Rückschlag für DFB: Brasilien feiert 2027 Fußball-WM der Frauen

Die Bewerbung von Deutschland, Belgien und den Niederlanden scheitert nicht nur an sportpolitischen Ränkespielen

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Gianni Infantino den Umschlag in den Händen hielt und vor der Präsentation eines goldenen Zettels süffisant lächelte, war zu erahnen, dass die wichtigste Abstimmung auf dem 74. Fifa-Kongress in Bangkok ganz im Sinne seines allmächtigen Präsidenten ausgegangen war. Nicht die missliebigen Europäer mit der gemeinschaftlichen Bewerbung aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland, sondern Brasilien wurde am Freitag zum Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2027 bestimmt. In der zehnten Auflage werden die Weltmeisterinnen erstmals in Südamerika gekürt. Brasilien gewann mit 119:78 Stimmen gegenüber der unter dem Slogan »BNG« zusammengefassten Bewerbung aus dem Dreiländereck.

Für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und seinem im Council des Weltverbandes sitzenden Präsidenten Bernd Neuendorf ist das ein herber Rückschlag – weil er eine zweite Ausrichtung nach der Frauen-WM im Jahr 2011 unrealistisch macht. Denn es zeichnet sich ab, dass 2031 entweder die wirtschaftlich potente Doppelbewerbung USA und Mexiko oder Südafrika zum Zuge kommen. Beide hatten diesmal ihre Offerte zurückgezogen.

Über einen neuen Anlauf wollte Neuendorf dann auch nicht sprechen: »Das werden wir in Ruhe beurteilen und bewerten.« Vorerst blieb dem DFB nichts anderes übrig, als »die Qualität der Bewerbung des brasilianischen Verbandes (CBF) anzuerkennen« und Glückwünsche auszurichten. Konterkariert ist die törichte Ansage von Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch, die kürzlich im Deutschlandfunk noch von »100 sicheren Stimmen« fabulierte.

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»Fußball ist ein Wettbewerb, dem wir uns immer wieder stellen. Dazu gehört, dass man nicht immer als Sieger vom Platz geht«, sagte DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich. Dass die von ihr mit viel Herzblut vorangetriebene Kandidatur bei der offenen Abstimmung so deutlich durchfiel, hat auch einen sportpolitischen Hintergrund. Insbesondere Infantino soll Südamerikas Konföderation noch etwas schuldig gewesen sein, weil bei der auf drei Kontinente verteilten Männer-Weltmeisterschaft 2030 dort nur drei Spiele stattfinden. Vermutet wird, dass der Impresario mit der asiatischen Konföderation und deren zunehmenden Einfluss aus Saudi-Arabien einen Schachzug inszeniert hat, gerade den Deutschen für ihre öffentliche Katar-Kritik eine schallende Ohrfeige zu verpassen.

Als Ballast wirkten zudem die »rechtlichen Risiken«, weil weder Stadionbetreiber, Städte noch Regierungen im Herzen von Europa bereit waren, die inzwischen auch bei einer Frauen-Endrunde eingeforderten weitreichenden Hoheitsrechte zu garantieren. Heraus kam letztlich eine bessere Note im Evaluierungsreport für Brasilien, was der Versammlung vor der Abstimmung noch einmal explizit dargelegt wurde.

CBF-Präsident Ednaldo Rodrigues vergoss nach dem elektronischen Votum Tränen der Rührung, als er von einem »Sieg für den Frauenfußball« sprach. Nun würde man erst einmal »zwei Tage lang feiern«. Angeblich hätten bereits 69 Millionen Landsleute den brasilianischen Fußballerinnen bei der Welmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland zugeschaut, wo Marta und Co. genau wie die DFB-Frauen sich in der Vorrunde blamierten. Dennoch würde der Frauenfußball nirgendwo in Südamerika so stark wachsen wie im vielfältigen Land am Zuckerhut, wo mittlerweile 840 000 Frauen und Mädchen Fußball spielen sollen. Fünf Ministerinnen versprachen im Bewerbungsvideo die volle Unterstützung. 215 Millionen Einwohner und davon fast die Hälfte unter 35 Jahren bieten riesige Chancen – und für Diversität steht dieses Volk ohnehin.

DFB-Chef Neuendorf und Sportdirektorin Nia Künzer hatten in ihren Reden im Queen Sirikit National Convention Center vergeblich für das »kompakteste Turnier« aller Zeiten geworben. Auch DFB-Kapitänin Alexandra Popp stellte per Videobotschaft heraus, dass die kurzen Reisezeiten in Bus oder Bahn ja auch für die Spielerinnen günstig seien. Doch mit Nachhaltigkeit hat bei der Fifa noch niemand gepunktet. Analog zur Männer-WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko sind auch bei der vermutlich vom 24. Juni bis 25. Juli 2027 terminierten Frauen-WM riesige Distanzen in unterschiedlichen Zeit- und Klimazonen zurückzulegen. Gespielt wird nämlich im heißen Norden (Recife, Salvador) wie im kühlen Süden (Porto Alegre), in der Hauptstadt (Brasilia), in den Metropolen (Rio de Janeiro und São Paulo) oder im Amazonasbecken (Manaus).

Ungeachtet aller Machtspielchen im Fifa-Zirkel haben die Europäer aber auch einige handwerkliche Fehler begangen, die selbstkritisch ausgearbeitet gehören. Auf der einen Seite die kommerziell erfolgreichste Frauen-Weltmeisterschaft aller Zeiten zu versprechen, aber dann in den Niederlanden und vor allem in Belgien deutlich zu kleine Spielstätten zu benennen, das passt nicht zusammen. »Sieben der Stadien scheinen die Anforderungen an die Sitzplatzkapazität in Bezug auf die Spielkategorien, für die sie vorgesehen sind, nicht zu erfüllen«, schrieben die Fifa-Inspekteure im Evaluierungsbericht daher zu Recht.

An den Stadien in Dortmund, Düsseldorf, Köln und Gelsenkirchen gab es nichts auszusetzen, wohl aber an Arenen in Brüssel, Charleroi, Gent und Genk, die jeweils nur knapp über 20 000 Plätze haben. Brasilien hingegen bietet in seinen allesamt bereits bei der Männer-WM 2014 genutzten Stadien eine durchschnittliche Kapazität für 54 296 Besucher. Im Kleingedruckten ist allerdings die Option benannt, möglicherweise einzelne Stadionbereiche gar nicht zu öffnen, wenn nicht genug Tickets verkauft werden. Aber noch hat Brasilien ja drei Jahre Zeit, die Menschen auch für WM-Spiele wie Dänemark gegen Haiti oder Marokko gegen Südkorea zu begeistern, wie das im vergangenen Jahr in Australien und Neuseeland vorbildlich gelang.

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