Gundermann: Bierwürze und Hautreiniger

Gundermann blüht blau und schlängelt sich sonst eher unauffällig durchs Gelände

  • Anke Nussbücker
  • Lesedauer: 5 Min.
Gundermann wächst gern an Waldrändern und auf feuchten Wiesen
Gundermann wächst gern an Waldrändern und auf feuchten Wiesen

Überall, wo sich im Garten, auf Industriebrachen, an Zäunen, Hecken und an alten Mauern wieder erste Gundermannpflänzchen ansiedeln, beginnt sich die Flora nach Neubau oder Sanierung von Wohnhäusern, oder auch nach jahrzehntelangem Tagebaubetrieb zu regenerieren. In dieser Hinsicht zeugt das zierliche Kraut davon, dass eine natürliche Vegetation zurückkehrt.

Durch den weiträumigen Abbau von Braunkohle in der Lausitz, aber auch von Steinkohle im Ruhrgebiet wurden tiefe Einschnitte in die Landschaft gegraben. Gräser und Brennnesseln beginnen schnell wieder zu wachsen, davon sang auch Gerhard Gundermann. Die gleichnamige Pflanze hätte vielleicht auch dem Liedermacher zu besserer Gesundheit und längerer Lebenszeit verhelfen können, zumindest dann, wenn er sich zusätzlich zu seiner pflanzlichen Ernährung auch mehr Schlaf gegönnt hätte.

Im Garten oder wenn der Hinterhof begrünt werden soll, verdient das Wildkraut Beachtung. Einige Exemplare an den Gartenzaun gesetzt und gut mit Wasser versorgt, vermehrt es sich schnell. Dabei bleibt es stets zart und bescheiden, die Blaublüher überwuchern nichts. Wie eine Miniaturausgabe von Efeu schlängelt es sich am Boden entlang und trägt auch Namen wie Gundelrebe oder Erdhopfen.

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Glechoma hederacea, so der botanische Name von Gundermann, gehört zur Pflanzenfamilie der Lippenblütengewächse. Von April bis Juni bildet er hübsche blau-violette Blüten, der vierkantigen Stängel richtet sich dafür senkrecht auf. Die Blätter sind nieren- bis herzförmig. In der Signaturenlehre weist diese Blattform auf einen Wirkungsbezug zur Niere hin.

Die Silbe »Gund« bedeutete in frühen germanischen Sprachen Eiter. Entsprechend wurde Gundermann bei eitrigen Wunden und schlecht heilenden Verletzungen eingesetzt. Ebenfalls wird er bei langwierigem Schnupfen, Husten, Mandelentzündungen sowie Blasen- und Nierenkrankheiten genutzt.

In altgermanischer Zeit wurde das Kraut innerlich wie äußerlich angewendet, dies auch gleichzeitig. Der naturheilkundlich bewanderte Arzt Ernst Schneider machte 1963 auf die Wechselwirkung zwischen Haut und inneren Organen aufmerksam. Er betonte, dass direkt auf die Haut wirkende und nierenwirksame Heilpflanzen vereinigt werden müssen. Gundermann erfüllt diese Anforderung als Einzelpflanze. Durch die Kombination mit anderen Pflanzen wird seine Wirkung verstärkt und ergänzt.

So kann ein Hautreinigungstee gegen Eiterpickel im Frühling aus Gundermannblättchen, Brennnesseln, Birkenblättern, Stiefmütterchen, Gänseblümchen, Lindenblüten sowie etwas Minze gekocht werden. Sollte die Gundelrebe nirgends zu finden sein, lässt sich das getrocknete Kraut als Hedera terrestris herba in naturheilkundlich ausgerichteten Apotheken bestellen.

Gerade bei Frühjahrsmüdigkeit sowie dem damit empfundenen niedrigeren Energielevel samt fehlender Zuversicht können zart sprießende Wildkräuter Abhilfe schaffen. Die frisch gepflückten Blätter liefern die Vitamine C, E und K, wonach der menschliche Organismus nach dem Ende des Winters besonders lechzt. Darüber hinaus enthalten Gundermannblätter Gerbstoffe, Bitterstoffe und ätherisches Öl. Wie die verschiedenen Minzen enthält Gundermann etwas von dem Terpen Menthon. Daher weist er einen leichten Geruch und Geschmack nach Minze auf, hat aber auch eine Tendenz zu Lakritz und zum leicht Bitteren. Bevor das Reinheitsgebot für Bier lediglich Hopfen als würzende Zutat erlaubte, dienten Gundermann und Schafgarbe zum Würzen und Haltbarmachen von Bier.

Kräuter wie Gundermann in Biergetränken sorgten im Mittelalter dafür, dass heilkundige Frauen (dünnes) Bier sogar bei Gelenkentzündungen wie Gicht empfahlen. Verschiedene pflanzliche Zutaten wie Gundermann, Thymian, Heidekraut und Wacholderbeeren im Bier trugen dazu bei, dass Harnsäure besser mit dem Urin ausgeschieden wurde. Der Gehalt an Malzzucker fiel in damaliger Zeit nicht ins Gewicht, weil die meisten Menschen körperlich schwer arbeiteten. Der Alkoholanteil des Bieres trug dazu bei, dass sich krankheitsverursachende Bakterien in der Trinkflüssigkeit weniger vermehren konnten, was bei Verwendung von Wasser in mittelalterlichen Städten ungewiss war.

Heutzutage wäre eher ein Getränk namens Wiesendudler zu empfehlen, welches aus den beiden Wildkräutern Gundermann und Giersch zubereitet wird. Werden die klein geschnittenen Kräuter für einige Stunden in kühlem Apfelsaft ziehen gelassen, abgeseiht und mit Sprudelwasser aufgefüllt, entsteht ein erfrischendes Getränk für Jung und Alt.

Gundermann war im heidnischen Brauchtum eine wichtige Pflanze, möglicherweise wurde er deshalb für die Bierherstellung verboten. Als Zauberkraut sollte er in der Nacht zum 1. Mai dazu verhelfen, in die Anderswelt zu blicken und Elfen tanzen zu sehen. Auch eine Anwendung bei erkrankten Kühen war bekannt. Entdeckte man Blut oder Eiter in der Kuhmilch, wurde das betreffende Tier mit dem Kräutlein behandelt: innerlich mit reichlich Gundermann im Futter und äußerlich, indem man einen Brei aus zerkleinertem Gundermann auf das Euter strich. Zur Vorbeugung gab man Kühen vor dem ersten Weidegang reichlich frisch gepflückte Gundermannblätter.

Für die äußerliche Anwendung auf der menschlichen Haut beschreibt die Heilpraktikerin Susanne Fischer-Rizzi in ihrem Buch »Medizin der Erde« die Verarbeitung von Gundermann zu einem heilsamen »Wunderblättchenöl«. Dafür werden Blätter der Pflanze im Juni gesammelt, in ein Schraubglas gefüllt, die Blätter fest zusammengedrückt und dem Sonnenlicht ausgesetzt. Nach knapp einer Woche sammelt sich helles Öl am Boden des Glases, dieses wird abgeseiht, kühl und dunkel aufbewahrt. Auf Wunden oder erkrankte Haut aufgetragen, wirkt es entzündungshemmend sowie gegen Eiterbildung.

In der Küche dient Gundermann als Gewürz, das man in relativ geringen Mengen einsetzt, weil die Speise sonst zu streng schmeckt. Er ist auch ein beliebter Bestandteil von Frühlings-Kräutersuppen. Dazu werden mild schmeckende Wildkräuter wie Brennnessel, Gartenmelde und Kerbel in größeren Mengen geschnitten. Auch in Frühlingssalaten mit Löwenzahn, Bärlauch, Giersch und ersten Radieschen machen sich Gundermannblätter gut.

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