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- »The Fortress«
Eher heiter bis wolkig als heiß und stürmisch
In der ARD-Serie »The Fortress« mauert sich Norwegen in einer Selbstversorgungsautokratie ein
Selbstgenügsamkeit ist alles andere als eine Kerntugend autokratischer Systeme. Die griechische Übersetzung allerdings fasziniert viele davon spätestens, seit Freihandel und Marktwirtschaft die Welt miteinander vernetzen: Autarkie. Ökonomische Unabhängigkeit, so die herrschende Hoffnung, hält nicht nur importierte Waren und Dienstleistungen vor der nationalen Haustür, sondern auch Eindringlinge, Krisen, »fremdes Zeug« eben. Mit dem Argument macht sogar das entzückende Norwegen dicht. Schon heute, indem es kaum noch Flüchtlinge ins Land lässt. 2037 dann komplett.
Der Klimawandel wütet, die Weltordnung wankt, Chaos und Verderben überall. Da hatte die populistische Partei Unser Weg längst beschlossen, ihr liberales Land zur Festung zu machen. Und so errichtet es in der ARD-Serie »The Fortress« eine Grenzmauer, die selbst für benachbarte Schweden unüberwindbar ist, wenn sie davor massenhaft um Asyl betteln.
Klingt surreal? Ist tatsächlich schwer zu glauben, aber keinesfalls illusorisch. Zumindest, wie es sich Linn-Jeanethe Kyed und John Kåre Råke erdacht haben. Jahrzehntelang gemästet durch fossile Energieträger wie Öl und Gas, mag der angebliche Musterstaat die Erde maßgeblich aufgeheizt haben; jetzt finanzieren seine Petrokronen ein dichtes Netz aus Gewächshäusern und Aquakulturen, das zumindest im Lebensmittelsektor Einfuhren überflüssig macht. Sofern alles läuft.
Ausgerechnet im Wahlkampf aber bedroht ein Lachssterben die Hauptproteinquelle und somit das Übereinkommen der autoritären Demokratie unter Ministerpräsident Heyerdahl (Tobias Santelmann): Versorgungssicherheit gegen Polizeistaatsmethoden. Während die Regierung eingeschleppte Bakterien verantwortlich macht, vermutet die Wissenschaftlerin Esther Winter (Selome Emnetu) ein hausgemachtes Problem und sticht, wie man so schön sagt: in ein Wespennest.
Der Krankheitserreger scheint nämlich nicht nur auf Menschen überzuspringen; seine Existenz könnte auch mit Experimenten eines großen Staatskonzerns zu tun haben und damit Heyerdahls Wiederwahl gefährden. Eine Gefahr, die seine Strippenzieherin Ingvild Kamfjord (Rebecca Nystabakk) und ihre Assistentin Ariel Movinkel (Eili Harboe) mit dem Waffenarsenal handelsüblicher Autokratien angehen: Statt der Botschaft werden die Boten bekämpft und Ersatzschuldige gesucht, gefunden, stigmatisiert.
Auch hier wie so oft: Flüchtlinge. Etwa in Gestalt des (britischen!) Arbeitsmigranten Charlie (Russell Tovey), der sich als Erntehelfer den norwegischen Pass hart erarbeiten will, während seine Frau Uma (Nina Yndis) versucht, illegal ins gelobte Land zu gelangen. Fünf Stunden lang skizziert das Regie-Duo Cecilie Mosli und Mikkel Brænne Sandemose das langsame Absterben einer Demokratie auf dem dornigen Weg zur Diktatur, ohne ständig auf die Radikalitätspauke zu hauen.
Der paranoide Überwachungsstaat wehrt sich bisweilen zwar mit brutaler Härte gegen innere wie äußere Gegner, versucht aber ständig, den Schein ökosozialer Liberalität zum Wohle der Einheimischen zu suggerieren. Wenn ein Grenzoffizier im Aufnahmezentrum sein Land zum Besten der Welt erklärt, weil es Regeln habe, aber schneidend hinzufügt, »brechen Sie diese Regeln, dann müssen Sie unser Land verlassen«, klingt das martialischer als jeder paramilitärische Polizeieinsatz.
So bildgewaltig und plausibel das malerische Land der Fjorde zur Festung hochgerüstet wird, überrascht es zwar ein bisschen, dass Norwegens Mauer nicht nur die Elenden einst florierender Zivilgesellschaften wie etwa aus Großbritannien vor dem Stacheldraht hält, sondern auch den Klimawandel. Das Wetter jedenfalls ist eher heiter bis wolkig als heiß und stürmisch. Autarkie heißt nicht, keine deutschen Autos oder chinesischen Smartphones zu haben. Und europäische Schlepper verfügen über noch mehr Empathie für ihre Passagiere als Komfort an Bord absolut seetüchtiger Schiffe, was ähnlich bizarr ist wie die misogyne Synchronisation selbstbewusster Frauen nach dem Kindchenschema.
Doch darüber hinaus ist die Darstellung der Abschottungsvorgänge leider denkbar und in seiner Mischung aus der deutschen Inseldiktatur-Dystopie »Helgoland 513« mit Elementen aus »The Last of Us« trotz einiger Thriller-Elemente zuviel dennoch stets fesselnd. »Wir hätten auch eine Mauer um die Nordsee errichten sollen«, sagt Esthers Nachbar, als ihrer Heimatstadt Bergen der komplette Lockdown bevorsteht. »Dann wären wir nicht infiziert worden.« So funktionieren populistisch gesteuerte Diskurse illiberaler Demokratien, so funktioniert auch »The Fortress«.
Kurzum: ein Streifen, klischeehaft und etwas zu sonnig, aber erschreckend plausibel.
»The Fortress«, 7-mal 45 Minuten, komplett in der ARD-Mediathek
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