Arbeitspflicht im Saale-Orla-Kreis: Wie beim Subbotnik

Im thüringischen Schleiz gibt es seit einigen Wochen eine Arbeitspflicht für Geflüchtete. Die Betroffenen kommen ihr unaufgeregt nach.

  • Sebastian Haak, Schleiz
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft Schleiz bei der Pflege der Außenanlagen der Einrichtung. Er bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde.
Ein Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft Schleiz bei der Pflege der Außenanlagen der Einrichtung. Er bekommt dafür eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent pro Stunde.

Die Männer, die an diesem Morgen den zentralen Flur geputzt haben, haben es ziemlich gut gemeint mit dem Wasseranteil beim Wischen. Überall auf dem beige-rot-karierten Boden sind noch Pfützen zu sehen. Sauber ist der Flur der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Schleiz auf diese Weise definitiv geworden.

Deshalb wenden sich die Bewohner nun den Außenanlagen ihrer Unterkunft zu. »Hier, mit der Wäsche, das ist eigentlich eine gute Sache«, sagt Markus Weber, der Leiter dieser Einrichtung, als er auf einige Wäscheleinen zeigt, die unter einem kleinen Dach gleich neben der Einfahrt zum Gelände angebracht sind. Die Geflüchteten rechen Laub zusammen, sammeln Müll auf, schauen, ob die Leinen noch straff genug gespannt sind.

Einige der Männer hier haben vor Kurzem ein amtliches Schreiben bekommen, in dem ihnen mitgeteilt worden ist, dass sie zur Arbeit verpflichtet werden. Andere machen mit, weil Weber ihnen gesagt hat, dass sie das sollen. Er arbeitet schon seit den 90er Jahren mit Migranten. Er weiß, wie er – Papier hin, Papier her – mit ihnen sprechen muss, damit sie tun, was er von ihnen möchte. »Ich rekrutiere auch Leute, die diese Bescheide nicht bekommen haben«, sagt er.

Dass im Saale-Orla-Kreis – jener Landkreis im Südosten Thüringens, in dem die Kleinstadt Schleiz liegt – seit Februar 2024 überhaupt Bescheide zugestellt werden, die Geflüchtete zur Arbeit in 80-Cent-Jobs verpflichten, hat bundesweit für ein gewaltiges Interesse und eine öffentliche Debatte gesorgt. Seit Wochen muss der Landrat des Kreises, Christian Herrgott, ständig Fragen dazu beantworten, wie es so läuft mit der Arbeitspflicht, wie seine Verwaltung das umsetzt. Journalisten aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland wollen das wissen. Auch Kommunalpolitiker aus verschiedenen Bundesländern hätten sich mit diesen Fragen bereits an ihn gewandt, erzählt der Christdemokrat.

Demnächst wollten Landräte aus Mecklenburg-Vorpommern und Bayern deswegen zu ihm kommen. Zudem, sagt Herrgott, träten inzwischen regelmäßig Vertreter von Vereinen und Verbänden aus der Region an ihn heran und fragten, ob die Flüchtlinge nicht auch bei ihnen mal helfen könnten. Beim Rasenmähen, Heckeschneiden oder Trikotwaschen.

»Klappt«, sagt Herrgott, als er auch an diesem Tag die Frage gestellt bekommt, ob sich das mit der Arbeitspflicht bewährt habe. Dabei ist, was über Herrgott – der vor seinem Amtsantritt im Februar Landtagsabgeordneter in Erfurt war – und seinen Kreis teils berichtet wird, nicht ganz zutreffend. Denn Herrgott ist nicht der erste Landrat bundesweit, der Geflüchtete zur Arbeit verpflichtet hat. Ein derartiger Bescheid sei noch unter seinem Amtsvorgänger Thomas Fügmann erlassen worden, berichtet er. Auch ein CDU-Mann. Schon im vorigen Jahr hatte der Kreistag die lokale Verwaltung aufgefordert, ein Konzept dafür zu erarbeiten. »Ich führe das jetzt fort«, sagt Herrgott.

Außerdem ist der Saale-Orla-Kreis nicht der erste Landkreis, in dem Flüchtlinge zur Arbeit verpflichtet werden. Auch andere Kommunen hätten das in der Vergangenheit immer mal wieder getan, betont Herrgott. »Die haben nur nicht offen darüber geredet.« Richtig sei aber, fügt er hinzu, »dass wir die ersten in Deutschland sind, die das flächendeckend machen«. In dem Thüringer Landkreis sind von rund 150 Asylbewerbern, die in Gemeinschaftsunterkünften leben und damit zur Aufnahme von Arbeitsgelegenheiten verpflichtet werden können, bislang etwa 65 dazu aufgefordert worden.

Die Worte Herrgotts lassen wie die Aussage Webers, er »rekrutiere« auch Personen ohne Bescheide, erahnen, dass die öffentliche Debatte viel aufgeregter ist, als es die Praxis vor Ort rechtfertigt. Der Gedanke drängt sich auch auf, wenn man sich mit den Männern unterhält, die zuerst den Flur gewischt und sich dann um das Laub und die Wäscheleinen gekümmert haben.

Für sie sei es nicht wichtig, ob jemand einen Du-musst-arbeiten-Bescheid bekommen habe oder nicht, sagen sie alle. Es sei selbstverständlich, dass sie bei der Reinigung der Gemeinschaftsunterkunft helfen. »Wer frei hat, der putzt«, sagt Said, der seit fast zwei Jahren hier lebt. Nur wer gerade beim Deutschkurs ist, brauche nicht mitzumachen. Tamim, der aus Afghanistan kommt und seit etwa anderthalb Jahren in der Einrichtung in Schleiz lebt, sagt: »Natürlich putzen wir hier mit. Das ist unsere Wohnung.« Said nickt: »Wir sind doch keine Tiere.«

Auch mit möglichen Arbeiten außerhalb der Unterkunft hätten sie kein Problem, sagen diese Männer fast alle. »Schleiz ist unsere Stadt«, erklärt Said. Wenn sie hier Straßen kehren oder Grünanlagen pflegen würden, dann »ist das doch wie beim Subbotnik«. Said stammt aus Tschetschenien, das zu Russland gehört. Das wird durch seine Wortwahl erkennbar, denn überall in der Sowjetunion wurden unbezahlte gemeinschaftliche Arbeitseinsätze als Subbotniks bezeichnet. In der DDR war der Begriff ebenso gebräuchlich.

Nur einer der jungen Männer möchte nicht außerhalb der Gemeinschaftsunterkunft arbeiten. Er kann nicht genau erklären, warum, aber Mitbewohner sagen, er habe Angst vor Fremden.

Wer Herrgott und Weber über die Umsetzung der Arbeitspflicht im Saale-Orla-Kreis reden hört, der merkt, wie sehr es bei der öffentlichen Diskussion über deren Für und Wider um Symbolpolitik geht. Um Schlagworte und Parolen, die in diesem Flachbau in Schleiz deplatziert wirken. Obwohl beide Seiten – oft zu laut und zu schrill – durchaus Aspekte einer ziemlich komplexen Realität benennen.

So ist es zum Beispiel wirklich so, wie die Gegner der Arbeitspflicht immer wieder sagen: Es gibt nur wenige Flüchtlinge, die nicht arbeiten wollen. Es braucht für die meisten von ihnen eigentlich keinen Bescheid, der sie dazu verpflichtet, sondern vielmehr die Gelegenheit, auch arbeiten zu dürfen. Etwa 70 Prozent der Geflüchteten seien »willig«, sagt auch Herrgott. »20 Prozent muss man motivieren.« Nur zehn Prozent seien »Totalverweigerer«, bei denen der Staat auch mit Leistungskürzungen reagiert.

Wer von den Geflüchteten einer Beschäftigung nachgehe, das betont Herrgott immer wieder, integriere sich deutlich leichter als Menschen, die den ganzen Tag nichts zu tun haben. Bei einem Rundgang auf dem Gelände der Gemeinschaftsunterkunft zeigt Markus Weber auf die Reinigungsgeräte, die die Bewohner regelmäßig benutzen. Die haben sie selbst zusammengebaut. »Dabei haben sie gleich noch ein paar neue Vokabeln gelernt«, erzählt der Einrichtungsleiter. Außerdem seien bei dem einen oder anderen bis dahin verborgene handwerkliche Fähigkeiten offenbar geworden. Das helfe dabei, die Stärken und Schwächen zu bestimmen, was wichtig sei, um für sie perspektivisch einen Job zu finden, sollten ihre Asylanträge positiv beschieden werden.

Für die nächsten Wochen und Monate plant der Landkreis, die Geflüchteten auch außerhalb ihrer Unterkunft zur Arbeit einzusetzen. Wozu genau und in welchem Umfang, das ist noch nicht abschließend geklärt.

Organisatorisch sei das anspruchsvoll, sagt Herrgott, weil die Geflüchteten dafür eben erst einmal an ihren Einsatzort gelangen müssten, was im ländlichen Raum deutlich schwieriger ist als in größeren Städten. Die Sache rechtssicher zu gestalten ist auch nicht ganz einfach, weil im Asylbewerberleistungsgesetz – der Rechtsgrundlage für die Arbeitspflicht – festgelegt ist, dass »das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit« dienen muss. Ob das Trikotwaschen für einen Fußballverein diesem Kriterium genügt, lässt sich nicht ganz einfach beantworten.

Herrgott ist von der Arbeitspflicht überzeugt. Zumal die Umsetzung für die Kreisverwaltung nicht sehr kompliziert sei. »Das ist ein Aufwand, der zu leisten ist.« Allerdings, schränkt er ein, seien die Voraussetzungen für die Umsetzung von Landkreis zu Landkreis verschieden. »Es muss jeder für sich selbst bewerten, ob eine Arbeitspflicht bei ihm sinnvoll ist oder nicht«, meint Herrgott.

Der bundesweite Streit um diese Arbeitspflicht scheint angesichts der abwägenden Worte Herrgotts weit weg von der Realität in dieser Gemeinschaftsunterkunft zu sein, in der die Pfützen im Flur auch nach fast zwei Stunden immer noch nicht vollständig abgetrocknet sind.

Während die Unterstützer Herrgotts ihn regelmäßig dafür feiern, dass er angeblich »härter« mit Asylbewerbern umgehe als es der AfD-Landrat Robert Sesselmann im Landkreis Sonneberg tue – ein Vergleich, den sich Herrgott nicht zu eigen macht –, verdammen seine Kritiker ihn als jemanden, der rassistische Stereotype gegenüber Geflüchteten verstärke. Im Alltag der Menschen, die in der Schleizer Sammelunterkunft leben oder in einem der Mehrfamilienhäuser daneben, spielen solche politischen Grundsatzdiskussionen keine Rolle.

Kurz nachdem Landrat Herrgott die Einrichtung verlassen hat und Weber gerade erzählt, welches »Sprach- und Integrationswissen« er den Bewohnern wie vermittelt, kommt einer der Geflüchteten mit einem breiten Abzieher und wischt das überschüssige Wasser aus dem nassen Flur zur Tür hinaus.

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