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Kiew beschließt neues Mobilisierungsgesetz
Frontkämpfer sollen nicht mehr aus der Armee entlassen werden
Im zweiten Anlauf hat das ukrainische Parlament eine Reform der Mobilisierung für die Armee beschlossen. Nach monatelangen Diskussionen und Änderungen stimmte am Donnerstag die große Mehrheit der Abgeordneten für das Vorhaben.
Der Kern der Reform ist die Verschärfung der Erfassung von Wehrfähigen. Alle Männer zwischen 18 und 60 sind zukünftig verpflichtet, während des geltenden Kriegsrechts ihren Wehrpass bei sich zu führen. Innerhalb von 60 Tagen müssen sie ihre persönlichen Daten auf den aktuellen Stand bringen und dafür persönlich beim Wehramt erscheinen. Auch über eine App soll dies angeblich möglich sein. Männer, die bisher als bedingt wehrfähig galten, müssen eine neue medizinische Untersuchung durchlaufen und könnten so als frontfähig eingestuft werden. So sollen die Mitarbeiter nicht mehr auf der Straße »auf Fang« nach Wehrfähigen gehen. In den vergangenen Monaten haben sie immer wieder für Skandale gesorgt, weil sie Männer auf der Straße aufgriffen und mit Gewalt in die Armee zwangen. Viele Ukrainer trauen sich aus Angst vor den brutalen Methoden nicht mehr auf die Straße.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Ohne Wehrpass kein Ausweis mehr im Ausland
Ohne Papiere der Wehrbehörden erhalten Männer im Ausland keine neuen Pässe, auch jegliche konsularische Unterstützung wird ihnen verwehrt. Die benötigten Wehrpapiere werden jedoch nur in der Ukraine ausgestellt. Auf Verweigerer wird zusätzlicher Druck ausgeübt. Wehrbehörden können ihnen per Gericht die Fahrerlaubnis entziehen, auch sonstige Strafen sollen verzehnfacht werden. Die Militäreintreiber dürfen zukünftig auch die Polizei bitten, Verweigerer festzunehmen. Statt eines Wehrdienstes soll es ab dem 1. September eine »militärische Grundausbildung« geben. Wer weder Wehrdienst noch die Grundausbildung abgeleistet hat, soll zukünftig nicht mehr im Staatsapparat und den Strafverfolgungbehörden arbeiten dürfen.
Nachdem Präsident Wolodymyr Selenskyj das Mobilisierungsalter vor Kurzem von 27 auf 25 Jahre abgesenkt und die allgemeine Mobilmachung ausgerufen hatte, beschloss das Parlament, dass Abgordnete und andere höhere Beamte nicht zur Armee eingezogen werden dürfen. Kämpfen dürfen dafür zukünftig Häftlinge, die keine Kapitalverbrechen begangen haben.
Frontsoldaten dürfen nicht nach Hause
Für besonderen Unmut sorgt bei vielen Soldaten, die sich zurzeit an der Front befinden, dass die Entlassung aus dem Militärdienst nach 36 Monaten aus dem Gesetz gestrichen wurde. Darauf hatte Medienberichten zufolge die Armee um den neuen Oberkommandierenden Oleksandr Syrskyj bestanden und entsprechenden Druck auf das Parlament ausgeübt. Präsident Selenskyj, der sich wie andere Spitzenpolitiker aus der Debatte heraushielt, um seinen Namen nicht mit der Reform in Verbindung zu bringen, hatte das Vorhaben kürzlich noch vor Kritik verteidigt und behauptet, die Ukrainer würden sich freiwillig für den Kampf gegen die russischen Invasoren melden. Berichte über Kriegsmüdigkeit und Angst vor dem Tod an der Front wies er als russische Propaganda zurück, die sein Land vor den westlichen Partnern in ein schlechtes Licht rücken sollte.
Wie viele neue Soldaten die Ukraine wirklich mobiliseren will, ist noch nicht bekannt. Im Dezember sprach Selenskyj von bis zu 500 000 Mann, die von der Armee gefordert würden, und wandte ein, dass er viel weniger benötige. Auch Premierminister Denys Schmyhal wies diese Zahl zuletzt zurück. Infolge des Kriegs hat die Ukraine in den vergangenen zwei Jahres massiv an Einwohnern verloren. Journalisten des ukrainischen Nachrichtenportals Texty schätzen, dass im Land fünf Millionen Männer verblieben sind, die mobilisiert werden können.
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