game« kann bei Google Play oder im AppStore von Apple kostenlos heruntergeladen werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.