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- Tod von Ante P.
Hektik im Mannheimer Polizeiprozess
Die Nebenklage hält ihre Schlussplädoyers, das vermutlich milde Urteil soll am 1. März verkündet werden
Vor dem Mannheimer Landgericht geht das Verfahren gegen zwei beschuldigte Polizeibeamte wegen des Tods des 47-jährigen Ante P. zu Ende. Am Donnerstag hielten die Anwälte der Angeklagten sowie der Angehörigen als Nebenkläger ihre Schlussplädoyers. Für den Hauptbeschuldigten wollen die Mutter und Schwester des Verstorbenen eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten, dessen Verteidigerin plädiert auf Freispruch. Die Staatsanwaltschaft bewegt sich dazwischen und fordert sechs Monate Haft auf Bewährung wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge und unterlassener Hilfeleistung. Der zweite Beschuldigte, dem fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen wird, soll nach Willen des Staatsanwaltes freigesprochen werden. Mit diesen Urteilen dürften beide Beamten im Polizeidienst verbleiben.
Ante P. war am 2. Mai 2022 während eines psychischen Ausnahmezustands auf dem Marktplatz in der Mannheimer Innenstadt mit Pfefferspray angegriffen, niedergerungen, am Boden fixiert und mit Faustschlägen traktiert worden. Trotz Warnungen von Umstehenden hatten die Beamten den Mann minutenlang mit dem Kopf nach unten auf das Pflaster gedrückt und auf diese Weise sterben lassen. Den Tod hatte schließlich der Arzt festgestellt, der die Polizei gerufen hatte – eigentlich, um Ante P. in eine Klinik zu bringen.
Ein Gutachten der Anklage stellte nach der Obduktion fest, dass Ante P. aufgrund seiner ungünstigen Fixierung auf dem Bauch und der Panik, in der er sich befunden hatte, erstickt war. Auch ein Herzstillstand war demnach in einer solchen Situation nicht auszuschließen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Baden-Württemberg hatte jedoch zwei rechtsmedizinische Gegengutachten finanziert. Darin wird eine bekannte Herzschwäche des Mannes als todesursächlich bezeichnet.
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Im Prozess wurden über 40 Zeug*innen gehört, zunächst hatte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz acht Verhandlungstage angesetzt. Jedoch wurde die Beweisaufnahme schon am fünften Tag geschlossen. Am selben Tag hielt die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer.
Die unterschiedlichen Schlussfolgerungen der Parteien am sechsten Prozesstag in dem Fall zeigen: Der Ablauf des Geschehens ist zwar fast lückenlos dokumentiert, die Ermittler haben hierzu rund 120 Videos gesichtet. Die Ansichten darüber, was warum an diesem Tag passiert ist, gehen dennoch weit auseinander. Im Raum steht auch die grundsätzliche Frage: Tragen Polizist*innen Verantwortung dafür, wenn unter ihrer Aufsicht ein Mensch stirbt?
Die Verteidigerin des Hauptangeklagten sieht bei ihrem Mandanten kein Verschulden. Die polizeilichen Maßnahmen seien notwendig und alternativlos gewesen, sagte sie. Auch eine Umlagerung des bäuchlings fixierten Opfers hätte dessen Tod nicht verhindern können, so die Argumentation. Dies hätten die von der GdP finanzierten Gutachten nahegelegt.
»Für beide Parteien hat der 2. Mai das Leben für immer verändert«, holte die Verteidigerin des zweiten Angeklagten, der das Geschehen beobachtet und nicht eingegriffen hatte, aus. Zum Leid ihres Mandanten erklärte die Anwältin, dieser habe sich wegen Anfeindungen im Internet aus sozialen Medien abmelden müssen. Im Gericht vorgelegte Zeitungsartikel, in denen die Polizisten mit dem Tod von Ante P. in Zusammenhang gebracht wurden, sollten dies belegen.
Auch polizeiintern seien die Beschuldigten einem hohen Druck ausgesetzt gewesen, behauptete die Anwältin. Vom Rückhalt innerhalb der Behörde könnte man jedoch einen anderen Eindruck gewinnen. Immerhin stellen sich die Polizeigewerkschaft und Vorgesetzte hinter die beiden Polizisten. So hatten der Vorsitzende der Mannheimer GdP-Sektion und der Polizeipräsident Siegfried Kollmar die Vorwürfe gegen die Beamten scharf kritisiert.
Die Anwälte der Nebenklage betonten jedoch, dass die Beamten den psychischen Ausnahmezustand des Opfers nicht berücksichtigt hätten: »Als Nebenklage haben wir hier viele Fragen, die sich mit einem Wort zusammenfassen lassen: Warum?« Von Ante P. sei zu keiner Zeit eine Gefahr ausgegangen, so einer der Anwälte der Nebenklage. »Ein Einsatz, der darauf ausgerichtet sein soll, eine vulnerable Person zu schützen, darf nicht mit Gewalt geführt werden«, sagte dazu Michéle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie aus Köln, »nd«. Winkler beobachtet den Mannheimer Prozess im Auftrag der Organisation.
Auch habe die rechtliche Grundlage für den Einsatz der beiden Polizisten gefehlt, monierte der andere Nebenklageanwalt, der die Menschenwürde ins Zentrum seines Plädoyers rückte. Ante P. lebte seit drei Jahrzehnten mit der Krankheit und war selbstständig in einer eigenen Wohnung. Die fürsorgliche Unterbringung in einer Klinik dürfe gegen den Willen eines Menschen nur unter bestimmten Umständen durchgesetzt werden, hierzu zähle etwa eine akute Suizidgefahr, die in diesem Fall aber nicht gegeben gewesen sei.
In der Verhandlung am Donnerstag ergriff die Mutter von Ante P. das Wort. »Er war so ein sonniger Mensch. Ich vertraue darauf, dass das Gericht die Angeklagten zur Verantwortung zieht«, sagte sie. Für Winkler vom Grundrechtekomitee ein wichtiger Moment: »Sie hat damit für den ersten wirklich menschlichen Moment im gesamten Prozessverlauf gesorgt und mit den liebevollen Worten über ihren Sohn ins Zentrum gestellt, worum es geht: um den Tod eines geliebten Menschen, der ohne das Eingreifen der Polizei heute noch am Leben wäre.«
Auch Ante P. hatte vor seinem Tod an die Justiz appelliert: »Ich will einen Richter!«, soll er laut Zeug*innen im Sterben gesagt haben. Gerechtigkeit erhalten er und die Angehörigen aber vermutlich nicht – Mutter und Schwester des Toten forderten, dass die Angeklagten wenigstens den Polizeidienst verlassen müssen. Bislang sieht es nicht so aus, als schlösse sich der Richter dieser Forderung an.
Eigentlich sollte bis zum 8. März verhandelt werden, nun soll das Urteil schon am 1. März fallen. Er wolle seinen Schreibtisch freibekommen, sagte Richter Rackwitz zur Begründung.
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