Wagenknecht-Partei bringt sich auf Trab

450 Mitglieder und Unterstützer beim ersten Berliner Landestreffen an der Trabrennbahn Karlshorst

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Auf der Trabrennbahn Karlshorst tummeln sich am Dienstagabend mehrere Pferde. Eines dreht mit einem leichten Wagen, dem Sulky, und dem Wagenlenker, dem Jockey, manche Trainingsrunde. In diesem Milieu ist der 1979 geborene Norman Wolf aufgewachsen. Sein Vater war hier Hufschmied. Wolf erinnert, dass Sahra Wagenknecht viele Jahre in Karlshorst wohnte und auch einmal eine Rede auf der Tribüne der Trabrennbahn gehalten habe. Damals dachte Norman Wolf nicht im Traum daran, dass die Bundestagsabgeordnete 2024 eine eigene Partei, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), gründen würde.

Wolf ist in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Lichtenberg mit zwei Mitstreitern von der Linken übergetreten und nun der einzige BSW-Fraktionschef in der Hauptstadt. Ansonsten kamen von der Linken noch zwei Bezirksverordnete in Tempelhof-Schöneberg und je einer in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg zum BSW sowie einer von der FDP in Charlottenburg-Wilmersdorf. Aber das waren abgesehen von Lichtenberg überall nicht genug für eine eigene Fraktion. Die gelten jetzt alle als fraktionslos.

Ein BSW-Landesverband muss erst noch gegründet werden. Aber am Dienstagabend gibt es in der Wetthalle der Trabrennbahn Karlshorst schon mal das erste BSW-Landestreffen. Gut 450 Männer und Frauen sind gekommen, in der Mehrzahl registrierte Unterstützer, denn Mitglieder gibt es in der Hauptstadt aktuell erst 65 und bis Sommer werden es 80 sein, wie der BSW-Landesbeauftragte Alexander King sagt. »Wir haben vor drei Monaten bei null angefangen«, zeigt er sich sehr zufrieden mit der Menge Menschen, die im Saal vor ihm sitzt. King bittet um Geduld. Viele konnten es kaum erwarten und haben ihn schon angerufen, bevor die neue Partei im Januar förmlich ins Leben trat. Doch die Aufnahme erfolgt vorerst noch handverlesen und Interessierte sollen abwarten, bis sie angesprochen werden, ob sie eintreten wollen. Geld spenden und Plakate für die Europawahl am 9. Juni aufhängen, das können und sollen die Unterstützer aber schon.

Noch bekommt BSW kein Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung, weil es bisher an keiner Wahl teilnehmen konnte. Los geht es nun erst mit der Europawahl am 9. Juni. Die alles andere als prächtige Wetthalle scheint den noch bescheidenen finanziellen Möglichkeiten angemessen und passt zum Image als Partei der einfachen Leute. Anders als der Galopprennbahn in Hoppegarten fehlt der Trabrennbahn Karlshorst jeder Glanz. Rechts unter der fest installierten Werbung für Berliner Pilsner hängt am Dienstagabend ein BSW-Transparent: »Für Frieden in der Welt: Gewaltspirale stoppen«. Es ist das einzige Schmuckelement in der Halle, die heute für jeden Redner eine echte Herausforderung ist. Denn hinten sind sie schwer zu verstehen. Die Zuhörer müssen sehr konzentriert lauschen, wenn sie jedes Wort verstehen wollen.

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Einmal verbessert sich die Tontechnik schlagartig. Dadurch ist ein Satz plötzlich sehr klar zu hören, den die Bundestagsabgeordnete Amira Mohamed Ali sagt: »Kein Land der Welt hat so eine grottenschlechte Regierung verdient.« Spontan brandet Applaus auf – für das, was Ali gesagt hat, und auch dafür, dass es gut zu hören war.

Lediglich sieben Mitarbeiter habe BSW in der Hauptstadt, andere Parteien hätten allein hier 50 Beschäftigte sitzen, erklärt Ali. Aber diese anderen hätten wegen BSW schon »Angst um ihre Pfründe«.

»Natürlich verurteilen wir als BSW den russischen Angriff auf die Ukraine aufs Schärfste«, beteuert Ali. Für Angriffe gebe es natürlich keine Rechtfertigung. Aber man müsse diesen Krieg durch Verhandlungen beenden und er habe mit der Osterweiterung der Nato eine Vorgeschichte. BSW lasse sich von Diffamierungen und dem Vorwurf einer angeblichen Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht einschüchtern und setze sich für Entspannung ein – wie übrigens auch der Papst.

Das gelte auch für den Nahost-Konflikt. Natürlich habe Israel nach der Attacke der palästinensischen Hamas vom 7. Oktober ein Selbstverteidigungsrecht. Aber was Israel im Gazastreifen mache, habe mit Selbstverteidigung nichts mehr zu tun. BSW sei die einzige Partei, die sich traue zu sagen, dass Israel gegen das Völkerrecht verstoße und Kriegsverbrechen begehe, behauptet Ali.

Tatsächlich ist dergleichen jedoch auch aus den Reihen der Linken zu hören. Deutliche Unterschiede gibt es aber bei der Asylpolitik. Die BSW-Abgeordneten stimmten im Bundestag für die Einstufung von Ländern als sichere Herkunfsstaaten, in die Flüchtlinge abgeschoben werden dürfen. Aber das Asylthema kommt an der Trabrennbahn nicht zur Sprache. Die dort gehaltenen Reden drehen sich allesamt um die Friedens- und Sozialpolitik, und da sind keine erheblichen Differenzen zu erkennen.

BSW schlägt dabei freilich einen schärferen Ton an, aber nicht unbedingt an diesem Abend. Selbst die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen, die sehr gut austeilen kann und von Alexander King als Bestsellerautorin und von einigen »gefürchtete« Außenpolitikerin angekündigt wird, spricht von der Tonlage her viel mehr emotional als provozierend. »Immer weniger Ukrainer sind bereit, für die USA und die Nato zu sterben«, sagt Dağdelen. Jeder fünfte Ukrainer im wehrfähigen Alter sei nicht bereit, in den Krieg zu ziehen, der gegen die Atommacht Russland nicht zu gewinnen sei, und flüchte lieber ins Ausland. Es werde BSW vorgeworfen, kein Mitgefühl für die Ukrainer zu haben. Tatsächlich fehle das Mitgefühl den Militärstrategen, die andere für ihre Ziele in den Tod schicken. »Ich habe zwei Söhne. Wer kennt nicht die Sorgen einer Mutter«, sagt Dağdelen. Man müsse denen in den Arm fallen, »die am Ende auch unsere Söhne an die Front im Osten schicken würden«.

Aus dem Stand erfolgreich sein möchte die neue Partei und »das politische Establishment organisiert ins Wanken bringen«, wie die stellvertretende Parteivorsitzende Frederike Benda in Karlshorst sagt. Für die Europawahl am 9. Juni prognostizieren die verschiedenen Meinungsforschungsinstitute dem Bündnis Sahra Wagenknecht aktuell fünf bis sieben Prozent. Für eine Bundestagswahl, die regulär 2025 ansteht, pendeln die Umfragewerte zwischen zehn und zwölf Prozent. 40 Prozent der Berliner finden, dass BSW ein politisches Angebot mache, das es sonst nicht gebe in Deutschland, schwärmt Benda. Aber die Partei weiß natürlich selbst, dass dies noch lange nicht heißt, dass 40 Prozent der Berliner ihr Kreuz bei BSW machen wollen.

Am Montag um 9 Uhr soll es auf dem Pariser Platz eine Aktion zur Europawahl mit dem Spitzenkandidaten Fabio de Masi geben, der 2014 bis 2017 schon einmal im Europaparlament gesessen hatte – damals für Die Linke. Alexander King ruft ihn mit anderen Kandidaten auf die Bühne, darunter Jutta Mattuschek, die von 1995 bis 2016 dem Berliner Abgeordnetenhaus angehörte.

»Lasst euch nicht irre machen, wenn sie euch beschimpfen!« So ruft de Masi den Getreuen von Wagenknecht zu. Es sind fast alle da, die bei ihrem Bündnis Rang und Namen haben – und außerdem Josephine Thyrêt, Betriebsrätin bei den städtischen Vivantes-Kliniken. Nur die Namensgeberin der Partei fehlt.

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