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Algerien, Libyen und Tunesien vereint gegen Migration
Das zwischen der EU und Tunesien ausgehandelte Flüchtlingsabkommen zeigt erste Wirkung
Erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit traut sich Ibrahim Zekel vorsichtig an die Landstraße nach Tunis. Als sich ein Auto nähert, sucht der Nigerianer Deckung hinter einem Baum. Zusammen mit fünf anderen Migranten ist er seit drei Tagen auf dem Weg zurück in die Hauptstadt und orientiert sich an Straßenschildern. Meistens gehen die Migranten durch Felder oder neben Bahngleisen.
»Die Batterien unserer Telefone sind leer. Wir können mit niemandem kommunizieren und haben nichts mehr zu essen. Aber wir halten uns von Häusern fern. Die Bevölkerung ruft sofort die Polizei, wenn wir auftauchen«, sagt der 28-Jährige ängstlich.
Abends und nachts trifft man auf den Landstraßen Westtunesiens auf viele solcher Gruppen von Schutzsuchenden aus Subsahara-Afrika. Es sind Flüchtlinge und Migranten, die sich in die Hauptstadt oder die Handelsstadt Sfax durchschlagen. Zurück dorthin, wo sie letzte Woche von Polizisten verhaftet und in Busse gesetzt wurden. Ziel der von der Nationalgarde bewachten Konvois waren die Provinzstadt Jendouba, die algerischen Grenze oder das wüstenartige Niemandsland zu Libyen. Trotz der Schläge während der Abschiebung und dem Hunger beklagen Ibrahim Zekel und seine Reisebegleiter ihr Schicksal nicht. »Die meisten unseren Bekannten sind direkt an die Grenze gefahren worden und wurden dort von algerischen Uniformierten abgeführt. Von dort ging es in anderen Busse an die Grenze zum Niger«, sagt der 28-Jährige.
Ibrahim Zekel glaubt noch an seine Chance, in diesem Sommer per Boot Lampedusa zu erreichen. Doch die neuesten von der tunesischen Küstenwache herausgegeben Zahlen sprechen eine andere Sprache: 751 Boote mit 21 545 Menschen an Bord wurden demnach in diesem Jahr vor der Küste Tunesiens abgefangen und zurück an Land gebracht. Seit dem 12. September letzten Jahres, als über 7000 Menschen innerhalb von 24 Stunden von der tunesischen Küste aus Lampedusa erreichten, hat die italienische Premierministerin Giorgia Meloni die nordafrikanischen Länder mehrmals besucht. In der letzten Woche bot sie Feldmarschall Khalifa Haftar im libyschen Bengasi und Premier Abdelhamid Dbaiba in Tripoli Investitionen und vor allem den Status als Partner an, trotz deren ausgelaufenen demokratischen Mandate. Auch zu dem oft distanziert auftretenden Kais Saied pflegt Meloni offenbar ein herzliches Verhältnis.
Es ist auch für viele europäische Diplomaten unklar, was Tunesien aus Rom für den totalen Stopp der Abfangen der Schlepperboote erhält. Mehrere Zehntausend Migranten und Flüchtlinge sitzen nun aber an einem 50 Kilometer langen Küstenstreifen nördlich von Sfax fest. Nach ihren gescheiterten Versuchen, in den Booten nach Italien zu gelangen, und dem im letzten Jahr von der Regierung erlassenen Arbeitsverbot sind sie pleite. Hilfsorganisationen wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Organisation für Migration (IOM) dürfen ihnen nur noch über den tunesischen Roten Halbmond Hilfe leisten.
Vor dem Nationalen Sicherheitsrat wiederholte Präsident Kais Saied letzte Woche seine erstmals im Februar letzten Jahres geäußerten Vorwürfe gegen die nationale und internationale NGO-Szene. Die »Illegalen« aus Subsahara-Afrika seien Teil einer Verschwörung dunkler Mächte, um die arabische Identität Nordafrikas zu schwächen. Jeder der sie ins Land hole, mache sich strafbar, so Saied. Wenige Tage später wurde die Leiterin der Antirassismus-Initiative Mnemti, Saadia Mosbah, verhaftet. Mnemti und andere für die Rechte der Migranten eintretende Organisationen stehen unter dem Generalverdacht, Gelder aus dem Ausland angenommen zu haben um Migration zu fördern. Nun traut sich kaum jemand aus der tunesischen Zivilgesellschaft noch, den Geflüchteten medizinisch oder mit Lebensmitteln zu helfen.
Doch in Kleinstädten wie Jendouba wächst der Widerstand gegen die Regierung. Dort sieht man sich als Opfer der Verteilung der bisher in Tunis und Sfax lebenden Migranten über das ganze Land. »Wir wollen nicht hunderte bettelnde Menschen aus Kriegsgebieten bei uns haben«, sagt Mohammad Ben Moussa, ein Ladenbesitzer in Jendouba. »Nicht, wenn sie ohne staatliche Hilfe sich selbst überlassen wurden. Es ist doch jedem klar, dass dies zu Gewalt und Kriminalität führen muss.« Auch die stetig steigenden Lebenshaltungskosten haben die Stimmung außerhalb der Hauptstadt in den letzten Monaten deutlich verschlechtert. Auf sozialen und staatlichen Medien versuchen die Anhänger von Kais Saied, die verhassten Vertreter der Zivilgesellschaft für die Lage verantwortlich zu machen.
Doch im Mittelpunkt der neuen Strategie gegen den Zustrom von Migranten und Flüchtlingen steht eine Allianz zwischen Algerien, Libyen und Tunesien.
Bei mehreren Treffen der libyschen, algerischen und tunesischen Präsidenten und Innenminister in Tunis will die neue Allianz den Strom der Migranten umkehren.
Westlibysche Sicherheitskräfte unter dem Kommando von Innenminister Emad Al-Trabelsi transportieren nun die aus Tunesien Abgeschobenen an die nigrische Grenze bei Tommo. Dort werden sie nach Aussagen von Betroffenen nach einem 17 Kilometer langen Fußmarsch durch das Niemandsland von der Organisation für Migration (IOM) empfangen und in das fast 900 Kilometer entfernte Agadez gebracht. Die nigrische Stadt im Herzen der Sahara gilt als südliches Drehkreuz verschiedener Migrationsrouten, die seit Anfang letzten Jahres meist im tunesischen Sfax enden. »Libysche Milizen und die algerische Armee gehen seit Jahren mit äußerster Härte gehen die Durchreisenden vor«, sagt Issa Arami aus dem südlibyschen Sebha. Der lokale Menschenrechtsaktivist ist erstaunt, dass es jetzt erstmals seit Beginn des arabischen Frühlings eine Route gen Süden gibt. »Das Geschäftsmodell entlang der Route verlief bisher nur Richtung Mittelmeer. Meist haben junge vernetzte lokale Milizionäre gut verdient. Ob sich in dieser entstaatlichten Region staatliche Institutionen durchsetzen können wird nur durch langfristiges Engagement möglich sein, nicht durch persönliches Deals in Hauptstädten.«
Doch vorerst scheint der Plan aufzugehen. Die Mehrzahl der Rückkehrer kommt über die algerische Grenze in das bereits völlig überlaufene IOM-Aufnahmezentrum in Agadez. Bis zu 10 000 Menschen sind nach Schätzungen von IOM seit Jahresbeginn von der Mittelmeerküste nach Agadez zurückgekehrt. Für viele von ihnen war die ausgedörrte Oasenstadt der Beginn einer lebensbedrohlichen Odyssee. Doch ob die neue Allianz die Migration von Agadez nach Sfax stoppen kann, ist mehr als fraglich. Seit Dezember ist das Geschäft mit den Migranten in Niger wieder legal, die Regierung in Niamey hat die Kooperation mit der EU ausgesetzt und wendet sich China und Moskau zu. Jeden Dienstag um 18 Uhr fahren nun wieder riesige Konvois von Toyota-Pickups in Richtung Mittelmeer.
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