EU-Wirtschaftsstrategie in weiter Ferne

Sonderbeauftragter Enrico Letta scheitert an innereuropäischem Konkurrenzkampf

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Europäische Union droht, im internationalen Wettbewerb den Anschluss zu verlieren. Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act ein riesiges Konjunkturpaket aufgelegt, das auch darauf abzielt, europäische Firmen über den Großen Teich zu locken. China baut indes gewaltige Produktionskapazitäten auf, etwa im Automobilsektor, die weit über die Nachfrage im eigenen Land hinausgehen. Dabei produzieren die chinesischen Konzerne nicht nur günstiger, sondern haben auch technologisch die alte Devise Walter Ulbrichts beherzigt und den Westen überholt, ohne ihn einzuholen. Wie ernst die Lage für die EU ist, zeigte jüngst eine Studie des europäischen Gewerkschaftsdachverbandes ETUC, wonach seit 2019 rund eine Million Industriearbeitsplätze in der EU verloren gegangen sind. Der Gewerkschaftsbund fordert deshalb die Schaffung eines »ständigen EU-Investitionsinstruments mit ausreichenden Mitteln zur Unterstützung aller Mitgliedstaaten und Regionen«. Öffentliche Gelder sollen Arbeitsplätze ermöglichen.

Die Staats- und Regierungschefs der EU trafen sich deshalb vergangene Woche zu einem Sondergipfel in Brüssel. Ein »Paradigmenwechsel« solle her, darüber herrschte Konsens. Der EU-Sonderbeauftragte Enrico Letta stellte dazu am Donnerstag seinen Bericht zur Zukunft des Binnenmarktes vor. Darin fordert der ehemalige italienische Regierungschef eine umfassende Strategie, um etwa mehr privates Kapital für Investitionen anzulocken. Dafür soll der europäische Kapitalmarkt harmonisiert werden.

Doch Letta will nicht nur privates, sondern auch öffentliches Kapital bereitstellen und nennt das Projekt »Spar- und Investitionsunion«. Außerdem sollen EU-Unternehmen größer werden, um weltweit konkurrenzfähiger zu sein, etwa in den Schlüsselbereichen Finanzen, Energie und elektronische Kommunikation. Zudem schlägt Letta vor, die Steuern zu harmonisieren. Denn noch immer locken Staaten wie Estland oder Irland Konzerne mit niedrigen Steuern und sorgen so für Konkurrenz innerhalb der EU. Diese beiden Staaten waren es auch, die das Bekenntnis zu Harmonisierung des Steuerrechts für Unternehmen wieder aus der Abschlusserklärung des Gipfels herausstreichen ließen, wie das Portal »Euractiv« berichtete.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Auch viele andere Vorschläge Lettas haben kaum eine Chance. So die
Investitionen in die Wirtschaft, die nichts anderes als durch Schulden finanzierte Subventionen sind. Frankreich und Spanien setzen sich zwar für gemeinsame Schulden zur Förderung der Industrie ein, Deutschland pocht dagegen auf Austerität und Haushaltsdisziplin. Dementsprechend reduzierte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) Lettas Papier im Anschluss auf die Kapitalmarktunion. Die Finanzierung der grünen Transformation erfordere »private Investitionen in erheblichem Umfang«. Kein Wort zu gemeinsamen EU-Bonds, gesamteuropäischen Investitionen in Infrastruktur und Zukunftstechnologien. Stattdessen soll es der ominöse Kapitalmarkt richten.

Martin Schirdewan, Vorsitzender der Fraktion The Left im EU-Parlament, warnte daraufhin: »Private Investitionen sind nicht automatisch im öffentlichen Interesse, sondern von privaten Profitinteressen getrieben.« Eine echte Wirtschaftsstrategie, wie sie Letta vorschwebt, wird mit dieser Ausrichtung Deutschlands nicht machbar sein.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.