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Der weibliche Kampf im Alltag
Melanie Jaeger-Erben über Probleme von marginalisierten Frauen in Zeiten der Klimakrise
Wenn es um Klimawandel und Klimaschutz geht, sind die Scheinwerfer meist auf die große Bühne der internationalen Klimaverhandlungen oder der Megaprojekte wie Energie- oder Mobilitätswende gerichtet. Aus dem Spotlight gerät dabei oft, dass der Wandel zur klimafreundlichen und ressourcenleichten Gesellschaft vor allem im Alltag der Menschen stattfinden muss: Anders einkaufen und sich fortbewegen, neue Recyclingpraktiken lernen, Dinge teilen statt sie zu besitzen, höhere Preise in Kauf nehmen, weniger verbrauchen – die Liste an Anforderungen an die alltägliche Lebensführung ist lang.
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Aber selbst wenn Menschen und ihre Lebensstile mal in den Fokus geraten, dann geht es oft um deren Angst vor Privilegienverlust, als ob ein SUV vor der Tür oder jeden Tag Fleisch auf dem Teller fundamentale Menschenrechte wären, die es unbedingt zu verteidigen gilt. Vergessen werden dabei Teile der Gesellschaft, die bereits jetzt wenige Privilegien haben und für die weniger zu konsumieren keine Option, sondern blanke Notwendigkeit ist.
Diese werden häufig als »marginalisierte Gruppen« bezeichnet, und sie erleben eine doppelte Marginalisierung: im gesellschaftlichen Alltag, der ihnen weniger Ressourcen und Chancen bietet und im gesellschaftlichen Diskurs, der sich lieber mit den sowieso schon Privilegierten befasst.
Dabei geben sozialwissenschaftliche Studien einen tiefen Einblick in ein noch tieferes Problem: Marginalisierte Gruppen werden gerade durch größere Krisen – wie den Folgen von Corona oder des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine – immer weiter abgehängt und müssen Enormes leisten, um die Krisenfolgen im Alltag zu bewältigen. Das im Februar vorgestellte Kurzgutachten des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen hat sich beispielsweise mit »marginalisierten Frauen« – Alleinerziehenden, Rentnerinnen, Frauen in systemrelevanten (aber schlecht bezahlten) Berufen und Empfängerinnen von Transferleistungen – befasst und sie über ihren Alltag berichten lassen. Wie zu erwarten, verschärfen Krisen die prekäre Situation der Befragten bis hin zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität. Da wird beispielsweise auf die Beheizung der Wohnung und gesundes Essen oder ganze Mahlzeiten verzichtet, Einkäufe werden zur Qual und der nächsten Nebenkostenabrechnung wird mit großer Angst entgegengeblickt. Gleichzeitig betont das Gutachten die hohe Konsumkompetenz der Befragten, die sich in einem immer enger werdenden finanziellen Korsett noch einige Beweglichkeit bewahren, vor allem auch, indem sie sich aktiv Unterstützung aus dem sozialen Umfeld suchen.
Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.
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Hier zeigt sich eine erhebliche Anpassungsfähigkeit gerade bei denjenigen, die kaum Spielraum haben. Dabei werden auch mal Schmerzgrenzen verschoben, was zwar bewundernswert, aber aus Gerechtigkeitsperspektive inakzeptabel ist. Gerade in Zeiten, wo es en vogue scheint, Menschen zu attackieren, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, sind solche alltagsnahen Studien viel wert. Sie zeigen, dass die privilegierten Teile der Gesellschaft nicht nur einen beträchtlichen Teil ihres Kuchens abgeben müssten, sondern auch, dass sie sich in Sachen Konsumkompetenz und Anpassungsfähigkeit eine dicke Scheibe von denjenigen Menschen abschneiden können, auf die sie sonst gerne herabblicken. Neben mehr staatlichen Maßnahmen zur Überwindung von »Konsumarmut« – nicht nur, aber gezielt auch für marginalisierte Frauen – ist dringend auch mehr Anerkennung für deren enorme Alltagsleistung nötig.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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