Katalonien rückt nach rechts

Sozialdemokraten gewinnen die Wahlen und rechte Parteien legen zu

  • Ralf Streck, Tarragona
  • Lesedauer: 5 Min.

Salvador Illa zeigte sich am Wahlabend von seiner künftigen Präsidentscahft überzeugt: »Heute beginnt eine neue Etappe für Katalonien«, erklärte der Sozialdemokrat vor begeisterten Anhängern in Barcelona. Seine PSC erzielte 28 Prozent der Stimmen und damit 42 der 135 Sitze. Das sind neun mehr als 2021. Bereits am Montag wollte er Verhandlungen mit anderen Parteien aufnehmen, um die Parlamentsmehrheit von 68 Abgeordneten hinter sich zu vereinen. Obwohl die PSC, der katalanische Ableger der spanischen PSOE, wie 2021 erneut gewonnen hat, ist alles offen. Dass Illa gekrönt wird, ist fraglich, da ihm Partner fehlen. Und dass die Parteien der Unabhängigkeitsbewegung ihre Mehrheit im Parlament in Barcelona klar verloren haben und nur noch auf 59 statt 74 Sitze im 135 Sitze umfassenden Parlament kam, ändert an Illas Problem nichts.

Im Unabhängigkeitslager hat Exilpräsident Carles Puigdemont einen Achtungserfolg errungen, obwohl er im Wahlkampf stark benachteiligt war. Er konnte ihn nur aus dem Ausland führen, aus dem südfranzösischen Teil Kataloniens, sprich Nordkatalonien. An ihm und seiner Partei »Gemeinsam für Katalonien« (JxCat) lag es nicht, dass die gespaltenen Unabhängigkeitsparteien ihre Mehrheit verloren. JxCat legte um zwei Punkte zu, wurde mit 22 Prozent stärkste Kraft im Unabhängigkeitslager. Der Kurs des Regierungschefs Pere Aragonès und seiner Republikanischen Linken (ERC) wurde wie erwartet abgestraft. Die stürzte auf knapp 14 Prozent ab, das schlechteste Ergebnis seit 2010. Sie verlor sieben Prozentpunkte. Aragonès kündigte am Wahlabend den Gang in die »Opposition« an und am Montag den Verzicht auf sein Abgeordnetenmandat.

Auch für den starken Mann hinter Aragonès dürfte es eng werden: Parteichef Oriol Junqueras. Der ehemalige Vize-Regierungschef, der wegen seiner Beteiligung am Unabhängigkeitsreferendum 2017 bis zu seiner Begnadigung 2021 mehrere Jahre in Haft saß, war maßgeblich für den Kurs verantwortlich. Statt ab 2021 mit einer Sitz- und Stimmenmehrheit im Unabhängigkeitslager gemeinsam auf dem Unabhängigkeitsweg zu bleiben, ging die ERC auf Schmusekurs mit den Sozialdemokraten in Madrid. Dort ist die Partei seit Juni 2018 eine wichtige Stütze von Regierungschef Pedro Sánchez (PSOE), ohne dafür real etwas für Katalonien erreicht zu haben. Vorweisen konnte die ERC eine Teilbegnadigung für die wegen einem angeblichen Aufruhr im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums 2017 verurteilten Junqueras und andere. Eine Amnestie für die Vorgänge holte hingegen Carles Puigdemont in wenigen Tagen heraus, als Sánchez nach den Neuwahlen im vergangenen Jahr auch auf die Stimmen von JxCat angewiesen war, um Regierungschef zu bleiben. Für ihren Kurs verlor die ERC in Katalonien unzählige Wähler. Miquel, jahrzehntelang ERC-Wähler, erklärt dem »nd«: »Ich wähle die nicht mehr«, sagt er und er sei nur hier, weil er seine Frau zur Wahl gefahren habe. Er ist enttäuscht, wählt gar nicht mehr. Er ist genervt, dass die Unabhängigkeitsparteien gegeneinander arbeiten, statt gemeinsam voranzuschreiten.

Noch-Regierungschef Aragonès fehlt Gespür, seine Erfolge blieben bescheiden, den Umgang mit der schweren Dürre seit drei Jahren bezeichnen viele als »miserabel«. Bauern das Wasser abdrehen, aber den Tourismus unbeschränkt zu bedienen, sei nicht akzeptabel. Statt direkt Neuwahlen im Januar 2023 anzusetzen, als sich Junts aus der gemeinsamen Regierung mit der ERC zurückzog, machte Aragonès das erst kurz vor der anstehenden Verabschiedung der Amnestie im spanischen Parlament, nachdem er keine Mehrheit für seinen Haushaltsentwurf bekam. Mit diesem Manöver wollte er Puigdemonts Wahlchancen schmälern, der nach der Amnestie hätte wirklichWahlkampf machen können. Aragonès Kalkül ging aber nicht auf. So wurde die Unabhängigkeitsbewegung und die ERC geschwächt. Zudem erwischte er die linksradikale CUP im »Prozess der Neugründung«. Die Antikapitalisten, die sich schnell von Aragonès distanziert hatten, gingen von sieben auf vier Prozent in die Knie und ziehen nur noch mit vier statt bisher neun Abgeordneten ins neue Parlament ein.

Die Stimmen im Unabhängigkeitslager wurden weiter aufgespalten. Die neue Partei Alhora um die Europaabgeordnete Clara Ponsatí blieb abgeschlagen, dafür kam die rechtsradikale »Katalanische Allianz« (AC) auf knapp vier Prozent und zwei Sitze. »Besorgniserregend« ist für die große Kulturorganisation Òmnium Cultural der »Auftrieb von Rechtsextremen«. Das benötige eine »tiefgreifende Reflektion«, erklärte Xabier Antich gegenüber »nd«. Das gelte auch für die schwache Beteiligung. »Es ist unerlässlich, erneut ein hoffnungsvolles gemeinsames Projekt zu schaffen, sowohl sozial als auch gesellschaftlich«, fügt er an.
Klar ist, dass ein Teil der Basis fernblieb, wie die Wahlbeteiligung von 58 Prozent zeigt, zwar etwas mehr als noch unter Pandemie-Restriktionen bei der Wahl 2021, aber weit unter den 79 Prozent im Referendumsjahr 2017. Damals hatte die von Spanien nach dem nicht anerkannten Referendum verordneten Wahlen die FDP-Schwesterpartei »Ciudadanos« (Bürger/Cs) die meisten Stimmen gewonnen, das Unabhängigkeitslager aber die Mehrheit der Sitze. Ciudadanos ist mit 0,7 Prozent und null Sitzen inzwischen bedeutungslos. Deren Wähler kehrten zur postfranquistischen Volkspartei (PP) zurück, die von drei auf 15 Sitze zulegte. Auch zur rechtsradikalen Vox wanderten Cs-Wähler ab, die wieder auf elf Sitze kam.

Der Wahlsieger Illa kann theoretisch die Sitzmehrheit von 68 erreichen. Dafür müsste neben dem Linksbündnis »Comuns/Sumar«, das auf sechs Prozent kam und nur noch sechs statt acht Sitze erhält, auch die ERC für Illa stimmen. Die ERC winkt aber ab, Aragonès kündigte den Gang in die »Opposition« an und kündigte seinen Rückzug an: Er verzichtet auch auf sein Abgeordnetenmandat. Puigdemont zieht noch den spanischen Joker. Er fordert von Illa eine Enthaltung für eine von ihm geführte Regierung. Er verweist auf Madrid, wo seine JxCat eine schwache PSOE gegen den Wahlsieger PP stützt. Sánchez reklamiert von dort ein »historisches Ergebnis« für sich in Katalonien, er könnte darüber aber in Madrid stürzen, wenn Puigdemont will. Wahrscheinlicher ist, dass die Wahlen nach der Verabschiedung der Amnestie wiederholt werden.

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