»Wo dein sanfter Flügel weilt«

Über Drogenkonsum ist schon viel zu viel geschrieben worden, aber ...

  • Raul Zelik
  • Lesedauer: 2 Min.

Kollege Max gibt zu bedenken, dass Drogenerfahrungen ein abgelutschter Drop, ja fast schon Trivial-Genre seien. Während sich Jean-Paul Sartre nach seinem Meskalin-Konsum noch auf einige wenige Notizen beschränkte, machte Aldous Huxley aus dem gleichen Trip in den 1950er Jahren bereits ein Buch. Der legendäre Timothy Leary verwandelte LSD in ein ganzes Geschäftsmodell, und bei Walter Benjamin reichte ein bisschen Kiffen für 152 Seiten Text.

Wenn ich mich an dieser Stelle dennoch über mein erstes Drogenexperiment ausbreite, dann aus folgenden Gründen: Erstens ist meine Erfahrung insofern etwas Besonderes, als ich gefühlt der letzte Berliner bin, der es mit den Drogen versucht. Zweitens habe ich es auf medizinischen Rat hin getan, denn die Therapeutin, bei der ich vor einigen Jahren vorstellig wurde, riet bereits nach der dritten Sitzung entnervt: »Sie sind zu kontrolliert! Lassen Sie los! Nehmen Sie Drogen! Probieren Sie was aus!« Und drittens schließlich gibt es zwischen dem sozialistischen Anspruch unseres Blatts und der von mir konsumierten Substanz eine Verbindung: Als ausgemachter Aggressions- und Hemmungslöser sorgt 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin für einen unbefangenen Umgang mit den Mitmenschen und gilt daher als kommunistischstes aller zirkulierenden Rauschmittel.

Raul Zelik
Raul Zelik

Was nun aber kann ich vom vergangenen Wochenende berichten? Zunächst einmal, dass es wahr ist: Unter MDMA scheint der Kommunismus zum Greifen nah. Die Gehemmtheit im Erstkontakt verfliegt, Unbekannte werden, wie in Friedrich Schillers »An die Freude«, zu Geschwistern, und weil dabei alles eher asexuell bleibt, spielen Konkurrenz und Bewertung auch keine größere Rolle in der neuen Zugewandtheit. In diesem Sinne ist MDMA die richtige Droge für Leninist*innen, die von der Deckungsgleichheit gesellschaftlicher und individueller Bedürfnisse überzeugt sind. Gleichzeitig ist die Wirkung des Amphetamins aber auch insofern »gramscianisch«, als MDMA verbindend wirkt: Selbst Personen, deren Positionen ich im rauschlosen Zustand für grundfalsch, ja brandgefährlich halte, konnte ich plötzlich wieder unbefangen begegnen. Stünden wir öfter unter Methylamphetamin – wir glaubten ans Kollektiv und könnten über Differenzen versöhnlich hinwegsehen.

Gewiss, allein die harmonische Verbundenheit macht noch keinen Kommunismus. Schillers »An die Freude« hat es in ihrer hippiesken Spätfassung »Alle Menschen werden Brüder / Wo dein sanfter Flügel weilt« (in der klassenbewussten Ursprungsversion sollten »Bettler Fürstenbrüder werden«) bekanntlich bis zur EU-Hymne gebracht. Das sollte uns eine Warnung sein. Aber als Erfahrung, wie sich das radikal Andere anfühlen könnte, war das vergangene Wochenende gar nicht so schlecht.

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