Grenzwertige Grenzkontrolle

Angebliche Erfolge beim Abwehren von Flüchtlingen nicht bewiesen

Bundespolizisten kontrollieren an der Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) aus Polen einreisende Fahrzeuge.
Bundespolizisten kontrollieren an der Stadtbrücke in Frankfurt (Oder) aus Polen einreisende Fahrzeuge.

Seit Mitte Oktober kontrolliert die Bundespolizei aus Polen nach Brandenburg kommende Fahrzeuge auf der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder) und an den Autobahnen bei Świecko und Klein Bademeusel. Die Folge sind Staus insbesondere in Słubice. Polnische Ärzte, Krankenschwestern, Putzfrauen und Handwerker, die zur Arbeit nach Berlin und Brandenburg pendeln, müssen früher aufstehen, um pünktlich zu ihrer Schicht zu kommen. Auch Studierende sind von der Maßnahme betroffen.

Das haben die von Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) so vehement von Bundesinnenministerin Nancy Faeser eingeforderten Grenzkontrollen bewirkt. Ob aber deswegen weniger Geflüchtete gekommen und mehr kriminelle Schleuser ergriffen worden sind, das ist noch die Frage.

Die Landtagsfraktion der Grünen bestellte dazu ein Gutachten und legte das 24 Seiten umfassende Ergebnis am Dienstag vor. Die Sozialwissenschaftler Marcus Engler vom Institut für Integrations- und Migrationsforschung und Lea Christinick von der Universität Viadrina haben sich die verfügbaren, sehr spärlichen Daten angeschaut. »Wir hatten nicht die Zeit, eigene Daten zu erheben«, bedauert Engler. Was er sagen kann: Es ist nicht auszuschließen, dass die Grenzkontrollen die erwünschte Wirkung haben. Die verfügbaren Statistiken reichen allerdings nicht aus, den behaupteten Erfolg der Kontrollen zu beweisen.

Engler sieht einen beklagenswerten »Trend zu postfaktischer Politik« bei der Bezahlkarte für Asylbewerber, bei Diskussionen über Sozialleistungen und auch bei den Grenzkontrollen. Da würden Entscheidungen getroffen, obwohl jedem Wissenschaftler sofort klar sei: So einfach sei es nicht. Man müsste sehr viel detailliertere Daten über einen längeren Zeitraum hinweg haben und auswerten, um seriös etwas über die Auswirkungen der Grenzkontrollen sagen zu können, stellt Engler klar. »Flucht- und Migrationsbewegungen sind äußerst komplex.«

Die Landtagsabgeordnete Sahra Damus (Grüne) erzählt, sie habe gleich ein »ungutes Gefühl« gehabt bei den schnellen Erfolgsmeldungen. Ein Kritikpunkt: Es werden Einreisen und Einreiseversuche gezählt und nicht Personen. Aber teils unternehmen Geflüchtete 15 vergebliche Versuche, über die polnische Grenze zu kommen, bevor es ihnen dann gelingt. Auch werden die aufgegriffenen Menschen von den Bundespolizisten zumeist zur Erstaufnahme für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt gebracht, wo sie einen Asylantrag stellen dürfen. Deshalb werde in der Bevölkerung von einem »Taxidienst von der Grenze zur Erstaufnahme« gesprochen, weiß Damus. Die Zahl der Asylanträge sei nach der Einführung der Grenzkontrollen erst sogar noch gestiegen und Schleuser seien vorher mehr gefasst worden als seither. Damus erwähnt auch, dass es an die 20 Grenzübergänge von Brandenburg nach Polen gibt, aber nur drei kontrolliert werden.

Es liegt der Abgeordneten fern, gewissenlose Schleuserbanden nicht als Problem anzusehen. Die haben schon viel zu oft Flüchtlinge in Transporter gepfercht und deren Leben aufs Spiel gesetzt, weil ein Ersticken drohte. Als Schleuser werde aber schon gewertet, wer ohne böse Absicht einen Flüchtling im Auto mitnimmt oder zu Fuß über die Grenze begleitet, ohne dafür Geld zu nehmen. All diese Fälle weise die Statistik jedoch nicht gesondert aus. Die Grenzkontrollen seien rechtswidrig und unverhältnismäßig, findet Damus. Spätestens mit dem Ende der Fußball-Europameisterschaft Mitte Juli sollten sie wieder abgeschafft werden. Dass es die Kontrollen gibt, liege daran, dass Politiker von CDU und SPD Stärke und Handlungsfähigkeit beweisen wollen.

Das glaubt auch der Europaabgeordnete Erik Marquardt (Grüne). »Die Erfolgsmeldungen haben wenig mit der Realität zu tun.« Bundesinnenministerin Faeser sollte der Freizügigkeit in der EU als Errungenschaft wieder mehr Bedeutung beimessen.

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