Nitazen gefährdet Drogenkonsumenten

Britische Experten warnen vor der Wirkung von starken synthetischen Opioiden

  • Peter Stäuber
  • Lesedauer: 3 Min.

Die erste Warnung kam im vergangenen Sommer. Die Gesundheitsbehörden in der englischen Großstadt Birmingham meldeten, dass innerhalb von zwei Monaten rund 30 Drogenkonsumenten an den Folgen einer Überdosis gestorben waren – das sind etwa doppelt so viele wie gewöhnlich. Gesundheitsexperten hatten den Verdacht, dass eine neue Gruppe synthetischer Rauschmittel hinter dem schnellen Anstieg der Drogentoten steckte: Nitazene. Diese sind bis zu hundertmal stärker als Heroin, entsprechend ist das Risiko einer Überdosis viel höher. Die Situation könnte bald »noch viel schlimmer werden«, sagte Megan Jones von der Drogenstiftung Cranstoun damals gegenüber der BBC.

Die Befürchtung scheint sich bestätigt zu haben. Extrem starke synthetische Opioide wie Nitazene fänden im britischen Drogenmarkt zunehmend Verbreitung, schrieb das »British Medical Journal« einige Monate später. Im Januar meldete die Strafverfolgungsbehörde National Crime Agency, dass in der zweiten Hälfte 2023 65 Menschen an den Folgen einer Nitazen-Überdosis starben. In konfiszierten Drogen wurde Nitazen fünfmal häufiger als noch vor zwei Jahren gefunden.

Nitazen wurde ursprünglich in den 1950er Jahren als Schmerzmittel entwickelt, aber nie zugelassen als Arznei; in Großbritannien ist es seit 2016 verboten. Dass es jetzt häufiger in Laboren hergestellt und in den britischen Markt geschmuggelt wird, könnte mit politischen Umwälzungen in Afghanistan zusammenhängen. Im Sommer 2021 kamen die Taliban zurück an die Macht und begannen den Opium-Anbau zu unterbinden. Laut Satellitenaufnahmen ist die Mohn-Anbaufläche seitdem um 85 Prozent geschrumpft. Im Opium-Nachschub hat sich damit eine riesige Lücke aufgetan. Der Großteil des Heroins in Europa stammt aus Afghanistan.

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Die Lücke, vermuten Experten, wird durch künstlich hergestellte Opioide gefüllt. Möglicherweise werden Nitazene in Laboren in China produziert und per Post nach Europa geschickt, so die NCA. »Starke synthetische Opioide haben klare Vorteile für die Produzenten«, schreibt das Fachmagazin »The Lancet«. »Sie können schnell und billig hergestellt werden, ohne dass man sich auf illegale Nutzpflanzen verlassen muss.«

Für die Nutzer hingegen sind solche Drogen brandgefährlich. In den meisten Fällen werden Nitazene üblichem Heroin beigemischt, ohne dass sich die Verbraucher dessen bewusst sind, warnt die NCA. Weil sie um ein Vielfaches stärker sind als andere Opioide, kann es schneller zu einer Überdosis und Atemstillstand kommen.

Was für Verheerungen synthetische Opioide verursachen können, hat sich in den vergangenen Jahren in den USA und in Kanada gezeigt: Dort hat die Droge Fentanyl eine schwere Krise mit Zehntausenden Toten ausgelöst – und Nitazene sind noch stärker als Fentanyl. »Wir wissen noch nicht, ob Nitazene und andere synthetische Opioide zu den dominanten Opioiden im britischen Drogenmarkt werden«, schreiben Niamh Eastwood und Shayla Schlossenberg von der Drogenstiftung Release, »aber wenn sie es tun, könnten die Folgen katastrophal sein.«

Um die gesundheitlichen Schäden der drohenden Krise in Großbritannien zu begrenzen, fordern Drogenstiftungen mehr Investitionen in Prävention und Behandlung. Im Jahrzehnt der britischen Sparpolitik ab 2010 wurde das staatliche Geld für Behandlungs- und Beratungszentren stark reduziert. Die Folgen waren schnell spürbar: Innerhalb von fünf Jahren nahmen die Todesfälle infolge von Drogenmissbrauch um rund 60 Prozent zu. Die Regierung versprach dann 2021 notgedrungen, 700 Millionen Pfund in Hilfsprojekte und Behandlungszentren für Drogenabhängige zu stecken.

Aber darüber hinaus gibt es auch Forderungen, die britische Drogenpolitik zu liberalisieren, etwa durch die Errichtung von Drug Consumption Rooms, also Konsumstellen, wo User ihre eigenen – illegalen – Drogen unter medizinischer Aufsicht konsumieren können. Die schottische Regierung hat im vergangenen Herbst grünes Licht gegeben für ein erstes solches Projekt. Es soll noch in diesem Jahr die Türen öffnen.

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