- Politik
- Tod von Mouhamed Dramé
Polizei kündigte Einsatz tödlicher Waffen nicht an
Sechster Prozesstag wegen des Todes von Mouhamed Dramé in Dortmund bringt neue Details
William Dountio kämpft seit dem Tod von Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund für Gerechtigkeit. Der engagierte Aktivist mit kamerunischen Wurzeln ist nach dem sechsten Prozesstag gegen fünf Polizeibeamte am Mittwoch enttäuscht. Dountio glaubt nicht daran, dass das Landgericht Dortmund Gerechtigkeit schaffen wird für den am 8. August 2022 brutal durch eine Maschinenpistole erschossenen, erst 16 Jahre alten senegalesischen Flüchtling.
Für Ernüchterung sorgten am Mittwoch die Aussagen von zivilen Beamten. Sie waren vor der Erschießung von Dramé als erste Kräfte am Einsatzort vor der katholischen Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt. Dort saß Dramé in einer psychischen Ausnahmesituation in sich gekehrt in einer Nische und hielt sich ein Messer vor den Bauch.
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Insgesamt waren an dem tödlichen Polizeieinsatz zwölf Beamte beteiligt, nur fünf von ihnen sind angeklagt – die am Mittwoch gehörten Zeugen gehören nicht dazu. Beide waren zum ersten Mal im Zeugenstand, es war auch das erste Mal, dass überhaupt Polizisten vor Gericht aussagten. Vor ihren Kollegen auf der Anklagebank schilderten sie den unprofessionellen Einsatz, an dessen Ende Dramé durch fünf Kugeln starb, aus ihrer Sicht.
Ihre Aussagen stützen die Version der Verteidigung der Angeklagten, wonach der jugendliche Dramé bedrohlich gewirkt habe und angeblich »schnell« auf die Beamten zugelaufen sei. Die Zivilbeamten bestätigten aber auch, dass sie sich Mouhamed gegenüber nicht als Polizisten erkennbar gemacht haben, nachdem sie im Auftrag der Einsatzleitung zum Ort des Notrufs eilen und sich einen ersten Überblick verschaffen sollten.
»Die Zeugenaussagen klangen mechanisch, wie von einem Roboter gesprochen«, erklärt Dountio im Gespräch mit dem »nd«, die Polizisten schienen auf den Prozess »gut vorbereitet« gewesen zu sein. Dountio, der im Solidaritätskreis »Justice4Mouhamed« engagiert ist, sieht indes durchaus andere Handlungsoptionen, als Mouhamed zu erschießen. Die Dortmunder Polizei habe eine »statisch-ruhige Situation« erst durch ihr Handeln eskaliert.
Sie hätten Dramé, der nur rudimentär Deutsch gesprochen habe, zuerst in deutscher Sprache angesprochen. Als er nicht reagierte, habe es einer der beiden Zeugen auf Spanisch versucht. Dramé’s Heimatsprache aus dem Senegal ist jedoch Wolof, außerdem konnte er Französisch – die Polizisten aber nicht.
Einer der Zivilpolizisten, so dessen Schilderung, habe dann noch drei bis vier Minuten versucht, sich zu dem auf dem Boden an einer Hauswand der katholischen Jugendhilfeeinrichtung an der Holsteiner Straße kauernden 16-Jährigen herunterzubeugen, um Augenkontakt herzustellen. Als Dramé immer noch nicht reagierte, sei der Zivilpolizist von einem Kollegen zurückgerufen worden, denn es sollte Pfefferspray eingesetzt werden. Kurz darauf wurde geschossen – erst mit Tasern, dann mit der Maschinenpistole.
Als Mouhamed von den Schüssen getroffen auf dem Boden lag, sei er einem der beiden zivilen Polizeizeugen zufolge von ihm festgehalten worden. Dabei habe der im Prozess hauptangeklagte Einsatzleiter geholfen. Am Boden liegend und von mehreren Schüssen getroffen habe sich Dramé noch stark bewegt, weshalb die Beamten ihm Handfesseln anlegten. Selbst auf der Trage des Rettungsdienstes habe der Sterbende noch fixiert werden müssen, sagte einer der Zivilpolizisten.
Ebenfalls wichtig für den Prozessverlauf: Beide Zivilpolizisten sagten aus, dass sie nicht gehört hätten, dass auch nur einer der beteiligten Beamten den Einsatz von Pfefferspray, Taser und Schusswaffe angedroht hätten, wie es bei der Polizei eigentlich vorgeschrieben ist. So hatten es auch zuvor die Zeugen aus der Jugendhilfeeinrichtung berichtet.
Wie bereits an vorherigen Sitzungstagen gab es Kritik an den Zuständen am Landgericht. So geht der Vorsitzende Richter herablassend mit Zeugen und Nebenklägern um. Die Rede ist auch von rüpelhaftem Verhalten von Justiz-Mitarbeitern. Prozessrelevante Bilder vom Tatort wurden den Beteiligten im Gericht bislang nur auf einem kleinen Tablet gezeigt – immerhin dies war am Mittwoch anders, indem diese nun auf einem Monitor dargestellt werden. »Leider waren diese Bilder von schlechter Qualität, sodass wir hinten auf der Zuschauerbank nichts erkennen konnten«, sagt dazu William Dountio.
Dountio und seine Mitstreiter von der Initiative »Justice4Mouhamed« wollen zusammen mit den Brüdern des Toten trotzdem weitermachen. Seine Hoffnung, dass das Landgericht für Gerechtigkeit sorgen wird, sei aber nach dem sechsten Prozesstag weiter gesunken, sagte er zum »nd«. Am 6. März wird der Prozess fortgesetzt.
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