Vertrauen in die Justiz in Gefahr

Peter Beckmann über politische Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaften

  • Peter Beckmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Viele Staatsanwaltschaften klagen über extremen Personalmangel. Jüngstes Beispiel ist die Staatsanwaltschaft Hannover: Laut Behördenleitung müssten die Mitarbeitenden rund 65 Stunden pro Woche arbeiten, um alle Fälle bearbeiten zu können. Das ist unzumutbar und gefährdet die Gesundheit der Mitarbeitenden. Solche Überlastungen bergen die Gefahr, dass Verfahren oberflächlich oder fehlerhaft bearbeitet werden, sich erheblich verzögern oder schlicht auf unbestimmte Zeit liegenbleiben. Oder sie drohen, nach dem Opportunitätsprinzip eingestellt zu werden, auch wenn dies nicht opportun ist, insbesondere bei schwierigen oder umfangreichen Verfahren mit engagierter Verteidigung.

Genau diese Gefahr benannte die Ermittlerin in Steuerstrafsachen Anne Brorhilker, bekannt durch ihre Ermittlungen zum Cum-Ex-Betrug, zu ihrem Abschied aus der Justiz mit den alarmierenden Sätzen: »Da geht es oft um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, und die treffen auf eine schwach aufgestellte Justiz.« Und: »Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.« Da verwundert es nicht, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie und den Rechtsstaat sinkt.

Doch auch die Politik kann den Ausgang eines Verfahrens beeinflussen. Die Justizminister*innen haben ein Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften und können sie beispielsweise dazu auffordern, Ermittlungen aufzunehmen oder einzustellen. Dieses Weisungsrecht ist Teil einer Justizstruktur, die noch aus der Kaiserzeit stammt und sich in der NS-Zeit und auch lange Zeit danach bei der (Nicht-)Aufarbeitung des NS-Unrechts schon nicht bewährt hat. Diese Problematik hat auch der Europäische Gerichtshof erkannt und den deutschen Staatsanwaltschaften untersagt, europäische Haftbefehle auszustellen, eben mangels Gewähr für ihre Unabhängigkeit von der Exekutive.

Peter Beckmann

Peter Beckmann ist Mitglied der Neuen Richter*innenvereinigung - einem Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten.

Beispielsweise fällt der VW-Dieselskandal in die Zuständigkeit einer niedersächsischen Staatsanwaltschaft, die gegenüber dem Justizministerium weisungsabhängig ist. Gleichzeitig sitzen Vertreter*innen derselben Landesregierung im VW-Aufsichtsrat. Ein weiteres Beispiel ist eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Osnabrück mitten im vergangenen Bundestagswahlkampf. Es ging um einen Durchsuchungsbeschluss gegen das Bundesjustizministerium. Das Verwaltungsgericht Osnabrück rügte die falsche Berichterstattung in dieser Mitteilung und formulierte deutlich, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft geeignet gewesen sei, die Funktionsfähigkeit des Ministeriums und ihren Respekt vor anderen staatlichen Institutionen in Zweifel zu ziehen. Pikant war, dass das Bundesjustizministerium seinerzeit von der SPD geführt wurde, während eine CDU-Landesjustizministerin gegenüber der Staatsanwaltschaft Osnabrück weisungsbefugt war.

Unabhängig davon, ob es bei diesen Beispielen jemals Weisungen gab oder nicht, gefährdet schon allein der Anschein einer möglichen politischen Beeinflussung der Staatsanwaltschaft das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -