- Berlin
- Plagiatsvorwürfe
Endstation für Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner
CDU-Politikerin Manja Schreiner tritt wegen Aberkennung ihres Doktortitels zurück
Die nach summa cum laude (Latein: mit höchstem Lob) und magna cum laude (mit großem Lob) drittbeste Bewertung cum laude (mit Lob) hat Berlins Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) im Jahr 2007 für ihre Doktorarbeit zur »Arbeitnehmerberücksichtigung im Übernahmerecht« erhalten. Diese Bewertung durch die juristische Fakultät der Universität Rostock entspricht als Schulnote ausgedrückt einer Zwei beziehungsweise dem Prädikat »Gut«.
Doch die Prüfung von Plagiatsvorwürfen hat ergeben, dass es gar nicht gut war, wie Schreiner ihre Dissertation abfasste. Sie habe zwar ganz überwiegend die Orginalquellen angegeben, aber wörtliche Übernahmen aus anderen Texten viel zu oft nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet. So begründet die Universität am Dienstag die Entscheidung, der Politikerin den Doktortitel zu entziehen. Schreiners Vorgehen sei nicht so gravierend wie das gänzliche Verschweigen der Quellen wie im Falle des einstigen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und der früheren Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Andererseits unterscheide sich Schreiners Fall wegen der Menge der fehlenden Anführungszeichen von dem des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD). Bei ihm hatten die Mängel unterhalb der Erheblichkeitsschwelle gelegen. Er durfte seinen Doktortitel behalten.
Am Montag informierte die Universität Manja Schreiner über die gefallene Entscheidung. Am Dienstagmorgen bat die Politikerin den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), sie nach mittlerweile zwölf Monaten im Amt als Verkehrssenatorin zu entlassen. »Dies tue ich, um Schaden vom Berliner Senat abzuwenden«, sagte die 46-Jährige. »Als Senatorin habe ich stets große Verantwortung gegenüber der Stadt und ihren Menschen empfunden. Diese Verantwortung gibt mir nun diesen Weg aus dem Amt vor.« Sie tue das »schweren Herzens«. Gern hätte sie weiter die Stadt gestaltet. »Ich habe an keiner Stelle meiner Dissertationsarbeit vorsätzlich getäuscht oder betrogen«, betonte Schreiner noch. Sie kündigte an, Widerspruch gegen den Entschluss der Universität einzulegen.
Der Regierende Bürgermeister Wegner entsprach dem Entlassungsgesuch von Schreiner. »Ich sage aber ausdrücklich, ich tue dies schweren Herzens«, betonte er. Denn Schreiner sei Gesicht und Stimme für eine dringend benötigte Verkehrswende, »die die Ideologie der letzten Jahre überwindet und ersetzt durch pragmatische und lösungsorientierte Politik«. Die Senatorin habe im Unterschied zu ihrer Vorgängerin Bettina Jarasch (Grüne) alle Verkehrsteilnehmer in den Blick genommen. Damit meint Wegner die Autofahrer, die ihren Platz bekommen sollen, der ihnen vorher streitig gemacht worden sei.
Dass Schreiner persönliche Interessen hinten angestellt und um ihre Ablösung gebeten habe, nannte Wegner »bemerkenswert«. Einen Nachfolger konnte er am Dienstagmittag noch nicht präsentieren. Er habe es ja erst am Morgen erfahren, dass er einen braucht. Dass ein neuer Verkehrssenator bereits am Donnerstag vereidigt wird, hält Wegner für »ausgeschlossen«. Er müsse erst Gespräche führen.
Schreiners Rücktritt sei nach der Aberkennung ihres Doktortitels der einzig mögliche Schritt gewesen, meinte Werner Graf, Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus. Der Posten müsse zügig neu besetzt werden, die nachfolgende Person solle tatkräftig anpacken. »Wir brauchen endlich wieder eine Verkehrspolitik, die den Schutz der Schwächsten in den Blick nimmt. Auch Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind, müssen unversehrt und angstfrei unterwegs sein können«, sagte Graf. Es sei höchste Zeit »für eine progressive, mutige und nachhaltige Verkehrspolitik«.
Ähnlich äußerte sich Linksfraktionschefin Anne Helm. Die schwarz-rote Koalition hätte ihr zufolge nun die Chance für einen Neuanfang – die Chance, mit dem Personalwechsel einen Politikwechsel zu verbinden, die Schwächsten in den Fokus zu nehmen, die Situation für Fußgänger und Radfahrer zu verbessern und vor allem den öffentlichen Personennahverkehr »als Rückgrat unserer Mobilität« auszubauen.
»Dass jemand aufgrund eines aberkannten Doktortitels zurücktritt, ist heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr«, erklärte Anne Helm. Insofern könne sie Manja Schreiner einen gewissen Respekt zollen. Deutlich weniger Respekt habe sie vor der politischen Bilanz der Verkehrssenatorin, gestand Helm. Das eine Jahr habe nicht nur chaotisch mit dem Baustopp für neue Radwege begonnen. Es sei vor allem dadurch geprägt gewesen, dass Schreiner »die Privilegierung des Autos aus dem vergangenen Jahrhundert fortführen und die Verkehrswende ausbremsen wollte«.
Im Kern gar nicht mal so anders als die Opposition meldete sich der Koalitionspartner SPD zu Wort. Der SPD-Abgeordnete Tino Schopf bedauerte Schreiners Rücktritt und bescheinigte ihr Fleiß, Disziplin und Engagement. Doch während Schopf die vertrauensvolle Zusammenarbeit auch bei unterschiedlichen Ansichten lobte, räumte er zugleich Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der Senatorin ein.
Noch deutlicher wurde die SPD-Abgeordnete Linda Vierecke, die im Prinzip nichts anderes sagte: »Auch wenn ich manche ihrer Entscheidungen kritisiert habe, war die Zusammenarbeit immer freundlich und auf Augenhöhe«, erklärte Vierecke. Schwer falsch zu verstehen war jedoch der Wunsch der Abgeordneten, »dass die Nachfolge jemand antritt, der oder die die Klimakrise ernst nimmt und die Umwelt- und Verkehrspolitik auch so gestaltet«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.