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Feuerwerk unglaubwürdiger Schlagfertigkeiten
Die Dramedy »Wo wir sind, ist oben« will den Hauptstadt-Lobbyismus karikieren, verliert sich allerdings in Klischees
Dafür, dass Zynismus eher ungern gesehen ist, wird er sehr gerne gezeigt. Serien von »Dallas« über »Succession« und »Yellowstone« bis hin zur norwegischen Alphatier-Groteske »Exit« haben den herablassenden Spott ihrer stinkreichen Charaktere als immaterielle Hauptfigur etabliert.
So gut wie die ARD-Serie »Wo wir sind, ist oben« bringt diese böse Häme jedoch kaum ein fiktionales Format auf den Punkt. »Gestorben wird immer«, bügelt ein Gewerkschaftsfunktionär darin Bedenken ab, sein Einsatz gegen Pflegeroboter könnte Menschenleben kosten statt retten. Ein durch und durch zynischer Satz – den die Bedenkenträgerin allerdings spielend übertrifft. Ihr Beruf gilt schließlich als Inbegriff serviler Vorteilsnahme zu Diensten Meistbietender.
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Valerie Hazard ist Lobbyistin, und zwar eine der opportunistischen Art. Frisch aus Brüssel nach Berlin gezogen, vertritt sie für ihre Agentur Pegasus die Interessen der Pharmaindustrie gegen Umweltverbände oder die der Nachbarschaft gegen Braunkohlebagger. Hier agitiert die Interessensvertreterin demnach für Arbeitnehmer, dort für Arbeitgeber – ganz egal, sofern ihr Fähnchen im Wind dem Auftrag entspricht.
Nüchtern betrachtet ist das ein guter Filmstoff (Politsatire) mit guter Darstellerin (Nilam Farooq), der Wolfgang Groos (Teil 1 bis 4) und Matthias Koßmehl (Teil 5 bis 8) Konkurrenz von baugleicher Güte zur Seite stellen. Nämlich Max Lentor (Helgi Schmid): ebenso erfolgreich, ebenso attraktiv, ebenso pragmatisch, wenngleich mit philanthropischer Work-Life-Balance. Der Platzhirsch geht im Auftrag von ABC & Partners ähnlich über Leichen wie »The New Kid in Town«, wie alle die Neue hier nennen. Er wirkt dabei nur irgendwie haltungsstärker als seine Rivalin.
Während Valerie nach Feierabend auf dem Schießstand mit scharfer Munition Aggressionen abbaut (oder aufbaut), im Anschluss an durchfeierte Clubnächte Sex mit zwei Fremden hat und morgens dennoch in aller geschmeidigen Frische die Welt verschlechtert, ist Max haltungsgetrieben reflektiert. Nach Feierabend kümmert er sich um seine ungewollt schwangere Schwester (Valerie Stoll) oder die eigene Alkoholsucht, wacht bisweilen mit einem Kerl im Bett auf, füttert im Anschluss die Vögel und übernimmt selbst dubiose Mandate mit Bedacht.
Dazu kommt dann noch ganz schön viel biografischer Ballast, den die Autoren von Chefautor Christian Jeltsch ihrer männlichen Hauptfigur auf den Astralleib gedichtet haben. Angedickt zudem mit üppigen Klischees. Dem Showrunner war Tragikomik plus Modeloptik mit Konkurrenzkampf plus Persönlichkeitsstudie im Haifischbecken Hauptstadtpolitik offenbar nicht genug für achtmal 45 Minuten.
Zusätzlich wollte er – eigentlich recht löblich – die Lobby-Branche als Staat im Staate skizzieren. Und da wird es haarig. Statt das System Brüsseler Spin-Doktoren der hinreißenden ARD-Komödie »Parlament« aufs Berliner Biotop zu übertragen, versandet »Wo wir sind, ist oben« im Klein-Klein megalomaner Stereotypen. Max’ Chef (Jan-Gregor Kremp) muss daher ein Schmierlappen à la Harvey Weinstein sein, der im Bademantel zwischen Bürobar und Floatingpool Aufträge verteilt, über deren Erfüllung dann ausschließlich MachTV berichtet – ein rechtspopulistischer Mix aus RTL-»Explosiv« und Fox News, der trotzdem Leitmedium aller Entscheidungsträger ist.
Dass naturgemäß hintergründige Lobbyisten ihre Überzeugungsarbeit stets mit Briefumschlägen voller Schmiergeld leisten, ist dabei ebenso absurd wie der Running Gag von Valeries heimlicher Schachpartie im Schreibtisch oder die Zigarettenspitze von Ulrike Krieners »Grande Dame des Strippenziehens der Bonner Republik«, der ein Kellner im »Café Einstein« namens Albert ständig die heißesten Snacks aus der Gerüchteküche serviert.
Solche Plattitüden im Kontext einer toxischen, tendenziell demokratiefeindlichen PR-Branche sind nicht nur nachlässig, sondern stark verharmlosend. Und sie sorgen dafür, dass positive Seiten einer Serie, die ursprünglich für Sky produziert wurde, in den Hintergrund geraten.
Ihre durchaus scharfzüngigen Dialoge zum Beispiel oder Max’ schleichende Katharsis in Richtung echtes Gewissen – beides verbrennt im Feuerwerk unglaubwürdiger Schlagfertigkeiten und zynischer Klischees. »Burn-out ist nur der Zeitgeistbegriff für Faulheit«, sagt Zickler einmal zu Lentor. Wer »Burn-out« durch »Politsatire« ersetzt und mit »manchmal« ergänzt, beschreibt »Wo wir sind, ist oben« eigentlich ganz gut.
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