Der Mensch verbleibt im Holozän

Woran macht man den Wechsel von Erdzeitaltern fest?

Steffen, wir leben nun doch nicht im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen. Einen entsprechenden Antrag hat die International Commission of Stratigraphy abgelehnt. Somit bleibt uns das Holozän erhalten. Woran macht man den Wechsel von Erdzeitaltern fest?

Erst mal sind es verschiedene Arten von Sedimenten, die sich ablagerten und dann, wenn sie überschichtet wurden, versteinerten. So kann man auf Rügen ein Relikt der Kreidezeit sehen: den Kreidefelsen. Die Schichten sind ja nicht immer in der gleichen Tiefe, denn sie sind ...

… in Bewegung …

... wie wir seit der Kontinentaldrifttheorie des Herrn Wegener verstehen. Wo sich die Platten gegeneinander schieben, werden Sedimentschichten hochgefaltet, sodass man manche Sachen nur an bestimmten Stellen sieht. Viele Erdzeitalter haben ihre Namen von Fundorten bestimmter Gesteine und Fossilien, so wie Jura nach dem Gebirge am Rand der Alpen oder Devon nach einer Landschaft in England. Oftmals dient ein fossiler Fund dazu festzustellen, dass es sich um eine erheblich veränderte Welt gehandelt haben muss.

Dr. Schmidt erklärt die Welt

Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsjournalist Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf: dasnd.de/schmidt

Was bewirkt alles solche geologischen Veränderungen?

Klimatische Veränderungen natürlich und Naturkatastrophen. Ziemlich am Anfang lag eine wesentliche Veränderung auch darin, dass Organismen plötzlich so viel Sauerstoff produzierten, dass sich das Verwitterungsgeschehen und damit die mineralogische Situation komplett veränderte.

Die Wissenschaftler, die unser Erdzeitalter als Anthropozän bezeichnen – tun die das aufgrund der gleichen Kriterien?

In vielerlei Hinsicht schon. Wir sind Urheber eines größeren Massenaussterbens von Arten, auch wenn wir die Ökosysteme etwas selektiver schädigen als Supervulkanausbrüche oder Asteroideneinschläge. Wir vernichten Arten, die an bestimmte Lebensräume gebunden sind, die wir anders nutzen wollen. Wenig selektiv und für die Befürworter des Anthropozäns deshalb der Anfangspunkt sind die oberirdischen Kernwaffenversuche, die weltweit einen messbaren radioaktiven Niederschlag verursacht haben.

Aber ist der nicht gerade irgendwann nicht mehr messbar? Von wegen Halbwertszeit, auch wenn es sehr, sehr lange dauert.

Es gibt Elemente, deren Halbwertszeit ist hinreichend lang, um noch in Jahrmillionen gefunden zu werden. Und es wird Elemente geben, die am Ende von Zerfallsketten stehen, die sonst nicht vorkämen. Dagegen dürften unsere Kunststoffrelikte, begraben unter dem Druck dicker Gesteinsschichten, eher eine Art neue Kohle bilden. Deshalb ist das Kriterium mit den radioaktiven Niederschlägen schon ein gutes.

Immer wenn der Mensch beteiligt ist, meinen wir, das hat mit Natur nichts mehr zu tun und sprechen von Kultur. Spielt das im großen Maßstab eine Rolle? Oder sind wir da nur eine Spezies, die arg rumgerockert hat?

Wir würden nicht so viel Schaden anrichten, wenn wir nicht selbst Natur wären und ihr mit natürlichen Mitteln zusetzen würden. Das fängt mit der Landwirtschaft an. Wenn ich Tausende Hektar mit Nassreis bepflanze, dann habe ich eine erhebliche Zunahme der Methanemissionen. Wir verändern die Art und Weise, wie die Natur wechselwirkt, weil wir selbst mit der Natur wechselwirken. Marx nannte einmal die Arbeit den Stoffwechsel des Menschen mit der Natur.

Ist es nicht anmaßend, wenn Menschen zu ihren Lebzeiten einen Erdzeitalterwechsel feststellen? Im Rückblick rechnet man in Millionen Jahren statt in Jahrhunderten.

Es ist schon heikel, ungefähr so wie die Geschichtsschreibung zur Zeitgeschichte, die meist total interessengefärbt ist. Im Falle der Naturwissenschaften durch die aktuellen Vorstellungen, wie Erdgeschichte und Geologie funktioniert. So weiß man erst seit dem 19. Jahrhundert, dass Fossilien keine von Gott hinterlassenen Rätsel im Gestein sind.

Wenn du in der Kommission gesessen hättest, wie hättest du entschieden?

Da das Ganze auch mit der Hoffnung verbunden ist, dass es unser Verhalten als Menschheit beeinflussen könnte, wäre ich wahrscheinlich dafür gewesen. Also aus interessengefärbten Gründen.

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