- Politik
- Sexkaufverbot
Debatte um Prostitution: Ausbeutung oder Selbstbestimmung?
Um Gewalt in der Prostitution zu verhindern, wird immer wieder über das »Nordische Modell« diskutiert
In Deutschland arbeiten rund 28.000 Menschen in der Prostitution – jedenfalls waren im Jahr 2022 laut Statistischem Bundesamt so viele bei den Behörden gemeldet. Schätzungen gehen hingegen von einer viel höheren Zahl an Sexarbeitenden aus. Die Rede ist von 200.000 oder sogar 400.000. Im Zuge der Fußballweltmeisterschaft 2006 sollen bis zu 40.000 Zwangsprostituierte aus Osteuropa nach Deutschland gekommen sein, war damals in Medien wie »Die Zeit« und »Der Spiegel« zu lesen. Ein Jahr nach dem »Sommermärchen« stellt eine Studie der Internationalen Organisation für Migration fest, dass die Zahl »unrealistisch und unfundiert« war.
Wie viele Menschen ihr Geld durch sexuelle Dienstleistungen verdienen, kann niemand sagen. Sicher hingegen ist, dass sich nicht alle von ihnen freiwillig prostituieren. Viele Sexarbeitende befinden sich in Notlagen, das Gewerbe ist durchzogen von Menschenhandel, Ausbeutung und gewaltvollen Abhängigkeitsverhältnissen. Dass den Betroffenen geholfen werden muss, darin besteht Einigkeit. Wie ist hingegen strittig.
CDU und CSU im Bundestag meinen, die Missstände ließen sich nur durch grundlegende Änderungen der Gesetzgebung verbessern, und zwar in Form des »Nordischen Modells«. In einem Antrag, der vergangene Woche im Bundestag diskutiert wurde, fordern sie eine allgemeine Freierstrafbarkeit einzuführen, den Betrieb von Bordellen und Laufhäusern und die Vermietung von Objekten zum Zweck der Prostitution zu verbieten, sowie umfassende Präventions- und Ausstiegsmaßnahmen.
Lesen Sie auch: Nicht der richtige Weg – Birthe Berghöfer über Forderungen nach dem »Nordischen Modell«
Prominente Fürsprecherin eines solchen Sexkaufverbots ist auch die SPD-Politikerin Leni Breymaier. Den Antrag der Union kritisierte sie am Freitag dennoch. In der Politik gehe es um die Organisation von Mehrheiten, das habe man bei diesem Antrag nicht getan und tue somit auch nichts für die Lage der Frauen. Der »Antrag leuchtet wie eine Wunderkerze und ist im Nullkommanix abgebrannt«, erklärte sie in ihrer Rede und stellte mit Blick auf das Grundsatzprogramm der CDU – wo die Begriffe Sexkaufverbot und Prostitution nicht zu finden sind – auch ein grundlegendes Interesse an Sexarbeitenden infrage.
Berufsverbände, die Deutsche Aidshilfe und die Diakonie Deutschland warnen hingegen vor den Folgen, die ein Sexkaufverbot haben kann. Internationale Studien und Erfahrungen in Ländern wie Schweden und Frankreich würden zeigen, dass die Kriminalisierung von Prostitution Sexarbeiter*innen nicht schütze, sondern das Risiko erhöhe, dass sie Opfer von Gewalt oder anderen Straftaten werden. »Es widerspricht sich, wenn Sie in dem Antrag sagen, dass Sie Sexarbeiterinnen nicht kriminalisieren wollen, sie dann aber in die Illegalität treiben«, kommentierte auch Heidi Reichinnek (Die Linke) den Antrag der Union. Vielmehr sei die Durchsetzung vorhandener Gesetze das Problem.
Menschenhandel und Zwangsprostitution sind schon jetzt strafbar. Ebenso hat der Bundestag bereits 2021 eine verschärfte Bestrafung für Freier eingeführt, nämlich wenn dieser die Umstände »leichtfertig verkennt«, wie es im Paragraf 232a des Strafgesetzbuchs formuliert ist. Für den Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen wurde bereits damals ein »Sexkaufverbot durch die Hintertür eingeführt beziehungsweise möglich gemacht«.
Der Verkauf sexueller Dienstleistungen hingegen gilt seit dem 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz nicht mehr als sittenwidrig und hat damit an Rechtssicherheit gewonnen: Es konnten Arbeitsverträge abgeschlossen werden und Ansprüche, etwa auf vereinbarte Bezahlung, geltend gemacht werden. Im Jahr 2017 legte die damalige Koalition aus Union und SPD mit dem Prostitutionsschutzgesetz nach. Es führte eine Anmeldepflicht und gesundheitliche Beratung für Sexarbeitende und umfassende Regeln für den Betrieb von Prostitutionsstätten ein. Das Gesetz hat zum Ziel, verträgliche Arbeitsbedingungen zu sichern, Sexarbeitenden verlässliche Informationen zu ihren Rechten und zu Unterstützungsangeboten zu ermöglichen. Schlussendlich sollten so auch Menschenhandel und Zwangsprostitution eingedämmt werden. Bislang ist jedoch unklar, ob diese Ziele erreicht werden. Bis zum 1. Juli 2025 soll dem Bundestag eine Evaluation vorgelegt werden, mit der sich bereits seit 2022 das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e.V. befasst. Die Union möchte diese Evaluierung ihres eigenen Gesetzes aber nicht abwarten und erklärt die liberale Regelung als gescheitert.
Es ist eine Debatte, die auch ein Stück entlang konträrer feministischer Überzeugungen geführt wird: Basiert Prostitution per se auf der Ausbeutung von Frauen oder ist die selbstbestimmte Arbeit in dem Bereich möglich und sollte normalisiert werden? Die CDU-Politikerin Dorothee Bär hält Freiwilligkeit in der Prostitution für einen Mythos, ebenso die Publizistin Alice Schwarzer. Berufsverbände und Hilfsorganisationen hingegen pochen auf stärkere Unterstützung von Sexarbeitenden, die nicht alle pauschal als Opfer bezeichnet werden wollen.
Lesen Sie auch: Selbstbestimmung in der Sexarbeit – Das neue Berliner Paramour Collective will selbstbestimmt und sicher arbeiten.
Die Diskussionen zum Thema Prostitution werden emotional geführt und bauen auf eine schlechte Datenlage auf, so auch vergangene Woche im Bundestag. Aber »Vereinfachung, Polemik und ein Aufheizen der Debatte gehen immer zulasten der Menschen, um die es geht«, betonte die Grünen-Abgeordnete Denise Loop. Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen will deswegen rund um den Internationalen Hurentag am 2. Juni 2024 einladen, »hinter die Kulissen der Sexarbeit zu schauen«. Man wolle Raum für interessierte Fragen, aber auch kritische Diskussionen bieten und so Berührungsängste abbauen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.