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Haasenburg-Kinderheime: Schwarze Pädagogik oder notwendig?
Gericht gibt Betreiber von geschlossenen Kinderheimen recht
Beinahe verzweifelt bemüht sich das Jugend- und Bildungsministerium, die Schließung der Haasenburg-Heime vor fast zehn Jahren juristisch doch noch bestätigt zu bekommen. Das Problem dabei: Diese Schließung ist gegen das Votum der damaligen Fachkommission durchgesetzt worden. Das fällt dem Ministerium jetzt offenbar auf die Füße.
In einer Presseerklärung teilte das Ministerium am Mittwoch mit, bei Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Das ist die letzte Möglichkeit, noch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vorzugehen. Zuvor hatte das Gericht entschieden, dass es unzulässig war, der Haasenburg GmbH die Betriebserlaubnis für Jugendhilfeeinrichtungen im Land Brandenburg zu entziehen.
Das Gericht stufte damit als unbegründet ein, was die Vorvorgängerin von Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD), die SPD-Politikerin Martina Münch, verantwortete. Zu dem Schließungsentschluss war sie gelangt, nachdem gegen den Betreiber Vorwürfe laut geworden waren. Das Gericht sah diese offenbar als unbegründet an. Auf immerhin 102 Seiten Urteilsbegründung legt es dar, wie es zu dieser Feststellung kam. Ob den Betreibern aus der Entscheidung Entschädigungsansprüche entstehen, ist noch offen.
Der Prozessvertreter des Jugendministeriums hatte daraufhin am vergangenen Dienstag beim Verwaltungsgericht Cottbus beantragt, eine Berufung gegen das Urteil zuzulassen. Das aber hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. Außer der Nichtzulassungsbeschwerde bleibt dem Land also keine Möglichkeit mehr. Damit soll erreicht werden, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Cottbus prüft.
Begründet wurde der Unwille, die Gerichtsentscheidung zu akzeptieren, mit »immer wieder gravierenden Vorkommnissen (bis hin zu zwei Todesfällen) in den Haasenburg-Einrichtungen«. Dies habe zunächst Anlass zu Vor-Ort-Kontrollen, Fachberatungen und verpflichtenden Auflagen des Landesjugendamtes gegeben, doch habe sich die Lage im Frühjahr 2013 deutlich zugespitzt. »Die damalige Jugendministerin Münch setzte im Juli 2013 eine unabhängige Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorfälle und Untersuchung der pädagogischen Arbeit in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH ein. Nach Auswertung des Berichts der Untersuchungskommission und weiteren Vorkommnissen wurden die Einrichtungen geschlossen und die Betriebserlaubnisse durch das Ministerium entzogen.« Abseits von Haasenburg existieren noch andere vollstationäre Einrichtungen, die als geschlossene Unterbringungen fungieren.
Haasenburg ging sofort juristisch dagegen vor. Der Träger führte seinerzeit in Brandenburg an drei Standorten Jugendhilfeeinrichtungen mit zuletzt insgesamt 114 Plätzen, davon 60 für optional geschlossene Unterbringung.
Was in der Begründung des Ministeriums allerdings nicht steht: Münch hatte sich mit ihrem radikalen Schlussstrich über das Votum der von ihr selbst berufenen Kommission hinweggesetzt. Der Vorsitzende der Untersuchungskommission, der Psychologe Martin Hoffmann, schien etwas verdattert, als die Ministerin neben ihm eine Entscheidung verkündete, gegen die er zuvor protestiert hatte. Der Entzug der Betriebserlaubnis für die Haasenburg GmbH sei die äußerste Variante, die »wir nicht in erster Linie empfohlen haben« und die »man mit Bedenken sehen kann«, äußerte er damals höflich. Aber im Spektrum der Untersuchungsergebnisse habe auch die Heimschließung gelegen.
Im Vorfeld war in der Öffentlichkeit ein beträchtlicher Erwartungs- und Forderungsdruck entstanden, dennoch habe sie sich in ihrer Entscheidung frei gesehen, unterstrich die Ministerin damals. Dabei gab sie natürlich mit genau dieser Bemerkung Anlass, daran Zweifel anzumelden. Nach grundlegender Prüfung habe es für sie keine Alternative zur Schließung gegeben. Dann folgte ein Satz, den das Gericht in Cottbus wohl aufmerksam gelesen hat: Zwar sei eine akute Gefährdung des Kindeswohls in diesen drei Einrichtungen nicht festgestellt worden, es existiere aber eine latente Gefährdung durch »jederzeit mögliche Zwangsmaßnahmen«, äußerte die damalige Ministerin.
Darf man Heime schließen, wenn sich dort möglicherweise in Zukunft rechtswidrige Handlungen ergeben? Laut Münch war festgestellt worden, dass in den Heimen ein »Klima der Willkür und der Bestrafung« geherrscht habe, »ein überzogenes pädagogisches Selbstverständnis, das die Drangsalierung auf Kosten der Jugendlichen zur Norm erhoben hatte«. Ferner auch eine »Diskrepanz zwischen wohlformulierten Papieren und der Wirklichkeit in diesen Heimen«. Trotz mehrfacher Einwirkungsversuche habe Haasenburg »das eigene Verhalten niemals in Frage gestellt«. Eine Reform innerhalb dieser Struktur sei daher nicht zu erwarten gewesen.
Das Problem: Wie verhalten sich Erzieher in Fällen von »Eskalationen«? Es ist gestattet, randalierende Jugendliche festzuhalten, bis sie für sich selbst und andere keine Gefahr mehr darstellten. Verboten aber sind Misshandlungen wie Festschnallen oder Wegschließen.
Die Untersuchungskommission hatte festgestellt, dass die Haasenburg-Einrichtungen eine »hohe Akzeptanz« bei den Jugendämtern besitze, die Kinder und Jugendliche dort untergebracht hatten. Zwar erklärte das Ministerium später, nicht vollständig gegen geschlossene Unterbringungen zu sein. In der Praxis aber ist es seit der Schließung deutlich schwieriger, Kinder in entsprechende Einrichtungen unterzubringen. Kinder, für die eine andere Unterbringung nicht möglich ist, mussten häufig in Heime in anderen Bundesländern überführt werden.
Die Linkspartei hatte damals erklärt, geschlossene Kinderheime müssten gänzlich abgeschafft werden. Darin unterstütze man die Ministerin. Geschlossene Heime seien Ausdruck »schwarzer Pädagogik«. Im politischen Raum und auch bei den Jugendämtern widersprechen dem manche. Eine Heimschließung sei noch keine Antwort darauf, wie mit Kindern umgegangen werden müsste, die in offenen Heimen nicht betreubar sind und eine Gefahr für sich und andere Personen darstellen.
Das Gericht in Cottbus ließ sich bei seinem aktuellen Urteil offenbar auch davon leiten, dass es im Zusammenhang mit den schweren Vorwürfen nur in einem Fall eine Verurteilung der angeklagten Heimerzieher gegeben hatte. Vielmehr wurden fast alle Verfahren eingestellt oder endeten mit Freispruch.
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