Europa League: Leverkusen will gegen Bergamo den nächsten Titel

Bayer ist in dieser Saison noch umgeschlagen, weil der Kader einem Kunstwerk gleicht

  • Daniel Theweleit, Dublin
  • Lesedauer: 4 Min.
Ungeschlagen zum Titel: Nach der Meisterschale wollen Trainer Xabi Alonso und seine Leverkusener die nächste Tophäe holen.
Ungeschlagen zum Titel: Nach der Meisterschale wollen Trainer Xabi Alonso und seine Leverkusener die nächste Tophäe holen.

Als vergangene Woche in Leverkusen der von der Uefa für Europapokalfinalisten vorgeschriebene Open Media Day stattfand, wurde Patrik Schick mit einer Frage konfrontiert, die derzeit oft diskutiert wird. Ob er es für möglich halte, dass Bayer Leverkusen nicht nur die dominanteste Mannschaft der Bundesliga sei, sondern sogar das stärkste Team in ganz Europa? Der Stürmer musste nicht lange nachdenken: »Weil wir nicht in der Champions League spielen, ist es schwierig, das so zu beurteilen, aber ich würde sagen: Im Moment sind wir das Team mit der besten Form in Europa.«

Dem dürften auch die Vertreter von Atalanta Bergamo zustimmen, die an diesem Mittwoch im Finale der Europa League versuchen werden, die Serie von mittlerweile 51 ungeschlagenen Spielen der Werkself zu beenden. Die Sache mit der »Form« müsste die Italiener allerdings noch etwas eingehender beschäftigen, denn es geht dabei nicht alleine um die klassische Bedeutung dieses Begriffs im Sport. Jenseits der gegenwärtigen Verfassung dieser Mannschaft ist dieser Kader als Kunstwerk erkennbar geworden – geformt nicht aus dem hochwertigsten Material, das der Markt zu bieten hat, aber mit der Brillanz eines Virtuosen.

Die Bedeutung des Trainers Xabi Alonso ist oft beschrieben worden, auch die Schlüsselspieler Granit Xhaka, Jonathan Tah oder Florian Wirtz wurden ausführlich durchleuchtet. Der Mann dahinter hält sich aber auch jetzt, wo es um die Trophäen geht, im Hintergrund. Dabei hat Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes ohne Zweifel das faszinierendste Bundesligaensemble zusammengestellt, das es seit vielen Jahren gab. Ein Werk, das man nun ein Jahr lang betrachten konnte und das immer wieder neue Facetten zeigt.

Irgendwann in dieser Saison stellte Xabi Alonso zufrieden fest, dass er »eine Mannschaft mit Seele« trainiert, weil die Spieler im vorgegebenen System sich exakt so ergänzen, dass ihre Stärken aufleuchten und ihre Schwächen unsichtbar bleiben. Und zwar dauerhaft durch alle Phasen und Startelf-Umbauten hindurch.

Wichtig war dabei die Transferarbeit des vergangenen Sommers, weil mit Victor Boniface, Jonas Hofmann, Granit Xhaka und Alejandro Grimaldo Spieler verpflichtet wurden, die das Team auf ein neues Niveau gehoben haben. Aber die vollständige Qualität dieses feinsinnig gewebten Kaders wurde erst im Laufe der Zeit sichtbar – als Boniface verletzt war, als es keine A-Elf mehr gab, als Alonso rotierte und die Mannschaft trotzdem immer besser wurde. Das sei »in der heutigen Zeit mit den vielen Spielen, die für die großen Vereine im Verlauf einer Saison anstehen, nicht zu unterschätzen«, hat Rudi Völler, Vorgänger von Rolfes, neulich gesagt.

Das Defensivsystem mit der Dreierkette ist perfekt auf die Stärken der Abwehrspieler zugeschnitten: Jonathan Tah ist der umsichtige Organisator, Edmond Tapsoba ist schnell und stark im Spielaufbau, Odilon Kossonou kann kleine wendige Gegenspieler kontrollieren, obwohl er selbst eher groß und robust ist. Die Doppelsechs mit Xhaka und zunächst Ezequiel Palacios harmonierte in der Hinrunde prächtig und wurde sogar noch besser, als sich Palacios verletzte und Robert Andrich regelmäßig zum Einsatz kam. Und Florian Wirtz spielt ohnehin in einer ganz anderen Welt.

Besonders gut sichtbar wird die Faszinationskraft dieses Kaders an den Rollen der Flügelspieler Grimaldo und Jeremie Frimpong. Letzterer kann seinen offensiven Überschwang ausleben, weil dahinter eine halbe Mannschaft bereitsteht, die Löcher zu füllen. Grimaldo hat unterdessen diesen besonderen linken Fuß, der flanken und fabelhaft aufs Tor schießen kann. Und wenn einer der beiden Flügelspieler fehlt, tauchen eben Nathan Tella oder Josip Stanisic auf, die die Rollen auf eigene Art und Weise aber ganz im bekannten Geist des Kollektivs übernehmen können.

Es gibt zahlreiche weitere Details, die ähnlich funktionieren, selbst Torwart Lukas Hradecky spielt nicht immer, weil in den Pokalwettbewerben Matej Kovar Spielzeit erhält, womöglich sogar im Finale gegen Bergamo. »Ein Kader wird erfolgreich, wenn es ganz viele individuelle Erfolgsgeschichten gibt«, erklärte Rolfes jüngst. »Das Gefühl muss beim Spieler vorherrschen: Ich gebe etwas, aber ich bekomme auch ganz viel zurück.« Selten hat dieses einfache Prinzip besser funktioniert als in diesem Leverkusener Erfolgsumfeld.

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