Die Ukraine setzt auf Künstliche Intelligenz

In der Ukraine helfen technischer Fortschritt und Künstliche Intelligenz bei alltäglichen Dingen und im Kampf gegen die russischen Invasoren

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 4 Min.

Pass verloren? Führerschein verschwunden? Sehr ärgerliche und unangenehme Momente, die den Menschen in der Ukraine so nicht mehr passieren. Vorausgesetzt, man hat ein Smartphone und die App Dija (was »Handlung« auf Ukrainisch heißt und zugleich das Akronym für »Staat und ich« ist). Knapp 20 Millionen Ukrainer nutzen die App und haben damit alle wichtigen Dokumente immer dabei. Und wer sein Smartphone verliert, kann im Handumdrehen alles auf ein neues Telefon laden, ohne dass Informationen abhandenkommen.

Die Ukraine gehört zu den führenden Ländern Osteuropas, was Künstliche Intelligenz im kommerziellen Bereich betrifft. Eine Entwicklung, die von der Regierung aktiv gefördert wird. Die Investitionen in ukrainischen Unternehmen, die KI einsetzen, sind in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen, ein Trend, der trotz des Krieges anhalte, zitierte die Agentur Ukrinform die stellvertretende Premierministerin Julia Swidirenko im März. Betrugen diese 2014 noch 42,4 Millionen US-Dollar, waren es 2021 bereits 440,9 Millionen US-Dollar.

IT-Branche vom Krieg betroffen

2055 zählte eine Studie 5000 IT-Unternehmen mit 331 000 Mitarbeitern in der Ukraine. Im Vorkriegsjahr 2021 exportierte das Land IT-Dienstleistungen im Wert von 6,8 Milliarden US-Dollar, dreimal so viel wie noch 2017. Insgesamt kommen 12,9 Prozent aller Exporte des Landes aus diesem Sektor.

Wie alle Bereiche des Lebens hat der russische Angriffskrieg auch die IT-Branche getroffen. Zum Jahresende könnten die Exporte fünf bis zehn Prozent hinter denen von 2023 liegen, schätzt Stepan Weselowkyj, Direktor der Softwarefirma Lviv IT Cluster, gegenüber der ukrainischen »Forbes«-Ausgabe. Auch die verschärften Mobilisierungsvorschriften und landesweite Stromausfälle, die in den nächsten Monaten erwartet werden, dürften sich nachteilig auf die IT-Branche auswirken. Doch verhindern werden diese Entwicklungen ein weiteres Vordringen der Künstlichen Intelligenz in der staatlichen Verwaltung, in Industrie, Umweltschutz und Militär nicht.

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Journalisten und Umweltschützer nutzen KI

Schon heute gibt es in der Ukraine viele alltagstaugliche Anwendungen. Die Dozorro-App ermöglicht es beispielsweise, die Auftragsvergabe der Behörden zu analysieren und Auffälligkeiten zu erkennen. Ein Werkzeug, das insbesondere Journalisten und Aktivsten in die Lage versetzt, Unregelmäßigkeiten in der staatlichen Ausgabenpraxis aufzuspüren.

Auch Umweltschützer setzen auf Künstliche Intelligenz und können so etwa illegalen Holzeinschlag entdecken. Gleichwohl sehen sie die durch KI produzierten Schadstoffe kritisch. KI, gibt die Umweltorganisation Ecodia zu bedenken, verbrauche sehr viel Wasser. Allein während nur eines Trainings mit dem Sprachmodell GPT-3 würden 700 000 Liter Wasser zur Kühlung von Rechenzentren verbraucht, so Ecodia. Dazu kommen Elektronikschrott und Chemikalien. Vor diesem Hintergrund fordert Ecodia Rechenzentren in Regionen, in denen erneuerbare Energiequellen genutzt werden.

Im Krieg mit Russland, der zum großen Teil auch ein Drohnenkrieg ist, ist KI inzwischen auf keiner Seite mehr wegzudenken. Der Krieg ist »heute eine Art Testgelände für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Sie wird aktiv eingesetzt, um Satellitenbilder zu erkennen und zu entschlüsseln, Ziele auf dem Schlachtfeld zu erkennen, Zielerfassungstechnologien für Drohnen zu entwickeln, Gesichter zu erkennen und vorherzusagen, mit welchen Mitteln bestimmte Ziele getroffen werden können«, zitiert das Portal »Dserkalo Tyschnja« den Minister für digitale Transformation, Mychajlo Fedorow.

Drohnenkrieg ist auch ein KI-Krieg

So hat die Rüstungsfirma DevDroid ein System entwickelt, das Maschinengewehrtürme von einem Computer in einem Büro aus bedienen kann. Damit lassen sich Ziele, sprich: feindliche Soldaten, bequem per Mausklick vom Homeoffice aus identifizieren und vernichten. Das System lässt sich sowohl manuell als auch per KI bedienen. Die Software mache alles, meint Firmenchef Jurij Poritzki. Der Administrator müsse lediglich auf den Knopf »Feuer« drücken. Vollautomatisch sei das System noch nicht anwendbar, da dabei »friendly fire«, also der Beschuss der eigenen Soldaten, nicht auszuschließen ist.

Auch Saker Scout, eine ganze Einheit von mehreren Drohnen, wird in der Ukraine produziert. Das Programm kann Silhouetten erkennen und ihre Bewegung verfolgen. 64 Arten russischer Militärziele kann das System erkennen und vollautomatisch vernichten, berichtet »Forbes«. Zugelassen ist Saker Scout inzwischen für den Einsatz bei der ukrainischen Armee. Über einen tatsächlichen Einsatz ist indes von offizieller Seite nichts zu erfahren.

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