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Rechter Angriff vor Gericht: »Wo ist unser Schutz?«

Bewährungsstrafe für zwei Angeklagte wegen schwerer Körperverletzung und Beleidigung

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wo ist unser Schutz?«, fragt eine der Zeug*innen am Mittwochmorgen im Amtsgericht Tiergarten. Vor Gericht stehen Nico W. (26) und Tom R. (25), die am Nachmittag des 30. Juli 2023 am Bahnhof Köpenick auf offener Straße zwei Brüder rassistisch beleidigten, angriffen und so schwer verletzten, dass diese immer noch unter psychischen Folgen leiden. Einer der beiden hat bis jetzt körperliche Beschwerden.

Die Zeugin fragt zu recht. Denn ihr Name sollte, wie auch der der sieben weiteren an diesem Mittwoch anwesenden Zeug*innen, aus Gründen des Schutzes nicht öffentlich werden. Auch vor Gericht sollte er nicht genannt werden. Das wurde zuvor mit einem Antrag eingefordert, aber nicht umgesetzt. Die verhandelnde Richterin Karin Nissing nennt die Namen der Zeug*innen im öffentlichen Verfahren.

Vor Gericht stehen zwei Männer, beide vorbestraft, einer von ihnen mehrfach wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbole. An jenem Sonntag im Juli beleidigten Nico W. und Tom R. tagsüber in Köpenick zwei Brüder mit syrischen Wurzeln nicht nur rassistisch. Laut Zeug*innen-Aussagen drohten sie auch, sie zu töten. Vorangegangen war den verbalen Angriffen eine Auseinandersetzung über das parkende Auto der Brüder, das vor dem Bahnhof Köpenick stand, um mit Musikinstrumenten und Gepäck für einen Ausflug beladen zu werden. Die Brüder, die mit Freund*innen einen Bootsausflug machen wollten, wurden von W. und R. nach dem verbalen Angriff geschlagen und getreten. Die Folgen waren Knochenbrüche und Platzwunden. Einem der Geschädigten musste eine Metallplatte ins Sprunggelenk eingesetzt werden. »Noch heute habe ich Schmerzen, da ich auf der Arbeit lange stehen muss«, erklärt er vor Gericht.

Die Anklage für Nico W. und Tom R. lautet gemeinschaftliche Körperverletzung und Beleidigung. Hinzu kommt der Einsatz einer Waffe, denn Nico W. und Tom R. traten nicht nur auf die bewusstlos am Boden Liegenden, sondern schlugen mit einer Bierflasche auf Brustkorb und Kopf der Brüder ein. Der Staatsanwalt spricht im Zusammenhang mit dem Angriff von »lebensgefährlich«.

Bei der Verhandlung an diesem Mittwoch sind die Angeklagten mit Pflichtverteidigung anwesend, die Geschädigten mit ihrem Nebenklagevertreter. Die Angeklagten gestehen die Tat, bitten um Entschuldigung und sprechen in den von ihren Verteidigern verlesenen Stellungnahmen von einer Aktion, die »aus dem Ruder gelaufen« sei. In der knappen Stellungnahme von R., der unter anderem wegen des Zeigens verfassungsfeindlicher Symbolik vorbestraft ist, sagt dieser, er habe sich bei einer Suchtberatung gemeldet. »Ich habe einen Termin, falls ich es schaffe.« W. sagt, er sei kein Rassist. Beide waren während der Tat alkoholisiert, jedoch unterhalb der Grenze von 2,0 Promille, die strafmildernd für ein Urteil wäre.

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Als einer der Brüder, der von Nico W. und Tom R. bewusstlos geschlagen wurde, in den Zeugenstand tritt, merkt man ihm die Anspannung an. »Ich fühle mich nicht mehr sicher«, erzählt er. Er war am 30. Juli 2023 mit Freund*innen auf dem Weg zum Musizieren. »Wird man in diesem Land angegriffen, weil man ausländisch aussieht, mit Akzent spricht oder vielleicht ›komische‹ Musikinstrumente mit sich trägt?«, fragt er. Er sagt, er sei in seiner Tätigkeit als Arzt in der Psychiatrie von psychisch Kranken nie derart beleidigt worden wie an jenem Sonntag von Nico W. und Tom R.

Wegen des Geständnisses der Angeklagten entlässt die Richterin die acht Zeug*innen, die an diesem Mittwoch vor Gericht bereit sind, auszusagen. Unter ihnen sind Freund*innen, die den Angriff miterlebten. Sie sprechen von einem Gefühl der Lebensgefahr nicht nur in Zusammenhang mit der Tat, sondern auch wegen des fehlenden Datenschutzes. »Ich frage mich, ob absichtlich versucht wurde, uns in Gefahr zu bringen?«, sagt eine Zeugin »nd«.

Der Staatsanwalt legt sich in seinem Plädoyer vor der Urteilsverkündung auf keine Forderung fest. Er plädiert für eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bis zu mehreren Jahren, in unterschiedlichem Maße für die Angeklagten, die nicht denselben Promillewert im Blut hatten. »Vom Tötungsdelikt nicht weit entfernt« sei die Tat gewesen. Es sei »unglaubhaft, dass Ausländerfeindlichkeit« keine Rolle gespielt habe. Die Pflichtverteidigung plädiert für ein Aussetzen der Freiheitsstrafe auf Bewährung. Es wird das Narrativ der »aus dem Ruder« gelaufenen Aktion wiederholt und sich darauf bezogen, dass dem Angriff eine Auseinandersetzung über »falsches Parken« vorausging.

Mit ihrem Urteil folgt die Richterin der Verteidigung: Nico W. bekommt ein Jahr und vier Monate auf Bewährung, Tom R., der mehr Alkohol im Blut hatte, ein Jahr und acht Monate auf Bewährung. Verurteilt wurden sie für gemeinschaftliche Körperverletzung. Als eine*r der Zeug*innen während der Urteilsverkündung hinzufügt, die Angeklagten hätten Morddrohungen ausgesprochen, fährt Richterin Nissing aus der Haut. »Wir sind hier nicht bei Barbara Salesch«, schreit sie und grüßt am Ende der Verhandlung den Vater des Pflichtverteidigers von Tom R.

»Ich war nah dran, einen Befangenheitsantrag zu stellen«, erzählt der Anwalt der Nebenklage Persson »nd« nach der Urteilsverkündung im Zusammenhang mit der Nennung der Klarnamen der Zeug*innen. Das Urteil findet er »sehr unbefriedigend«. Die Geschädigten und Zeug*innen, die die Tat miterlebten, seien entsetzt und verängstigt. Eine der Zeug*innen ist gegenüber »nd« weniger diplomatisch: »Ich hatte gedacht, ich würde in einem Land leben, in dem Recht regiert

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