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Caren Lay meldet Angriff Nummer 35

Büros der Linke-Abgeordneten in der Lausitz sind immer wieder Anschlagsziel

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf das Bautzener Büro der Linke-Bundestagsabgeordneten Caren Lay wurde Mitte Juni ein Anschlag verübt – wieder einmal.
Auf das Bautzener Büro der Linke-Bundestagsabgeordneten Caren Lay wurde Mitte Juni ein Anschlag verübt – wieder einmal.

»Solidarität statt Faschismus« und »Nie wieder ist jetzt« steht auf dem Plakat. Es hängt in einem Schaufenster in der Schülerstraße 10 in Bautzen. Dessen doppellagige Scheibe ist zertrümmert und zersplittert; das gesprungene Glas wirkt wie von einem Spinnennetz überzogen. In der Nacht vom 17. zum 18. Juni wurde ein Stein gegen das Fenster geschleudet; Nachbarn hörten den Einschlag und riefen die Polizei. »Die äußere Scheibe ist durchschlagen«, sagt Silvio Lang, »die innere zerbrochen.« Nur eine aufgeklebte Folie verhinderte, dass sich die Splitter im Büro verteilten.

Lang ist Wahlkreismitarbeiter von Caren Lay, einer Bundestagsabgeordneten der Partei Die Linke. Sie betreibt in der stillen Gasse hinter Rathaus und Dom eines ihrer beiden Lausitzer Wahlkreisbüros. Außerdem ist in der Schülerstraße die Geschäftsstelle der Partei im Landkreis untergebracht, deren ehrenamtlicher Vorsitzender Lang ist. Auch die Kreistagsfraktion gehörte bisher zu den Mitnutzern; sie wird aber ausziehen, nachdem sie bei der Kommunalwahl am 9. Juni von zehn auf gerade noch drei Abgeordnete gestutzt wurde.

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Dass Büros von Abgeordneten und Parteien angegriffen werden, ist in der Bundesrepublik trauriger Alltag geworden. In den Jahren von 2010 bis Oktober 2015 wurden bundesweit 461 entsprechende Vorfälle verzeichnet, im Schnitt also 76 pro Jahr. In einem Drittel davon traf es Die Linke. Im Jahr 2023 gab es laut einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der AfD aber allein 567 Angriffe auf Parteieinrichtungen und -gebäude, davon 469 Sachbeschädigungen. Am häufigsten waren mit 224 Angriffen die Grünen betroffen. SPD und AfD verzeichneten je 115 Attacken, bei der Linken waren es 50. Immerhin: Brandstiftungen sind die absolute Ausnahme; für 2023 wurde je eine bei SPD und AfD vermerkt. Sprengstoffdelikte gab es laut der Statistik gar nicht.

Womöglich sagen die in Berlin angesammelten Zahlen, obzwar erschreckend, aber noch gar nicht die ganze Wahrheit. Im Bautzener Büro von Caren Lay wurde am Neujahrstag 2023 ein mächtiger Böller vor dem zweiten der großen Fenster gezündet. »Er hat nicht nur die Scheibe zertrümmert, sondern den Metallrahmen verbogen und aus der Verankerung gerissen«, sagt Lang. Gerichte werten Vorfälle wie diesen üblicherweise als Sprengstoffanschläge. Allerdings beschäftigte die Attacke vom Jahresbeginn nie ein Gericht, weil kein Täter ermittelt werden konnte.

Das gilt für fast alle der Attacken auf Lays Abgeordnetenbüros, die dort – man kann es nicht anders sagen – trauriger Alltag sind. Schon bei einem Besuch des »nd« Anfang 2016 galt die damalige Fraktionsvize und Wohnungsexpertin als »traurige Rekordhalterin in Sachsen, wenn es um Übergriffe auf Politikerbüros geht«. Zu dem Zeitpunkt standen 22 Angriffe zu Buche. Inzwischen, sagt Lang seien es 35, davon 18 in Hoyerswerda und nunmehr 17 in Bautzen. Im Kurznachrichtendienst X hatte Lay zunächst von insgesamt 30 Angriffen geschrieben, »aber wir haben noch einmal nachgezählt«, sagt Lang: »Es sind mehr.«

Neben Steinwürfen und dem Einsatz von Pyrotechnik reicht die Bandbreite von Mülleimern, die gegen Scheiben geworfen wurden, über Hakenkreuz-Schmierereien, verklebte Schlösser und die Parole »Judenbüro« an der Fassade bis zum versuchten Eindringen in die Räume. In Hoyerswerda versuchten im Mai 2012 während eines Gesprächs mit Wirtschaftsvertretern drei Männer am helllichten Tag das Büro zu stürmen. Es gab ein Handgemenge; die Tür wurde eingetreten, der Hitlergruß gezeigt. Ein ähnlicher Vorfall im Jahr 2015, bei dem eine Mitarbeiterin Lays geistesgegenwärtig das Handy zückte und filmte, ist der einzige, der jemals in einer Verurteilung eines Täters mündete.

Hoffnung, dass sich daran etwas ändert, besteht kaum. Zwar hat Lay wie viele Kollegen technisch aufgerüstet. Über beiden großen Fenstern im Bautzener Büro hängen Videokameras. Aber selbst bei teuren Geräten sei die Qualität der Aufnahmen bei nächtlichen Angriffen nicht gut genug, um zur Aufklärung beizutragen, erklärte ihr die Polizei. Zudem stellen sich Angreifer darauf ein; Vermummung und Handschuhe gehören zu deren Standardausrüstung. Verstärkte Polizeistreifen, wie es sie mittlerweile zumindest in Hoyerswerda gibt, mögen eine gewisse abschreckende Wirkung haben. Andererseits dominieren Rechtsextreme, die bei vielen, wenn nicht allen Angriffen auf Lays Büros als Täter vermutet werden können, in Bautzen den öffentlichen Straßenraum und dürften sich auch von gelegentlichen Patrouillen nicht nachhaltig beeindruckt fühlen.

»Wir gehen nicht weg. Dann hätten die Nazis ja gewonnen.«

Silvio Lang Linke-Wahlkreismitarbeiter

Anders ist das bei Mitarbeitern und Nutzern der Büros. Silvio Lang betont zwar, nicht mit einem mulmigen Gefühl am Schreibtisch zu sitzen: »Mich beeinflusst das nicht so.« Bis auf einige Wortgefechte sei er in knapp zehn Jahren Tätigkeit für die Abgeordnete von Attacken verschont geblieben. Allerdings räumt auch er ein, vor der Fahrt nach Bautzen morgens zu überlegen, welches T-Shirt er anzieht: »Die Aufschrift ›I love Antifa‹ ist hier keine gute Wahl.« Junge Linke aus der ostsächsischen Kleinstadt dagegen, die sich früher regelmäßig in den Parteiräumen getroffen hätten, bevorzugten inzwischen Lokalitäten, die abends nicht für jeden Passanten von außen einsehbar seien.

Die Partei und ihre Abgeordnete hegten trotz der regelmäßigen Angriffe keine Umzugspläne, sagt Lang. Zum einen erklärte seine Chefin schon vor Jahren, sie wolle »linke Politik sichtbar machen«. Deshalb werden gezielt Lokalitäten zu ebener Erde angemietet, möglichst mit großen Fenstern und in einer Lage, die auf Passanten hoffen lässt. Das ist nicht immer einfach. Vermieter zeigen sich wegen der latenten Gefahr oft skeptisch. Als Lays Parteifreundin Susi Schaper, mittlerweile Landeschefin der Partei, 2017 von Nazis aus ihrem Chemnitzer Büro vertrieben worden war, fand sie kein neues, weil Hausbesitzer weitere Attacken befürchteten. Allein für eine neue Scheibe, wie sie jetzt in Bautzen zersplittert ist, werde »ein vierstelliger Betrag« fällig, sagt Lang. Trifft es die Außenfassade des Hauses, muss sich der Vermieter um die Reparatur und die Schadensregulierung mit der Versicherung kümmern. Im Fall von Lays Bautzener Büro handelt es sich um eine kommunale Gesellschaft, wo man von den Übergriffen »zwar nicht begeistert ist, aber es auch nicht uns anlastet«, sagt ihr Mitarbeiter.

Silvio Lang nennt indes noch einen anderen Grund, warum er einen Umzug in eine andere, womöglich weniger exponierte Adresse ablehnt: »Wir gehen nicht weg. Dann hätten die Nazis ja gewonnen.« Also bleibt das Büro in der Schülerstraße 10 erhalten. »Das geben wir nur auf, wenn wir es nicht mehr finanzieren können«, sagt Lang. Zumindest bis zur Bundestagswahl 2025 hängen hinter den Scheiben also weiter Plakate mit Sprüchen wie »Solidarität statt Faschismus«. In Bautzen scheinen sie nötiger denn je.

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