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Arbeit bei Aldi: Wie am Fließband
Leo Fischer steht an der Aldi-Kasse und denkt über die Ideologie des Handelskonzerns nach
Ein schönes Symbol dafür, was der Kapitalismus psychologisch mit uns macht, findet sich in jeder Aldi-Filiale. Es sind jene Bereiche der Kasse, in denen die soeben gescannten Waren zum Einpacken verweilen – vielmehr: nicht verweilen soll. Denn diese Bereiche sind oft winzig: In einigen Filialen handelt es sich um eine Fläche, auf der vielleicht zwei Cornflakes-Packungen Platz haben. Dank der schon zur Markenidentität gewordenen Geschwindigkeit der Kassierer*innen ist es eine Tortur, die Waren so schnell einzuräumen, dass sie nicht von anderen verdrängt werden – eine Qual, die gewollt ist und von allen akzeptiert wird.
Die Psycho-Ökonomie dieses Kassenbereichs könnte Gegenstand einer Doktorarbeit sein; ich will sie nur skizzieren: Die Kassierer*innen werden auf Tempo gedrillt – angeblich zum Wohle der Kund*innen, die schnell bedient werden wollen. In Wirklichkeit reduzieren sie mit ihrer Geschwindigkeit nur die Notwendigkeit, weitere Kassen zu öffnen und mehr Personal einzustellen. Spätestens nach dem Bezahlvorgang spielt das Kund*innenwohl überhaupt keine Rolle – alle, zitternde Omas, Bluthochdruckpatient*innen oder Menschen mit motorischen Einschränkungen, alle müssen unter ihre Waren in brachialem Tempo verräumen. Alle sind wütend aufeinander; die Kassierer*innen, weil ihnen der Job schwer gemacht wird, die Leute in der Schlange, weil sie warten müssen, die Leute am Kassenende, weil keine Rücksicht auf sie genommen wird.
Der Zorn richtet sich nicht auf die Markteigentümer*innen, die das ja ganz bewusst so eingerichtet haben, sondern auf die Menschen, die zu lange brauchen: Sie werden als die Hindernisse eines ansonsten reibungslos funktionierenden Systems gesehen, sie müssen sich einem Druck anpassen, der nicht nötig wäre und von dem nur die Besitzenden profitieren. Schon baut sich ein Feindbild auf: die Leute, die immer so lange brauchen und dadurch allen das Leben schwer machen! (Man fragt sich, warum Behindertenverbände nicht schon längst mal gegen diese Kassen geklagt haben.) Das Kassensystem selbst hingegen wird als naturgegeben wahrgenommen, als unveränderliche Wahrheit, der man sich anzupassen hat.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der Öffentlichkeit nützliche Vorschläge. Alle Texte auf: dasnd.de/vernunft
Natürlich, man könnte sich Zeit nehmen, in provokanter Gemütsruhe dem eigenen Tempo folgen und schön langsam einen Artikel nach dem anderen verstauen. Denn sicher sind die Kassierer*innen angewiesen, die eben erworbene Ware vom Förderband nicht gleich in den Dreck zu stoßen, nur weil die Kund*innen so lange brauchen. Solche Entschleunigung wäre sehr zu loben, sie ist aber selten. Denn mehr noch als der Druck der Schlange wirkt das Gefühl einer allgemeinen Schuld, die ebenfalls in die Markenidentität eingeschrieben ist: Ich bin hier ja nur im Aldi, ich habe keine gute Behandlung verdient. Und mehr noch: Man identifiziert sich mit den Kapitalist*innen: Für die günstigen Preise muss man halt an anderen Stellen Abstriche machen. So erzeugt die scheinbare Naturgegebenheit gleich die zugehörige Ideologie.
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