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EM-Organisatoren warnen: »Fußball heilt auch nicht alles«
Die Geschäftsführer der Euro 2024 GmbH, Markus Stenger und Andreas Schär, hoffen auf gute Stimmung im Land, erwarten aber kein Sommermärchen 2.0
Die Heim-WM 2006 ist bei den meisten Deutschen noch immer als Sommermärchen abgespeichert. Wird die Fußball-EM 2024 das wiederholen können?
Markus Stenger: Beim Begriff Märchen bin ich vorsichtig. Ich glaube, dass an dieser Stelle eine historische Verklärung mitschwingt. Gleichzeitig würde ich mir natürlich wünschen, dass wir eine ähnliche Stimmung im Land erzeugen. Wir haben eine wahnsinnige Chance, in den kommenden Wochen unfassbar viele Begegnungen zu erleben. Wir sehen bei den Volunteers, wie viele Menschen quer durch alle Gesellschaftsschichten sich bei diesem Turnier engagieren wollen. Wir spüren schon, dass die Leute Bock haben. Ob wir danach aber sagen können, die EM 2024 hat das Land verändert? Das würde ich mir nie anmaßen.
Hat die WM 2006 das Deutschland-Bild eines Schweizers verändert?
Andreas Schär: Auf jeden Fall. Deutschland kam danach in der Wahrnehmung anders rüber, positiver. 2006 wurde ein Teppich der Willkommenskultur ausgelegt. Diese Offenheit kannten wir von euch Deutschen so nicht. Danach kam die EM 2008 in Österreich und der Schweiz und wir haben alles, wirklich alles abgekupfert, was in Deutschland gut gelaufen war (lacht). Allen voran das Public Viewing.
Markus Stenger (48) war beim Deutschen Fußball-Bund zunächst Abteilungsleiter Spielbetrieb, leitete ab 2017 die deutsche EM-Bewerbung und wurde nach dem Zuschlag 2019 Geschäftsführer der Euro GmbH. Nach der EM kehrt er als Direktor Amateurfußball zum DFB zurück.
Der aktuelle Turnierdirektor Philipp Lahm will ein neues Wir-Gefühl in Deutschland und Europa erzeugen. Ist das in der derzeitigen Situation nicht zu hoch gegriffen?
Stenger: Natürlich ist das ein hehres Ziel, aber wir müssen einen höheren Anspruch haben, als nur ein toll organisiertes Turnier hinzubekommen. Ob der Fußball allerdings wirklich alles heilen kann, was in dieser Welt verrutscht ist, bezweifle ich.
Schär: Wir müssen auch sehen, dass die Corona-Zeit noch nicht so lange her ist. Und 2006 gab es noch keine Smartphones, noch kein Social-Media-Netzwerk – das Internet kam damals erst langsam in Gang. Insofern werden Effekte heutzutage in ganz anderen Welten erzeugt.
Viele beschleicht ein ungutes Gefühl ob der weltpolitischen Lage. Ein Anschlag auf ein Fußballturnier im Herzen Europas: Droht dieses Szenario Ihren Informationen nach dieser EM?
Stenger: Die Situation haben wir nicht exklusiv im Fußball. Das betrifft nicht nur jede große Sportveranstaltung, sondern auch jedes Stadtfest. Natürlich muss man dieses Szenario bedenken, deshalb hat es auch an jedem Stadion entsprechende Übungen gegeben. Aus den Gesprächen mit den Behörden bekommen wir eine abstrakte Gefährdungslage gespiegelt, alle sind in Alarmbereitschaft, aber es gibt bisher nichts Konkretes.
Schär: Ich vergleiche das mit der Situation vor der EM 2016 in Frankreich. Nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris hat das ganze Land die Sicherheit hochgefahren. Während des Turniers ist nichts passiert – doch wenige Tage danach fährt ein Lastwagen in Nizza in eine Menschenmenge. Gegen diese Dinge ist man nicht gefeit.
Wenn ein Attentäter zu einem Fanfest ginge, kann ihn eigentlich niemand aufhalten. Oder sind Sicherheitskontrollen vor den Fanfesten vorgesehen?
Schär: Wir nennen so etwas die weichen Ziele. Für deren Sicherheit ist letztlich jeder einzelne Veranstalter zuständig. Ob beispielsweise Leibesvisitationen auf dem Römerberg in Frankfurt am Main durchgeführt werden, liegt in der Hand der dortigen Tourismusbehörde.
Stenger: Wir haben aber das Gefühl, dass diese Aspekte auch dort professionell behandelt werden.
Schär: Ich bin kürzlich an einem Samstag über die Zeil in Frankfurt gelaufen, die so voll wie eine Fanzone war – ich habe allerdings keinen Polizisten gesehen. In jeder Fanzone werden Sie dagegen Sicherheitskräfte sehen. Das ergibt schon einen gewissen Abschreckungseffekt.
Welches Vertrauen haben Sie in die Deutsche Bahn, die regelmäßig viele Nerven strapaziert?
Stenger: Sie ist sich dessen bewusst, dass alle sehr genau hinschauen werden. Es gibt das Bemühen, beispielsweise nach den Spielen noch mehr Züge einzusetzen, um die Leute wieder dorthin zu bringen, wo sie herkommen. Was die Teams betrifft, sind bei der EM 2016 in Frankreich die Mannschaften zu 75 Prozent mit dem Flugzeug gereist, nur 25 Prozent mit Bus und Bahn. Bei uns ist das Verhältnis nun umgekehrt. Und natürlich ist sich die Bahn der Außenwirkung bewusst, wenn ein Team plötzlich bei ausgefallener Klimaanlage drei Stunden auf freier Strecke liegenbleibt. Da wäre mächtig Druck auf dem Kessel.
Schär: Es wäre ein unglaublicher Imageschaden. Seit dem Streikende ist die Bahn nach meinem subjektiven Empfinden wieder pünktlich. Ich bin in den vergangenen sechs Wochen viel gereist, da hat alles funktioniert. Man spürt auch beim Personal die Lust auf die EM.
Für die WM 2006 wurden teils ganz neue Autobahnen gebaut. Jetzt sind wichtige Knotenpunkte gesperrt oder riesige Baustellen. Wurde da eine Chance der Beschleunigung verpasst?
Stenger: Wir waren auch mit der Autobahn GmbH des Bundes in Gesprächen, um die Infrastruktur voranzubringen. Aber de facto muss man konstatieren, dass für eine Fußball-EM keine Wunder passieren. Die Verkehrsplanung hat deutlich längere Vorlaufzeiten.
Schär: In der deutschen Infrastruktur ist noch viel aufzuholen. Uns wurde aber zumindest zugesagt, dass einige Baustellen wie in Gelsenkirchen anders organisiert werden, damit der Verkehr fließen kann.
Nicht jeder kann speziell zu Abendspielen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, weil er dann nicht mehr zurückkommt – und Übernachtungen in den Spielstädten sind absurd teuer. Wie lösen Sie das Problem?
Stenger: Wir wollen nachhaltig sein, aber dass wir nicht den kompletten Autoverkehr ausschließen können, ist auch klar. Immerhin werden viele zum ersten Mal solch ein Stadion mit dem Auto anfahren. Sie sind dann viel offener für Lenkungsmaßnahmen, weil sie nicht jedes Schlupfloch kennen. Es gibt schon Parkflächen, nur sind es vielleicht andere als bei Bundesligaspielen.
Schär: Es hängt aber auch von den beteiligten Nationen ab: Viele Schotten und Engländer kommen in Reisebussen, die Polen sitzen hingegen häufiger zu viert in einem Wagen und werden noch in der Nacht zurückfahren, weil es günstiger als eine Hotelübernachtung ist.
Die Tickets waren allesamt schnell weg. Fürchten Sie einen Schwarzmarkt?
Schär: Die einschlägigen Portale, die Tickets für horrende Preise anbieten, haben noch überhaupt keine Karten. Und natürlich haben wir die Menschen deutlich davor gewarnt, sich auf diesen Portalen Tickets zu besorgen. Sonst laufen sie Gefahr, am Einlass abgewiesen zu werden.
Stenger: Ein Schwarzmarkt lässt sich nie vermeiden. Bisher ist der aber noch klein, und es sind klassische Leerverkäufe: Die Anbieter hoffen, dass sie irgendwo die Tickets billiger bekommen werden, die sie schon jetzt für 2500 Euro im Internet anbieten. Die Karten wurden aber noch gar nicht aufgespielt. Noch hat also niemand ein Ticket auf dem Handy, das er weitergeben könnte. Und wenn sie ausgegeben werden, hat die App Sicherheitsmechanismen, um einen Weiterverkauf zu verhindern.
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