Mit Dauererregung zum Umsturz

Wie die Kleinpartei Freie Sachsen zum Modell für rechtsextreme Bewegungen wurde

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Freien Sachsen bei ihrer Dauererregung, hier in Chemnitz. Die Forderung scheint ernst gemeint.
Die Freien Sachsen bei ihrer Dauererregung, hier in Chemnitz. Die Forderung scheint ernst gemeint.

Am Anfang wirkte das Konzept skurril. Mit einer Art sächsischem Königswappen und Ideen für den »Säxit« genannten Austritt aus der Bundesrepublik warb ab Februar 2021 eine neue Kleinpartei namens »Freie Sachsen« um Zuspruch. Vier Jahre später sei daraus nicht nur eine Gruppierung geworden, die es geschafft habe, bei ihren Demonstrationen »sämtliche extrem rechten und verschwörungstheoretischen Strömungen zu vereinigen«. Zudem seien die Freien Sachsen auch zum Vorbild geworden. Bundesweit und im europäischen Ausland werde die Szene »versuchen, diese Strategien und Mischungen zu adaptieren«.

Die Prognose entstammt dem Buch »Widerstand über alles« (Überland Verlag, 142 Seiten, 15 Euro). Darin zeichnen Johannes Kiess und Michael Nattke den Aufstieg der »Freien Sachsen« nach, analysieren deren Erfolgsformel und untersuchen, warum sie ausgerechnet in Sachsen erfolgreich wurden. Kiess forscht am Else-Frenkel-Brunswick-Institut für Demokratieforschung der Uni Leipzig, Nattke leitet das Kulturbüro Sachsen, das bei seiner Arbeit für eine starke Zivilgesellschaft auch Entwickungen der extremen Rechten im Blick hat.

Nattke und Kiess betonen, dass bei den Freien Sachsen bekannte Kader aktiv sind, altbewährte Ideologiebausteine vertreten werden und ein Ziel propagiert wird, das auch NPD & Co. teilten: der Umsturz des politischen Systems. Neu sei aber, dass es kein festes Programm und keinen Alleinvertretungsanspruch gibt. Vielmehr seien Ziele jenseits des Umsturz-Gedankens bewusst vage gehalten und Doppelmitgliedschaften mit anderen extrem rechten Gruppen ausdrücklich erwünscht. Die Rede ist von einer »Bewegungs- und Netzwerkpartei«.

Diese schafft es erfolgreich, auch Milieus jenseits der Naziszene zu erreichen. Einerseits dient dazu eine Dauerpräsenz auf den Straßen; in manchen Wochen fanden 150 »Spaziergänge« flächendeckend in Sachsen statt. Anfangs ging es um Protest gegen Corona-Beschränkungen, dann wurden beliebige andere Themen genutzt, um Unruhe zu stiften: Die Freien Sachsen tauchten »gezielt dort auf, wo es knallt oder knallen könnte«. Flankiert wird das von geschicktem Agieren in sozialen Medien. Dem Telegram-Kanal der Partei folgten zeitweise 150 000 Abonnenten. Zudem betreibe diese gutes Marketing und habe es wie zuvor keine andere rechtsextreme Partei geschafft, ihr Logo oder andere Symbole »flächendeckend zu verteilen«.

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Ein ambivalentes Verhältnis pflegen die Freien Sachsen zur AfD. Von deren Seite gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Dennoch agiert man immer wieder gemeinsam. Das Ziel des Systemwechsels teilt man mit AfD-Funktionären wie Björn Höcke. Auf kommunaler Ebene seien die Freien Sachsen aber eine »ernsthafte Konkurrenz«. Sie bemühen sich ernsthaft um Mandate, erzielten bei Landratswahlen in Sachsen schon zweistellige Ergebnisse und treten auch zur Kommunalwahl am 9. Juni an. In den Parlamenten will man eigene Kader schulen und an Informationen gelangen. Der sächsischen AfD hat man für die Zeit nach der Landtagswahl am 1. September eine Koalition angeboten. Zugleich sieht man sich als rechte Opposition zu der Partei. Sollte die AfD in Sachsen mit der CDU koalieren, droht ein Protagonist der Freien Sachsen, werde sie »in uns ihren stärksten Widersacher finden«.

Johannes Kiess, Michael Nattke: Widerstand über alles, Überland Verlag, 142 S., 15 Euro

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