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Senioren in Brandenburg: Junges Gemüse trifft reifes Obst
Plenum »Gesund älter werden« befasst sich mit Strategien gegen Einsamkeit
Am Mittwoch tritt im großen Saal des Potsdam-Museums das fünfte Plenum des Bündnisses »Gesund älter werden« zusammen, was es alle drei Jahre tut. Es berät diesmal über das Spezialthema »Teilhabechancen im Alter verbessern – Einsamkeit verhindern«. Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) führt ein Büchlein, in dem sie Aufgaben notiert, die sie ihren Nachfolgern im Amt hinterlässt, wenn sie nach der Landtagswahl im September aufhört. Das Thema »Einsamkeit im Alter« ist dort vermerkt, versichert sie. Dies bleibe eine Aufgabe für künftige Regierungen.
Es ist längst kein Geheimnis mehr, was gesundes Altern ausmachen würde: Neben Bedürfnisbefriedigung durch gutes Essen, medizinische Versorgung und angemessene Wohnbedingungen im vertrauten Umfeld sind es vor allem das Erleben von Gemeinschaft, das älteren Menschen ihre höheren Lebensjahre lebenswert gestalten würde. Daran hapert es aber in Brandenburg. Ministerin Nonnemacher blickt am Mittwoch auf die Corona-Jahre zurück, als vor allem alte Menschen unter der erzwungenen Einsamkeit litten. Das habe damals zu wenig Beachtung gefunden und wirke bis heute nach.
Die Verwerfungen der Nachwendejahre haben Generationen junger Brandenburger nach Westen abwandern lassen. Noch nie war das zahlenmäßige Verhältnis weniger Junger zu vielen Alten so problematisch wie heute. Jeder vierte Brandenburger ist über 65 Jahre alt. In einigen Regionen erreichen die Senioren schon einen Bevölkerungsanteil von 40 Prozent. Die Überalterung der Gesellschaft setzt sich fort und ist sogar »stark steigend«, wie Nonnemacher sagt. Brandenburg ist das Bundesland mit der im Schnitt viertältesten Bevölkerung.
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Während viele Rentner und Pensionäre heute durchaus selbstbestimmt leben können, müssen laut Ministerin für jene Menschen Strategien entwickelt werden, die aufgrund ihrer sozialen Lage, ihrer Krankheiten oder allgemeiner
Hinfälligkeit aus eigener Kraft dazu nicht mehr fähig sind. Nonnemacher verweist auf die kürzlich überarbeiteten »seniorenpolitischen Leitlinien« der Landesregierung. Unter anderem sehen sie den altersgerechten Umbau der Wohnungen vor, die Förderung der Mobilität älterer Menschen vor allem im ländlichen Raum und die Verbesserung ihrer digitalen Kompetenzen. Denn der Zugang zu verschiedenen Leistungen ist heutzutage nur noch demjenigen möglich, der sich mit Tablet, Smartphone oder Computer auskennt. Wer an der Technik scheitert, wird von immer mehr Lebensbereichen ausgeschlossen.
»Das kann man als Verarmung oder als das Gegenteil beschreiben, aber wir
müssen uns dem stellen«, sagt Nonnemacher. Inzwischen seien an 26 Standorten Beratungszentren aufgebaut, wo Senioren geholfen wird. Immer wieder sei dort die Einsamkeit ein Thema, also das »schmerzliche Gefühl, weniger Kontakte zu anderen Menschen als gewünscht« zu haben. Unter Einsamkeit leiden in bestürzend hohem Maße aber auch 18- bis 29-Jährige. Von denen habe man doch angenommen, dass sie im Leben stehen und von Einsamkeit zuallerletzt bedroht sind, sagt die Ministerin. Eine Strategie gegen Einsamkeit müsse also einen generationsübergreifenden Ansatz wählen.
Vorgestellt werden in Potsdam lokale Initiativen gegen die um sich greifende Vereinsamung. »Junges Gemüse trifft reifes Obst« lautet das launige Motto einer Initiative, bei der Kindergartenkinder aus Lychen gemeinsam mit Bewohnern des DRK-Altenpflegeheims in Templin kochen, backen und braten. »Lebensfreude und Unbekümmertheit der Kinder trifft auf Weisheit und Lebenserfahrung der betagten Menschen«, heißt es dazu. Einmal im Monat treffen sich Einsame und Alleinstehende zum »Milower Männerfrühstück«. Für fünf Euro gibt es dort ein deftiges Frühstück und Gespräche über Fußball, Wetter und die alten Zeiten. In der Begegnungsstätte der Volkssolidarität in Eisenhüttenstadt treffen sich jeden Montag etwa 20 Senioren zur Sitzgymnastik. Die über 80-Jährigen trainieren dabei Kraft, Beweglichkeit und Koordination.
Dem Landesseniorenbeauftragten Norman Asmus zufolge sind »die Alten« keineswegs eine homogene Gruppe. Noch nie waren sie so fit und mobil, sagte Asmus von den zwischen 1957 und 1964 Geborenen, die jetzt ins Rentenalter kommen. Es gibt aber auch eine wachsende Zahl von Senioren, die Pflege und Betreuung benötigen. In der Volkssolidarität haben in der DDR »junge Alte« die 20 Jahre älteren Rentner betreut und konnten darauf rechnen, später selbst Zuwendung zu erhalten, wenn sie derer bedurften. Dieser Zyklus funktioniert so aber immer weniger.
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