Mimimi-Kollektiv: »Wir waren oft wütend«

Die freie Radiojournalistin Philine Kreuzer über Podcasts und die Arbeit des Mimimi-Kollektivs

  • Interview: Leo Ruhland
  • Lesedauer: 7 Min.
Philine Kreuzer ist Podcasterin und arbeitet als freie Radiojournalistin.
Philine Kreuzer ist Podcasterin und arbeitet als freie Radiojournalistin.

Philine Kreuzer, was macht einen guten Podcast aus? 

Für mich, dass er einen Binging-Effekt hat. Also, dass ich direkt die nächste Folge hören möchte. Es geht für mich gar nicht so sehr um die Wahl der Themen, sondern darum, wie sie aufbereitet sind: ob es ein cleveres Format ist, es interessante Elemente gibt, die den Gesprächsflow ein bisschen aufbrechen. Und für mich wäre auch wichtig, dass ich das hören kann, während ich noch was anderes mache.

Als Podcasterin liegt Ihr Fokus auf Storytelling. Warum?

Als ich in Leipzig studiert habe, gab es so ein megacooles Uniradio, bei dem ich eine Zeit lang das Morgenmagazin gestaltete. Dort haben wir politische und kulturelle Beiträge gemacht. Ein bisschen wie im Frühstücksfernsehen. Dabei habe ich relativ schnell gemerkt, dass es mich am meisten interessiert, mit Leuten mehr in die Tiefe gehen zu können und darüber zu sprechen, was sie bewegt oder was für eine Anekdote sie gerade gerne erzählen. Und weniger, was aktuell im Gemeinderat passiert. 

Wie unterscheiden sich Storytelling und Reportage?

Da gibt es viele Schnittmengen. Ich habe vor kurzem etwas zum Thema Klatsch und Tratsch gemacht, die queere Geschichte von Gossip. Da habe ich einerseits ganz klassisch Gespräche mit Leuten geführt, die Expert*innen zum Thema sind. Hinzu kamen aber auch Elemente, in denen ich Tratsch aus meinem eigenen Leben erzählt habe. Und das sind dann kleine Storytelling-Elemente. Also geht es bei Storytelling meist darum, Geschichten personalisiert und emotionalisiert zu erzählen.

Interview

Philine Kreuzer ist Podcasterin und arbeitet als freie Radiojournalistin. Mit zwei Kolleg*innen gründete sie 2018 das Mimimi-Kollektiv, mit dem sie bisher zwei Podcasts veröffentlichte. Sie lebt zurzeit in Utrecht.

Heute geht es oft um persönliche Geschichten. Gleichzeitig höre ich vermehrt die Kritik, dass politische oder soziale Anliegen dadurch individualisiert würden und das zum Mangel an Solidarität führe. Was würden Sie dazu sagen?

Ja, ich sehe die Kritik voll. Aber ich glaube, dass Storytelling häufig die Kraft haben kann, gewisse Themen greifbarer zu machen. Ich habe mit zwei Kolleginnen ein Podcast-Kollektiv, mit dem wir einen Podcast gemacht haben, in dem es um Drag-Kultur und verschiedene Dragperformer*innen geht. Die Idee ist, über Drag und Queerness und das, was das für Menschen bedeutet, zu sprechen. Und trotzdem ist jede Folge fokussiert auf eine Person. 

Sie sprechen von der Podcast-Reihe »Drag Stories«.

Genau. Die erste Staffel dreht sich um die Drag-Kultur in Argentinien, weil eine Person aus dem Kollektiv dort angefangen hat, selbst in Drag zu performen. Jede Folge ist zwar eine Form von Porträt, aber gleichzeitig greifen wir ein bestimmtes Thema auf. Zum Beispiel haben wir in einer Folge über die Situation von Queers in Argentinien während der Militärdiktatur gesprochen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass ich die Geschichten von einzelnen Menschen häufig als etwas sehe, das einen einfacheren und emotional näheren Zugang erlaubt, um anschließend auf die systemische Ebene zu kommen.

Mit dem Mimimi-Kollektiv haben Sie zunächst den Mimimi-Podcast veröffentlicht. Wie kam das zustande?

Wir haben alle beim Uniradio in Leipzig zusammengearbeitet. Danach wollten wir etwas Eigenes machen, was ein loseres Format hat und mit dem wir auch einfach mal ein bisschen ausprobieren und gucken können, wie podcasten überhaupt geht.

Ihre Podcast-Beschreibung besagt, dass Sie verschiedene gesellschaftliche Phänomene ruinieren. Warum müssen sie ruiniert werden?

Zu der Zeit, als wir den Podcast aktiv gemacht haben, waren wir oft wütend und hatten ein Bedürfnis zu schimpfen, uns zu beschweren. Es ging also auch viel darum, das rauszulassen und dem Gefühl für uns selbst Raum zu geben. Die Bezeichnung des Feminist Killjoy von Sarah Ahmed, also von außen so wahrgenommen zu werden, dass für uns immer alles mimimi ist, gab die Idee. Wir dachten: Let’s take it to the next level. Und so haben wir das in diesem »Wir ruinieren das für euch«-Rahmen aufgezogen.  

Im Vergleich zwischen Ihren beiden Podcasts fand ich ganz interessant, dass Sie bei den Drag Stories viele Sound-Elemente genutzt haben. Wie ist Ihr Prozess einer Formatgestaltung?

Wir wollten vor allem weg von dem Laber-Podcast-Genre. Das macht zwar voll Spaß und ist leicht und zugänglich zu gestalten, im Prinzip braucht es nicht viel mehr als ein Mikro und ein Thema. Bei Drag Stories ging es uns darum, die Geschichten der verschiedenen Individuen mit Achtsamkeit zu behandeln und dem in einer gerecht werdenden Art Aufmerksamkeit zu geben. Das Storytelling-Format konnte das am besten tragen. 

Bitte erklären Sie kurz die Bezeichnung Drag.

Drag ist Performancekunst, in der Geschlechterrollen aufgebrochen sind: Sie werden hinterfragt, es wird sich darüber lustig gemacht, aber sie werden auch gewertschätzt. Manchmal wird sich auch komplett von Geschlechterrollen generell verabschiedet. Es ist eine Art von Performance, die sehr viel damit bricht, was man normativ auf der Bühne sieht, das kann von Lipsync bis zu Wrestling gehen. Es gibt ein ganzes Spektrum von Drag-Performer*innen. Es geht nicht nur um ein binäres Geschlechtertauschen. 

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Die Drag Stories haben Sie vorerst unterbrochen.

Wir haben richtig Bock weiterzumachen. Die ursprüngliche Idee war, mehrere Staffeln aufzunehmen und jede Staffel in einem anderen geografischen Kontext zu beleuchten. Auch mit der Frage, ob es Drag überall gibt und wie es an verschiedenen Orten funktioniert. Die simpelste Antwort ist, dass wir erstmal keine Förderung für die zweite Staffel bekommen haben. In den letzten zwei Monaten kam das Thema aber wieder auf und jetzt schauen wir mal, wie es weitergehen kann.

In einer Mimimi-Folge sagen Sie: »Es ist geil, mittelmäßig zu sein.«

Es ist lustig, dass du das sagst. Das ist ein wenig ein geflügeltes Wort in meiner Freundinnengruppe geworden. Ich habe häufig das Gefühl, dass ich nicht so eine eindeutige Leidenschaft oder Talent für etwas habe. Für mich ging es darum, mich vom Perfektionismus zu verabschieden und zum Beispiel anzuerkennen, dass etwas vielleicht nicht meine geilste Arbeit ist, aber ich das trotzdem so abgeben kann. Das hat sich nach einer sehr guten Einstellung dazu angefühlt, wie ich arbeiten möchte. 

Und im Grunde ist das ja auch eine Kapitalismuskritik per se.

Voll. In gewisser Weise ist diese Aussage ein Versuch, sich aus dieser krassen Höher-Schneller-Weiter Kultur rauszuziehen, wo das Endprodukt immer perfekt sein muss. Wenn ich mir jetzt die Klischees über Gen-Z und Tiktoks über Arbeitseinstellungen ansehe, ist das wohl das Motto, das die ganz gut umsetzen.


Können Sie das näher erklären? Ich habe kein Tiktok.

Das Klischee über die Anfang 20er, GenZ oder Zoomer-Generation geht in die Richtung: »They take no shit from their bosses.« Dass sie auch nicht ihr ganzes Herzblut reinstecken, wenn der Job scheiße ist. Sie scheinen sich gut ihre Rechte zu erfragen, obwohl sie selbst noch gar nicht so lange in der Arbeitslohnwelt stecken.

Aktuell arbeiten Sie beim Deutschlandfunk und haben eine Geschichte über einen uigurischen Spion veröffentlicht. Was ist hier der Hintergrund?

Ich kannte Adil hier aus dem Kulturzentrum in Utrecht und bei einem Storytelling-Event hat er seine Geschichte erzählt. Das gab für mich einen sehr guten Einstieg, da ich sehen konnte, dass er sich wohl damit fühlt, die Geschichte auch öffentlich zu erzählen.  

Ich kenne das Dilemma, dass medienfremde Menschen oft wenig Ahnung von möglichen Konsequenzen einer Veröffentlichung haben und das gerne von Journalist*innen ausgenutzt wird. 

Ja, voll. Damit struggle ich auch immer wieder neu. Ich denke, bei jeder Person ist das eine neue Frage. Bei Adil habe ich länger überlegt, ob ich das erzählen kann. Ob ich die richtige Person bin, die das erzählen sollte. Ich bin dann zu dem Schluss gekommen, dass sein Anliegen einen politischen Charakter hatte, von dem wir beide wollten, dass mehr Leute die Situation kennen – die der uigurischen Diaspora und Geflüchteten. Adil und ich haben gemeinsam entschieden, gewisse Dinge an der Geschichte zu verändern, um ihn anonym auftreten lassen zu können. Was wichtig und gut war. Aber ich finde es nicht einfach, solche Entscheidungen zu treffen.

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