Gaeilge: Gefährliche Sprachverbote bei Pro-Palästina Camp

Gaeilge ist eine offizielle EU-Sprache. Doch als irische Aktivisten bei einem Camp versuchten, es zu sprechen, wurde ihnen mit Verhaftung gedroht

Blick auf das Pro-Palästina-Camp vor dem Reichstag.
Blick auf das Pro-Palästina-Camp vor dem Reichstag.

Die Berliner Polizei hat kürzlich den Gebrauch der irischen Sprache bei einem Pro-Palästina-Protestcamp verboten. Gaeilge ist die Nationalsprache der Republik Irland und seit 2007 auch eine Amtssprache der EU. Am vergangenen Freitag lud die neue Gruppe »Irish Bloc Berlin« zu einer cirocal comhrá ein, einem Gesprächskreis, in dem Menschen eine Sprache üben können, die für Englischsprachige bekanntermaßen unaussprechlich ist.

Die Polizisten teilten ihnen mit, dass Fahnen, Transparente, Reden, Sprechchöre und Lieder auf Irisch verboten seien. Im laufenden Protestcamp vor dem Reichstag lässt die Polizei nur Deutsch und Englisch zu – Arabisch ist für ein kurzes Zeitfenster um 18 Uhr erlaubt. Wie die Polizei gegenüber dem Irish Independent bestätigte, verbietet sie Sprachen, die sie nicht versteht, damit sie überprüfen kann, ob etwas Illegales gesagt wird.

Red Flag

»Red Flag« ist eine Kolumne über Berliner Politik von Nathaniel Flakin. Sie erschien von 2020 bis 2023 im Magazin »Exberliner« und fand ein neues Zuhause bei der Zeitung »nd« – als deren erster Inhalt, der auch auf Englisch zu finden ist. Nathaniel ist auch Autor des antikapitalistischen Reiseführers Revolutionary Berlin.

Read this arcticle in English.

Die Polizisten teilten die etwa 40 irischen Einwander*innen in kleinere Gruppen auf. Selbst nachdem sie von der Demonstration weggeführt worden waren, untersagten die Beamten weiterhin den Gebrauch von Gaeilge. Als die Gruppe die Demonstration verließ und in einem nahegelegenen Museum Unterschlupf suchte, folgte ihnen die Polizei dorthin. Sie wurden keiner Straftat beschuldigt – abgesehen davon, dass sie ohne Genehmigung Irisch sprachen.

Dieses Verbot ist aus einer Reihe von Gründen beunruhigend – und ich habe noch nie ein solches Sprachverbot erlebt. Ist Hebräisch bei Pro-Israel-Demonstrationen erlaubt? Schockierend ist, dass im pro-palästinensischen Camp sogar Hebräisch verboten ist.

Justizminister Marco Buschmann sagte, er freue sich auf »den Tag, an dem die Menschen auf der Straße ohne Angst Hebräisch sprechen können«. Was glaubt er, wie sich Israelis fühlen, wenn deutsche Beamte in dunklen Uniformen ihnen sagen, dass sie verhaftet werden, wenn sie ihre Sprache sprechen? Die Polizei ist einer Reihe von Juden im Protestcamp so gewaltsam begegnet, dass ihnen durch Schläge auf den Kopf die Kippahs runter rutschen.

In einer Erklärung schrieb der »Irish Bloc«, dass »wir als irisches Volk nur allzu gut damit vertraut sind, dass unsere Sprache unterdrückt wird«. Im 19. Jahrhundert wurde Gaeilge von den britischen Kolonialbehörden, die die Insel 800 Jahre lang beherrschten, in den Schulen verboten. Heute sprechen etwa 40 Prozent der Menschen in Irland etwas Irisch, aber nur etwa 100.000 verwenden es täglich.

Die irische Sprache wurde zu einem Symbol für den Kampf um die Republik. Politische Gefangene lernten und sprachen in britischen Gefängnissen Irisch. Bobby Sands prägte den Schlachtruf »Tiocfaidh ár lá« (ausgesprochen »tschukki ar la«), was so viel bedeutet wie »unser Tag wird kommen«. Deshalb sorgt das Verbot der irischen Sprache, mehr als jede andere Sprache, für Aufregung.

Die irische Presse ist voll von dieser Geschichte. Paul Murphy, ein Mitglied des irischen Parlaments (Teachta Dála), bezeichnete dies als »schändlich«: »Das zeigt, wie weit das deutsche Establishment bei seinem Versuch geht, die Palästina-Solidaritätsbewegung zum Schweigen zu bringen.« Gegenüber »nd« erklärte Murphy: »Das irische Volk ist mit den Palästinensern solidarisch, weil wir selbst eine Geschichte der kolonialen Unterdrückung haben.«

Irland diente als imperiales Labor, in dem Teilungsstrategien zunächst erprobt wurden, bevor sie in der ganzen Welt Anwendung fanden. Heute haben viele ehemalige Kolonien mit dem blutigen Erbe der Politik des Teilens und Herrschens zu kämpfen. Aufgrund dieser parallelen Geschichte ist Irland seit langem die pro-palästinensischste Nation in Europa.

Auch ich finde dieses Verbot empörend. Ich bin einer von 36 Millionen irischen Amerikanern – im Vergleich zu nur sieben Millionen Ir*innen auf der Insel. Ich war noch nie in Irland und ich habe keine Ahnung, woher meine Vorfahren stammen. Selbst wenn man es mir sagen würden, könnte ich es nicht auf einer Karte finden. Dennoch singe ich meinem Kind all die alten irischen Rebellenlieder vor, und ich kann nicht glauben, dass ich sie nicht auch in der Öffentlichkeit singen können soll.

Deutschland hat sich immer absurdere Formen der Repression gegen die Palästina-Solidarität einfallen lassen, wie das Verbot der hebräischen Sprache und die Ausladung jüdischer Professorinnen. Doch dieses Verbot der irischen Sprache scheint der bisher lächerlichste Schritt zu sein.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.