»Wer das Lieferkettengesetz ablehnt, ist für Sklavenarbeit«

Die Gewerkschafter Zehra Khan und Nasir Mansoor über aktuelle Kämpfe in Pakistan und die Notwendigkeit des EU-Lieferkettengesetzes

  • Interview: Felix Sassmannshausen
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Jahr 2012 starben in Pakistan mehr als 260 Textilarbeiter*innen bei einem Brand in einer Fabrik von Ali Enterprises, die unter anderem den Discounter Kik belieferte. Lange Zeit wurde niemand belangt. Das deutsche Lieferkettengesetz ist seit einem Jahr wirksam. Verbessert es die Situation?

Zehra Khan: Ja, auf jeden Fall. Früher gab es keine Möglichkeit, die großen Marken für Menschenrechtsverletzungen zu belangen. Das ist jetzt anders. Wir können das Gesetz nutzen, um direkt beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen einzureichen.

Nasir Mansoor: Aber das deutsche Gesetz hat seine Grenzen, wir haben noch einen langen Weg vor uns. Unternehmen umgehen etwa weiterhin die Vorgaben, indem sie Subunternehmer einsetzen und ihre Beschäftigten nicht registrieren.
Khan: Das ist auch ein großes Problem für uns. Denn um einer Gewerkschaft beitreten zu können, müssen die Beschäftigten bei den Unternehmen angemeldet sein. Sie benötigen offizielle Dokumente. Einer unserer Hauptkämpfe besteht darin, die Unternehmen zu zwingen, die Arbeitsbescheinigungen auszuhändigen. Dann könnten die Arbeiterinnen und Arbeiter mithilfe der Gewerkschaften auch vor Gericht ziehen und ihre Rechte einklagen.

Wie ist die Lage für die Arbeiter*innen und Gewerkschaften in Pakistan?

Interview
Zehra Khan, Generalsekretärin der Home-Based Women Worker's Fede...

Nasir Mansoor (li.) ist stellvertretender Generalsekretär des pakistanischen Gewerkschaftsdachverbands NTUF.
Zehra Khan (re.) ist Generalsekretärin der 2009 gegründeten Home-Based Women Worker’s Federation (HBWWF).

Khan: Schwierig. Es gibt eine Allianz aus Konzernen, den Behörden, politischen Parteien und gelben Gewerkschaften, die von den Unternehmen gegründet werden. Sie haben Geld, Waffen, den Staatsapparat. Wir haben nur unsere Solidarität und kämpfen dafür, dass unsere Rechte, die in der Verfassung und in den Arbeitsgesetzen verankert sind, überhaupt umgesetzt werden. Wir kämpfen für die Einhaltung des Mindestlohns und für unser Recht auf soziale Sicherheit.

Mansoor: Die Situation ist unübersichtlich. Offiziellen Statistiken zufolge gibt es in Pakistan etwa 90 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter, wahrscheinlich sind es mehr. Der informelle Sektor ist riesig, fast 70 Prozent sind nicht offiziell beschäftigt. Und nur ein geringer Teil von ihnen ist gewerkschaftlich organisiert. Aufgrund der weitverbreiteten informellen Arbeitsstrukturen etwa in der Textilindustrie gehen wir davon aus, dass die Quote dort bei 0,5 Prozent liegt. Das hat sich in der Corona-Pandemie noch verschärft. Viele Fabriken, die zum formellen Sektor gehörten, begannen, ihre Arbeiterinnen und Arbeiter informell zu beschäftigen.

Was sind die Folgen davon?

Khan: Das hat vor allem Frauen getroffen, die wir mit der Home-Based Women Worker’s Federation erreichen wollen. Wir haben die Gewerkschaft 2009 nach jahrelanger Vorbereitung gegründet und haben jetzt über 4000 Mitglieder. Viele Frauen in der Textilindustrie arbeiten am unteren Ende der Lieferkette. Sie werden über Subunternehmen eingestellt, die ihnen oft keine Rechte einräumen und weniger als den Mindestlohn zahlen. Sie haben keine schriftlichen Verträge und sind nicht bei der Sozial- oder der Rentenversicherung angemeldet. Wenn sie schwanger werden, verlieren sie meist sofort ihren Arbeitsplatz.

Es ist wahrscheinlich nicht leicht, sie zu erreichen.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Khan: Ja, das ist schwierig. Sie arbeiten nicht in einer Fabrik, wo man direkt mit ihnen sprechen kann. Deshalb haben wir uns bei unserer Arbeit auf Gebiete konzentriert, in denen wir direkten Kontakt herstellen konnten. Wir gingen von Tür zu Tür, sprachen mit den Arbeiterinnen und baten sie, zu unseren Treffen zu kommen, um über ihre Arbeitsbedingungen zu sprechen. Oft erlaubten die Männer ihren Frauen nicht, nach draußen zu gehen. In Pakistan sind die religiösen Werte, die Frauen einschränken, stark ausgeprägt. Frauen müssen zu Hause bleiben und dürfen nicht mit Fremden sprechen. Als wir sie ansprachen, bedrohten ihre Ehemänner sie und sagten: »Wir werden dich verkaufen, wenn du zu dem Treffen gehst.« Das ist Menschenhandel. Aber in jeder Gesellschaft gibt es mutige Frauen, die neugierig sind. Sie konnten wir treffen, und sie helfen uns jetzt dabei, die Gewerkschaft zu erweitern und über sie zu informieren, auch bei den Frauen, die in den Subunternehmern arbeiten.

Wie groß sind die Unternehmen?

Khan: Das ist schwer zu sagen, weil wir keine genauen Daten haben. In Karatschi (die größte Stadt Pakistans, Anm. d. Red.) haben wir zum Beispiel sieben Industriezonen. Sie haben ihre gesamten Produktionseinheiten wie die Näherei und sogar die Verpackungsabteilung auf das System der Drittanbieterverträge umgestellt. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber in der größten Zone sind mehr als 10 000 Arbeiter beschäftigt. Die meisten Zulieferer verkaufen ihre Waren nach Europa und in die USA.

Was können Arbeiter*innen und Gewerkschaften hier tun, um Ihre Arbeit zu unterstützen?

Mansoor: Das europäische Lieferkettengesetz muss umgesetzt werden. Es ist besser als das deutsche, weil es Unternehmen etwa in der Textilbranche mit mehr als 250 Beschäftigten einbezieht, wenn sie mehr als 40 Millionen Euro jährlich umsetzen. Das deutsche Gesetz ist aktuell auf 1000 Beschäftigte beschränkt. Dafür müssen Gewerkschaften und linke Parteien den Druck auf ihre Regierungen erhöhen. Wir müssen ganz klar sagen: Wer, wie die FDP in Deutschland, das europäische Lieferkettengesetz ablehnt, ist für Sklavenarbeit.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.