Israels Armee legt Evakuierungsplan vor

Eine militärische Offensive auf Rafah könnte das Verhältnis zu Ägypten auf eine harte Probe stellen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die israelischen Kolleginnen und Kollegen sind sauer. Wenn Regierungschef Benjamin Netanjahu etwas öffentlich zu sagen hat, dann teilt er das nicht etwa mit den Journalisten der einheimischen Medien. Sondern mit den großen US-Sendern, über die die Nachrichten dann zurück nach Israel gelangen, in ein Land, dessen Menschen sich von ihrer Regierung entfremdet haben.

Trotz der enorm langen Regierungszeit Netanjahus von gut 14 Jahren hatte er nie so etwas wie eine Mehrheit hinter sich; er konnte einfach besonders gut aus vielen Parteien eine Regierung bilden. Sein rechtskonservativer Likud selbst bekam aber trotzdem nie mehr als 30 Prozent, meist weniger.

Doch nun befindet sich Israel in Aufruhr: Im Gazastreifen halten Hamas und Islamischer Dschihad immer noch um die 100 Menschen fest, die am 7. Oktober vergangenen Jahres während des Massakers verschleppt wurden. Zehntausende sind auf der palästinensischen Seite gestorben; fast die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens befindet sich auf der Flucht. Im Westjordanland kann die Lage jederzeit eskalieren. Die israelische Wirtschaft liegt am Boden; die Armut steigt.

Und Netanjahu wendet sich vor allem an die US-Öffentlichkeit, vielleicht um die militärische Unterstützung zu sichern, die auch in den USA auf Kritik stößt: »Der totale Sieg ist in Reichweite«, sagt er in der am Sonntag ausgestrahlten CBS-Sendung »Face the Nation«: »Nicht in Monaten, sondern in Wochen, sobald wir mit der Operation beginnen.«

Für das eigene Land hatte man dann kurz darauf eine knappe Mitteilung des Militärs parat: Man habe dem Kriegskabinett »einen Plan für die Evakuierung der Bevölkerung und den weiteren Einsatzplan vorgelegt.« Rafah, jene Stadt an der Grenze zu Ägypten, in die sich derzeit zusätzlich zur eigentlichen Bevölkerung rund eine Million Menschen geflüchtet haben, wurde in der Mitteilung nicht namentlich erwähnt. Und auch nicht: Wie man bis zu eineinhalb Millionen Menschen aus der Schusslinie schaffen will, wenn es losgeht.

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Das »Kriegskabinett« ist ein Gremium, das nach dem 7. Oktober gebildet wurde, und aus Regierungschef Netanjahu, Verteidigungsminister Joaw Galant und Oppositionsführer Benny Gantz besteht. Daneben besteht weiterhin die eigentliche Regierung aus dem Likud, den beiden ultra-orthodoxen Parteien im Parlament und dem extrem rechten Parteienbündnis »Religiöser Zionismus«. Am Sonntag wurde der Einsatzplan für Rafah also nun vom Kriegskabinett gebilligt; in den kommenden Tagen soll er dann der Regierung vorgelegt werden. Danach werden die Pläne umgesetzt und die Offensive auf Rafah beginnt.

Wann, das ist allerdings noch völlig offen. Denn gleichzeitig wird weiterhin über eine Feuerpause verhandelt. Nach Aussage von Vertretern der Regierungen in Katar und Ägypten sind die Verhandlungen weit fortgeschritten; nicht beantworten will man aber die Frage, warum es trotzdem noch nicht zu einer Vereinbarung gekommen ist. Allerdings wird auch zunehmend klar, dass man vor allem im Nachbarland Ägypten andere Vorstellungen hat als die Kollegen in Israel. Eine Waffenruhe müsse immer auf einen dauerhaften Frieden hinführen und nicht einfach nur eine Verschnaufpause sein, sagt ein hochrangiger ägyptischer Diplomat und fügt hinzu, dass die Angriffspläne für Rafah der Führung um Präsident Abdel Fattah Al-Sisi Sorgen bereiten.

Man befürchtet, dass Hunderttausende die Grenze durchbrechen könnten. Und dass die Hamas ägyptischen Boden als Basis für die weitere Kriegsführung gegen Israel nutzen könnte. Das ägyptische Militär stünde dann vor demselben Problem wie die israelische Armee: Man müsste innerhalb einer sehr großen Menschenmenge operieren, mit wahrscheinlich vielen Opfern.

Schon unmittelbar nach Kriegsausbruch trafen sich erstmals Vertreter der israelischen und ägyptischen Geheimdienste, um durchzusprechen, was das für den Friedensvertrag von Camp David bedeuten würde, in dem beide Länder Ende der Siebzigerjahre die militärischen Verhältnisse auf der Sinai-Halbinsel geregelt hatten. Weitgehend unbemerkt hat man so eine Ausweitung der militärischen Präsenz Ägyptens an der Grenze zum Gazastreifen vereinbart. Was passieren würde, wenn Israel von ägyptischem Territorium aus angegriffen werden sollte, ist allerdings offen.

Hilfsorganisationen warnten am Montag einmal mehr vor einer Katastrophe in Rafah. Zwar fließen über die Übergänge Rafah und Kerem Schalom mittlerweile konstant Hilfsgüter in den Gazastreifen, aber es gibt zunehmend Berichte über Ausbrüche schwerer Krankheiten. Sollte Israels Militär die Menschen erneut zur Flucht aufrufen, würde es noch schwieriger werden, Hilfsgüter zu den Notleidenden zu bringen. Jüngst war der Plan in Umlauf, die Menschen vor Beginn der Offensive in Zeltlagern unterzubringen. Was daraus wurde, ist unklar. In der Mitteilung des Militärs heißt es knapp: Das Kriegskabinett habe einen Plan für humanitäre Hilfen beschlossen, der Plünderungen verhindern soll. In Rafah ist die Ordnung zusammengebrochen; es gelte das Recht der Stärksten, berichten Hilfsorganisationen. Sicher ist: Eine Feuerpause würde den Krieg nicht beenden. Falls es sie gebe, so Netanjahu bei CBS, werde sie die Offensive nur hinauszögern.

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