Massentourismus: Sonne, Strand und Stress

Gewinner und Verlierer der boomenden Reisebranche

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.
Aufgrund steigender Preise regt sich in Tourismushochburgen wie hier auf den Kanaren Widerstand gegen den Massentourismus.
Aufgrund steigender Preise regt sich in Tourismushochburgen wie hier auf den Kanaren Widerstand gegen den Massentourismus.

Etwa 15 Millionen Urlauber werden in diesem Jahr die Kanaren bevölkern. Davon profitieren vorwiegend Reiseveranstalter, Immobilieneigentümer und Restaurantbesitzer. Auf Teneriffa, Gran Canaria und an vielen anderen Orten protestierten kürzlich Tausende Einheimische gegen den Ansturm der Touristen. Das größte Problem: Die Mietpreise steigen in der zweitärmsten Region Spaniens seit Jahren enorm an. Und viele Eigentümer vermieten ihre Wohnungen lieber an Touristen als an Einheimische. Für Ärger sorgen außerdem die rasant steigenden Preise für Lebensmittel, Lärm, Schmutz und Kriminalität sowie die mit dem Massentourismus verbundenen Umweltbelastungen. Ähnliche Klagen sind aus anderen populären Urlaubsregionen in aller Welt zu vernehmen – von Sylt über Venedig bis nach Bangkok.

Das hält die deutsche Tourismusindustrie nicht davon ab, nach der Corona-Flaute nun wieder mit voller Kraft voraus zu fahren. Über die Pandemie-Jahre hatten zwar Hunderte Reisebüros ihre Türen für immer geschlossen. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Doch im internationalen Vergleich ist die deutsche Reisebürodichte weiterhin hoch. Damit dies so bleibt, modernisiert die Nummer eins, die Dertour-Gruppe aus dem Rewe-Konzern, ihre Niederlassungen. 1400 Reisebüros zählen zur Gruppe – 450 eigene Filialen, 350 Franchisebetriebe und an die 700 Niederlassungen, die sich Dertour angeschlossen haben. Darunter auch Vermittler ohne Dertour-Schriftzug, wie die Anbieter in den Galeria-Kaufhäusern.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Die deutsche Tourismusbranche besteht freilich nicht allein aus Reisebüros. Von der Reinigungskraft bis zum Topmanager steht der Geschäftszweig für rund 3 Millionen Arbeitsplätze. Viele davon bieten lediglich Mindestlohn und Saisonarbeit. Ein Dauerbrenner ist auch Schwarzarbeit, die, wenn man mit Gastronomen spricht, bei der Konkurrenz weit verbreitet ist. Zu regulären Bedingungen ließen sich viele Stellen heute nicht mehr besetzen.

Der Rückblick auf das Jahr 2023 zeigt eindrucksvoll: Die Ausgaben für Reisen und Urlaub sind auf Rekordhöhe und fast die Hälfte des Umsatzes entfällt auf vergleichsweise teure Pauschalreisen: Die Reiseausgaben, gemeint sind vorab gebuchte Leistungen, stiegen laut Deutschem Reiseverband (DRV) um 27 Prozent auf 79 Milliarden Euro. Sie liegen damit deutlich über dem Vor-Corona-Rekord im Jahr 2019. Und trotz Internet, über die Hälfte der organisierten Reisen verkaufen Reisebüros. Das sind vorrangig teure Touren, von der Fernreise nach Asien bis zur maritimen Expedition hinter den Polarkreis.

Auch übliche Kreuzfahrten boomen wieder: 3,7 Millionen Reisen auf Flüssen und Meeren fanden im vergangenen Jahr statt, genau wie 2019. Dort – wie an Land – erwartet die Branche in diesem Jahr eine weitere Steigerung der Umsatzzahlen. Die Reiseveranstalter trotzen damit der instabilen Lage vor allem im Roten Meer. Zahlreiche Reedereien entsenden alternativ ihre Schiffe nach Alaska oder in die Karibik – in Kombination mit Sommerrabatten.

Wie es an Land in den überfüllten Urlaub-Hotspots Gewinner und Verlierer gibt, zeigt sich auch gerade im Kreuzfahrtgeschäft eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Eine Woche Mittelmeer lässt sich bei der Rostocker AIDA für etwa 1000 Euro buchen, während Reisende für einen entsprechenden Törn auf einer luxuriösen Ritz-Carlton-Jacht um die 10 000 Euro hinblättern.

Einen starken Urlaubssommer erwartet auch die Lufthansa-Tochtergesellschaft Eurowings. Über vierhundert Mal steuern deren Flieger allein Mallorca an – pro Woche. Zukünftig will der führende Ferienflieger aber nicht nur Pauschalreisende von Alltours, TUI oder Dertour an ferne Strände transportieren. Eurowings wünscht ein größeres Stück vom Kuchen und will selbst zum Anbieter von Pauschalreisen werden. Es könnte die Branche durcheinanderwirbeln.

Zugleich ist es nicht ohne Risiko, denn Eurowings tritt damit in Konkurrenz um eigene Kunden. »Eurowings Holidays«, die neue Veranstaltermarke des Unternehmens, soll Kunden, die heute noch ihren Urlaub individuell buchen, für Pauschalreisen gewinnen, meldet der Branchendienst »FVW«. Dafür arbeitet die Airline nun mit Dertour und deren 400 Reisebüros zusammen. Womit sich der Kreis schließt.

Letztlich heißt das Zauberwort: Wachstum. Wächst die Branche wie erwartet insgesamt, können alle Akteure zulegen. Harte Verteilungskämpfe und Preisschlachten bleiben dann aus. Zunächst versprechen sich Reiseveranstalter und Fluglinien aber eine Sonderkonjunktur im Juni und Juli durch die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Das mag die Kanarischen Inseln zeitweilig ein wenig vom Massentourismus entlasten.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -