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Berliner Senat gegen Bezirk: Wer aufmuckt, wird entmachtet
Senat droht, das Verfahren zur »Urbanen Mitte« an sich zu ziehen
Es war am späten Donnerstagabend vergangener Woche, als Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) den Stadtentwicklungsausschuss über ein brisantes Schreiben von Bausenator Gaebler informierte. Wenn das Bebauungsplanverfahren Urbane Mitte nicht weitergeführt werde, behalte er sich vor, so Gaebler in dem Brief, das Verfahren an sich zu ziehen. Schmidts Antwort: Er könne das Verfahren zurzeit nicht weiterführen, weil er sonst gegen einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) verstoßen würde.
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Denn im Januar hatte die BVV auf Antrag von Grünen, Linken und SPD beschlossen, das Vorhaben nach städtebaulichen Kriterien zu prüfen. Man wolle in »einem ergebnisoffenen Prozess unter Einbeziehung von fachkundigen Expert*innen und der Zivilgesellschaft die Planung der Bebauung den aktuellen Bedarfen (zum Beispiel bezahlbares Wohnen, soziale Infrastruktur, Grünflächenerhalt) und klimapolitischen Notwendigkeiten« anpassen. Inzwischen wurde eine Steuerungsrunde mit Vertreter*innen der Fraktionen und der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck eingerichtet, die diesen Überprüfungsprozess begleiten wird.
Bei den antragstellenden Fraktionen bewegt sich die Stimmung zwischen Empörung und Sorge. Grüne und Linke weisen diesen Angriff auf die bezirkliche Gestaltungshoheit erbost zurück. Gaby Gottwald, Fraktion Die Linke, erinnert daran, dass der Senat jahrelang behauptet habe, wegen eines Rahmenvertrags von 2005 müsse der Bebauungsplan so umgesetzt werden wie vom Investor gefordert, ansonsten würden horrende Entschädigungssummen fällig. Das sei durch neuere Rechtsgutachten widerlegt. Die BVV habe Spielräume, die sie nutzen wolle. »Wenn der Senator jetzt dieses Drohszenario entgegen dem klaren Votum des Bezirks durchziehen sollte, macht er sich endgültig zum Erfüllungsgehilfen eines Luxemburger Kapitalfonds.«
Diffizil ist die Situation für die Kreuzberger Sozialdemokrat*innen. Während sie die geplante Bürobebauung ablehnen, folgt die SPD-Mehrheit im Abgeordnetenhaus Gaeblers Linie, die Planung durchzuwinken wie vom Investor gewünscht. Die Kreuzberger SPD-Fraktion wolle, so Ahmet İyidirli, Vertreter der SPD im Stadtentwicklungsausschuss, dass »die Planungshoheit für die Urbane Mitte beim Bezirk bleibt«. Mit dem BVV-Beschluss habe man ein konstruktives Verfahren geschaffen, um die Bebauungsplanung den aktuellen Bedürfnissen und klimapolitischen Notwendigkeiten anzupassen. »Wir erwarten von Baustadtrat Florian Schmidt, dass er die Planung in diesem Sinne überarbeitet. Auf der Basis des Gutachtens wollen wir das Verfahren zügig gestalten.«
Für Schmidt hat der Bezirk faktisch keinen Einfluss mehr, wenn der Senat das Verfahren an sich zieht. Schmidt sagte »nd«: »Gerade aufgrund des erheblichen Interesses der lokalen Bevölkerung und der BVV an dem Projekt Urbane Mitte wäre dies nicht im Sinne einer zeitgemäßen Bürgerbeteiligung und Planungskultur.«
Die Bürotürme der Urbanen Mitte wurden vor mehr als einem Jahrzehnt geplant. Von Anfang an war das Projekt umstritten. Vor allem die langjährige Arbeit der Bürgerinitiative Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck e.V. hat dazu beigetragen, dass eine Mehrheit in der BVV inzwischen das Projekt ablehnt. Trotz des Überangebots an Büroflächen und der Klimakrise weigert sich der Investor, das Vorhaben grundsätzlich zu überarbeiten.
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